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Weiber müssen wirtschaften

Die Frauengenossenschaft „Weiberwirtschaft“ muss ihre Gebäude erneut sanieren, weil sie mit Naphthalin verseucht sind. Viele Projekte klagen über Miethöhe    ■ Von Sabine am Orde

In dem begrünten und mit Bänken ausgestattenten ersten Hinterhof ist es ruhig, die Sonne brennt. Im Schatten sitzt eine Frau um die dreißig in einer grauen Arbeitshose und isst Johannisbeeren. „Es ist inzwischen immer so ruhig hier“, sagt Christiane Mergner und steckt sich die kleinen roten Früchte in den Mund. Mergner freut sich über die Ruhe nicht, denn was auf den ersten Blick wie eine friedliche Idylle in der Sommerhitze wirkt, ist Ausdruck der Krise.

Laufkundschaft gab es in der Weiberwirtschaft, dem Gründerinnenzentrum der gleichnamigen Frauengenossenschaft in der Anklamer Straße im Bezirk Mitte, noch nie besonders viel. Doch jetzt bleibt sie fast ganz aus. Im ersten bis vierten Stockwerk des Altbaubestandes, also in der Hälfte der 5.500 Quadratmeter großen Gewerbehöfe, ist das Insektizid Naphthalin gefunden worden. Die meisten der betroffenen Mieterinnen sind inzwischen innerhalb der Gebäude um- oder gleich ganz ausgezogen. 40 Prozent der Gesamtfläche stehen inzwischen leer.

Christiane Mergner hat dabei noch Glück gehabt. Weil in ihrer Werkstatt im zweiten Stock des Hinterhauses ebenfalls eine erhöhte Naphthalinbelastung festgestellt wurde, residiert die Glaserei nun in einem viel schöneren Laden im Erdgeschoss – und mehr Miete muss Mergner dafür nicht zahlen. „Für mich ist das eine Verbesserung“, sagt die Jungunternehmerin, die vor drei Jahren ihre eigene Werkstatt eröffnet hat. „Aber ich bin auch nicht von Laufkundschaft abhängig.“

Naphthalin, der Stoff, aus dem Mottenkugeln sind, riecht stark und kann Kopfschmerzen, Konzentrationsstörungen und Allergien auslösen. Die Belastung in der Weiberwirtschaft sei bislang nicht gesundheitsbeeinträchtigend, heißt es im Landesamt für Gesundheitsschutz.

Doch Grenzwerte für Naphthalin gibt es nicht, niemand weiß, wie gesundheitsschädlich der Stoff wirklich ist. „Die Konzentration in der Luft könnte weiter steigen“, sagt Vorstandsfrau Katja von der Bey, „und als ökologisch saniertes Modellprojekt müssen wir sanieren.“

Bei der ersten Sanierung ist man auf das Naphthalin, das in einer Teerpappe steckt, die als Isolierschicht zwischen 1920 und 1960 rund 30 Zentimeter tief in die Decke eingelassen wurde, nicht gestoßen, denn nur die Wände, nicht aber die Decken wurden nach Altlasten untersucht. „Wir glauben, dass das Naphthalin erst durch die Beheizung der Räume nach dem Bezug aktiviert worden ist“, sagt Katja von der Bey. Der Rechtsanwalt der Weiberwirtschaft prüft nun, ob Regressansprüche an die Architektin Imken Baller gegeben sind.

„Wenn wir nicht bald mit der Sanierung anfangen können, sind wir im September zahlungsunfähig“, sagt die Geschäftsführerin der Weiberwirtschaft, Ute Schlegelmilch. Drei Millionen wird die erneute Sanierung kosten, Umzugskosten für die betroffenenen Unternehmen und Mietausfall mit gerechnet. Das Geld hat die Weiberwirtschaft beim Senat beantragt, der die Frauengenossenschaft bereits mit 24,5 Millionen Mark gefördert hat. Doch die Frauen müssen einen Eigenanteil von 400.000 Mark aufbringen und damit ihr Eigenkapital binnen weniger Wochen um mehr als die Hälfte aufstocken. Stichtag ist der 13. August. „Wir müssen 2.000 Genossenschaftsanteile à 200 Mark einwerben“, sagt von der Bey. „Bislang haben wir 1.501. Das schaffen wir schon.“

Doch die erneute Sanierung ist nur eins der Probleme, mit der die Weiberwirtschaft und ihre Mieterinnen zu kämpfen haben. Die Frauengenossenschaft hat noch in der Zeit gekauft und saniert, als vielerorts an den Berlin-Boom geglaubt wurde – und Immobilien und Kredite teuer waren. 12,3 Millionen hat die Weiberwirtschaft der Treuhand für den Gewerbehof am Rande des Bezirks Mitte gezahlt.

„So viel würde heute niemand mehr dafür ausgeben“, sagt von der Bey. Auch die Bankkredite wären heute billiger. „Aber wenn wir damals nicht angefangen hätten, wäre das Projekt vielleicht ganz gestorben“, sagt sie. „Wir haben ja auch von dieser Aufbruchsstimmung profitiert.“

36 Millionen Mark hat das Gründerinnenzentrum bislang insgesamt gekostet, 83 Prozent davon kamen vom Senat, weitere 16 Prozent von der Bank. Der Eigenanteil der Weiberwirtschaft lag gerade mal bei 1 Prozent. Das Problem ist, daß der Bankkredit von den Mieten zurückgezahlt wird. „Bei so viel Fremdkapital ist unser Spielraum, was die Mieten angeht, außerordentlich gering“, sagt von der Bey.

Sie kennt die Klagen der Mieterinnen und Ex-Mieterinnen, die in Krisenzeiten von der Genossenschaft mehr Entgegenkommen und Unterstützung erwarten und sich von „den Damen im Vorderhaus“ nicht ernst genommen fühlen. „Wir müssen mit den Frauen Kaffee trinken und ihnen anschließend einen bösen Brief schreiben können, weil etwas mit der Miete nicht stimmt“, sagt von der Bey. Leicht ist das nicht. Der Konflikt zieht sich durch die gesamte Geschichte der Weiberwirtschaft.

Die Kaltmieten im Gewerbehof liegen mit 10 bis 22 Mark pro Quadratmeter nach Ansicht des Bezirks „an der oberen Grenze“. Noch Anfang des Jahres sollten die Ladengeschäfte im Vorderhaus 35 Mark kosten – und waren damit so gut wie unvermietbar. „Vielen Gründerinnen waren die Mieten zu hoch“, sagt Annette Maennel, Redakteurin der Frauenzeitschrift Weibblick, die derzeit noch im Vorderhaus Räume angemietet hat. „Wir ziehen jetzt auch aus, weil es zu teuer ist.“

Die Weiberwirtschaft sei zwar „ein angenehmes Gewerbezentrum“, doch das gebe es woanders billiger. Schließlich seien die erhofften Synergieeffekte nur teilweise erreicht worden. „Das ist hier kein summender Bienenstock, den viele sich erhofft haben“, sagt Maennel.

Gerda Plate, die mit einer Kollegin das Versicherungsbüro Fair Ladies betreibt, sieht das anders. „Wir haben viele Kundinnen hier im Haus und sind bisher sehr zufrieden“, sagt sie. Gespenstisch aber sei es, wie leer die Weiberwirtschaft inzwischen ist. Simone Fischer, deren Restaurant Blue Goat vom Naphthalin nicht betroffen ist, aber trotzdem starke Umsatzeinbußen hinnehmen musste, ist von der Entwicklung der Weiberwirtschaft enttäuscht. Im Oktober wird das Blue Goat in die Chausseestraße umziehen.

„Obwohl wir, wie es im Vertrag steht, mittags ein Essen für acht Mark anbieten“, sagt Fischer, „ist das hier einigen Frauen zu teuer.“ Auch von der Ausstrahlung der Weiberwirtschaft hat sie sich mehr erhofft: „Ich dachte, das wird so etwas wie die Hackeschen Höfe.“

Diese Vorstellung hatte nicht nur die Restaurantchefin. „Einen Katzensprung vom Alex, nur um die Ecke der Prenzlauer Berg und das ehemalige Scheunenviertel“, wirbt die Weiberwirtschaft für ihren Standort auf Faltblättern und im Internet. „Mittendrin wird im Gründerinnenzentrum Weiberwirtschaft die alte Kiezstruktur, die Mischung aus Arbeiten und Wohnen, mit neuem Leben und neuen Ideen gefüllt.“ Doch die Anklamer Straße liegt am Rande des Bezirks Mitte, drei U-Bahn-Stationen und mehr als 500 Meter Luftlinie vom Alexanderplatz entfernt. Das ist zu viel, um die KundInnen von dort anzulocken.

Im Kiez selbst aber, einem Sanierungsgebiet mit eher schwacher Sozialstruktur, wirkt der wunderschön sanierte Gewerbehof mit dem schicken Restaurant im Hinterhof etwas fehlplaziert. „Viele haben Berührungsängste“, sagt Solway Herschel, die inzwischen mit ihrem Buchladen vom Hinterhof ins Vorderhaus gezogen ist. „Jetzt kommen die Leute in meinen Laden, aber in den Hinterhof gehen sie noch lange nicht.“

Die Weiberwirtschaft habe sich „zu sehr in die eigenen Kreise zurückgezogen“ und sei „nicht genügend im Kiez verankert“, meint auch Jutta Bartel von der Wohnungsbaugesellschaft Mitte (WBM). Im Auftrag des Senats hat sie gemeinsam mit einer Kollegin überlegt, wie die WBM die Weiberwirtschaft unterstützen kann. Künftig will die Wohnungsbaugesellschaft Gewerbetreibenden und ExistenzgründerInnen die Weiberwirtschaft ans Herz legen, zur Zwischenmiete können das auch von Männern geführte Unternehmen sein.

Die WBM-Mitarbeiterinnen hatten aber noch einen zweiten Auftrag: Weil der Senat Zweifel an der Wirtschaftlichkeit des Gründerinnenzentrums hat, sollten sie diese überprüfen. Ihr Urteil: „Die Weiberwirtschaft muss flexibler werden“, sagt Bartel, „dann kann das Konzept aufgehen.“

Daran glauben auch die Genossenschaftfrauen und die Mieterinnen der Weiberwirtschaft. „Das sieht doch ganz gut aus“, sagt Glaserin Christiane Mergner und schaut zu den Mülltonnen. Darüber zeigt ein überdimensionaler Rechenschieber mit bunten Kugeln die Anzahl der neu verkauften Genossenschaftsanteile an. „Ich kann mir nicht vorstellen, daß der Senat uns hängen lässt“, hofft Mergner. Schließlich hätte er dann immer noch einen Gewerbehof am Hals, der saniert werden muss. „Und so hat er ein Vorzeigeprojekt“, meint Mergner.

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