: Zwischen Revolution und Integration
■ Die Arbeiterklasse war eine der ältesten Zielgruppen von Erwachsenenbildung
Ob Ikebana oder EDV für die Damen – Weiterbildung hat oft ein hausbackenes Image. Dabei liegen die historischen Wurzeln der Erwachsenenbildung nicht in biederen Bildungskränzchen. Eine der ältesten Zielgruppen der Erwachsenenbildung waren Lohnarbeiter.
Die Vorläufer der Arbeiterbildungsvereine entstanden in den vierziger Jahren des 19 Jahrhunderts. Meist ging die Initiative vom liberalen Bürgertum aus, das die Lohnarbeiter via Bildung in die bürgerliche Gesellschaft integrieren wollte. Auch Handwerker schlossen sich zu Bildungsvereinen zusammen. Einen Schub gab die Aufhebung des Koalitionsverbotes 1864. Eigene Arbeiterbildungsvereine entstanden in den sechziger Jahren, als sich die Arbeiterbewegung in Deutschland formierte. Oft waren diese Vereine Ausgangspunkt für die Gründung politischer und gewerkschaftlicher Organisationen wie Lassalles Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein. Auch die Kirchen engagierten sich. Am Ende des 19. Jahrhunderts gab es sozialistische, bürgerliche und konfessionelle Arbeiterbildung. Ideologisch zielte sie entweder auf die Emanzipation der Arbeiterklasse oder auf ihre Integration in das bestehende politische und kulturelle System. Ihre Institutionen waren Heimvolksschulen, Funktionärsschulen der Gewerkschaften oder städtische Volkshochschulen (VHS).
Die Differenzierung in parteigebundene und gewerkschaftliche Bildungsarbeit und offene Angebote der VHS prägte den Wiederaufbau der Erwachsenenbildung nach 1945. Die Gewerkschaften übernahmen die Funktionärsbildung, die VHS die Breitenbildung, die SPD setzte auf politische Bildung. Die Arbeitsgemeinschaft „Arbeit und Leben“ wurde gegründet. Das Ziel: Abbau von Bildungsbenachteiligung, politische Breitenbildung für Arbeiter.
Mittlerweile ist aus der Arbeiterbildung Arbeitnehmerweiterbildung geworden. Meist orientiert sie sich an beruflichen oder betrieblichen Inhalten. Die Zielgruppe ist breiter geworden, viele freie Träger sind hinzugekommen.Und war Arbeiterbildung einst angetreten, um soziale Ungleichheit abzubauen, läuft Weiterbildung heute Gefahr, das Bildungsgefälle zu verschärfen:Fast zwei Drittel der Teilnehmer von Weiterbildungen haben einen Hochschulabschluss. Nur vierzig Prozent sind Arbeiter. adi
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