„Das ist eine Amateurregierung“

■ Köln ist für den Soziologen Alphons Silbermann nur ein Beispiel für die SPD-Schwäche

taz: Köln steht Kopf: Klaus Heugel tritt ab – die SPD steht mitten im Wahlkampf ohne Oberbürgermeisterkandidaten da. Ein Einzelfall oder typisch für die Führungsschwäche der SPD? Alphons Silbermann: Das Ganze erscheint mir als eine provinzielle Tragikomödie. Durch die lange Regierungszeit der SPD in Köln glaubten manche Sozialdemokraten, die Stadt gehöre ihnen. Wenn ich wie Herr Heugel von Habgier besessen bin, nehme ich auch mit, was ich kriegen kann: Ich bin davon überzeugt, dass das nicht der erste Fall des Herrn Heugel war. Ist Klaus Heugel ein typischer Fall des „Kölschen Klüngels“?

Das ist kein spezielles Problem Kölns. Dieses Verschieben von Pöstchen ist kein Klüngel, das ist Politik. Auf der Bundesebene genauso: Herr Schröder schiebt hin und schiebt her. Bestechungsgelder – wo gibt es die nicht? Klaus Heugel ist – wie Bodo Hombach – eine Karikatur seiner selbst.

Friedhelm Farthmann, ehemaliger Chef der SPD-Fraktion im Landtag, spricht von einem „deprimierenden Verlust an Glaubwürdigkeit“ ...

Damit hat er recht. Glaubwürdigkeit verliert aber nicht nur Herr Heugel. Bundeskanzler Schröder ruiniert seine Glaubwürdigkeit unentwegt selbst. Ich nenne ihn immer einen Maitre d'hôtel – einen Empfangschef. Ich halte diese Regierung – mit Ausnahmen – für eine Amateurregierung.

Halten Sie Schröder für überfordert?

Nein. Das würde ich mir nicht erlauben. Ich habe aber den Eindruck, dass der Mann mit einem einzigen Vorsatz Karriere gemacht hat: eines Tages als „Herr Bundeskanzler“ angesprochen zu werden. Das hat er erreicht. Aber wo ist die geistige Führung?

Welche Perspektive hat die SPD?

Schröder ist ein Kanzler der Medien: Chlorodont-Lächeln, schöne Anzüge, immer präsent – doch es fehlt die geistige Führung. Konkret halte ich die Berufung Münteferings an die Parteispitze für eine gute Wahl. Das ist ein autoritärer Mann, der wird die Leute schon zusammenstauchen.

Die Linken in der SPD-Bundestagsfraktion proben den Aufstand, der Kanzler gibt Durchhalteparolen aus. War die Partei auf die Regierungsübernahme vorbereitet?

Nein, nie. Die Partei hat sich als Opposition immer wohl gefühlt – das verpflichtet nämlich zu nichts.

Verliert das Traditionsmodell SPD seine Geschäftsgrundlage? Ist die Sozialdemokratie ein Auslaufmodell?

Das glaube ich nicht. Eine Partei muss sich entfalten, sie muss mit der Zeit gehen. Natürlich ist es schwierig, gegen die Dogmatiker anzugehen. Der Anstoß in Form des Schröder/Blair-Papiers ist richtungsweisend. Wird eine Partei statisch, geht sie unter. Das ist meine Kritik unseres Parteiensystems. Selbst die Grünen haben ihre eigene Dynamik zerstört. Grüne Politik erschöpft sich mittlerweile in einer Form der l'art pour l'art: Herr Trittin betreibt lediglich eine Politik der hämischen Arroganz. Macht verdirbt immer.

Der Fall Heugel – ein Menetekel für die Bundesregierung?

Ich glaube, der Kanzler steht diese Legislaturperiode mit seinen flapsigen Bemerkungen durch. Schröder symbolisiert hier einen Trend, der auch auf den Fall Heugel zutrifft: Die Politiker interessieren sich nicht für die Belange der Bevölkerung. Deshalb steht auch das Thema Arbeitslosigkeit nicht mehr zur Debatte – nicht einmal bei Sabine Christiansen.

Würde es die CDU besser machen?

Die CDU will die Regierung Schröder gegen die Wand laufen lassen – und hofft auf vorgezogene Neuwahlen. Auch die CDU bietet keine Alternative. Das kann man aber bei dieser Personalbesetzung auch nicht verlangen: Problematisch erscheint die Orientierungslosigkeit der gesamten politischen Elite unseres Landes, im Großen wie im Kleinen. Schauen Sie sich doch einen Herrn Heugel einmal exemplarisch an: Wo ist denn da der Geist? Der Mann ist ein verhärteter Bürokrat, der mit vielen Mühen in dieses höchste Amt der Stadt gekommen ist. Das ist – bestenfalls – ein Provinzadvokat.

Interview: Andreas Wyputta