: Der spezielle Societyfaktor
Kein Wunder, dass Berlin im Zentrum der Diskussion ist: Missgunst war schon immer ein Motor in Deutschland, schreibt Beate Wedekind
Seitdem der Umzug der Regierung von Parlament und Politikern, von Beamten und Lobbyisten auch körperlich vollzogen ist, machen sich die bunten Medien verschärft Gedanken über den gesellschaftlichen Status der neuen Hauptstadt und fragen besorgt: Gibt es sie nun oder gibt es sie nicht, „die“ Berliner Gesellschaft? Eine Frage, auf die früher kaum einer gekommen wäre, denn für Berlin interessiert man sich ja noch nicht so lange. Berlin lag jwd, janz weit draußen, außerhalb der Grenzen der Bilderbuchsociety. Die Berliner Gesellschaft war schon immer zu fest mit der Realität verankert, zu wenig wohlhabend, als Kulisse wohl auch nicht attraktiv genug.
So konnten München, das schöne Metropölchen im Süden, und Hamburg, die Stadt, in der nur der Name zählt, jahrelang beinahe ungeschoren den medienwirksamen Wettstreit untereinander ausfechten, wer denn den höchstglänzenden Societyfaktor für sich verbuchen kann. Frankfurt, Düsseldorf und Stuttgart teilten das Monopol von Geld, Macht und Wirtschaft paritätisch unter sich auf. Köln hatte Fernsehen und Kunst für sich gepachtet. Jede der deutschen Provinzprinzesschen schmückte sich mit ihren lokalen Lorbeeren und ließ Berlin schlicht links liegen. So sehr war man mit sich selbst beschäftigt, dass niemand merkte, dass der Frosch an der Spree längst wachgeküsst war und eine neue, offene, dynamische Gesellschaft entstand, die sich – man feiert an der Spree seltener, weil man mehr arbeitet – allerdings kaum jemals für den Wettbewerb um den Siegerpokal des schönen Scheins eignen wird.
Berliner Gesellschaft ist per se eher clever als chic, eher naseweis als zurückhaltend, eher weltoffen als zugeknöpft, weniger prätentiös und präpotent.
Anfang der Achtziger volontierte ich beim Abend. Schon 1980 schrieb ich in meiner täglichen Kolumne „Leute in Berlin“ über den agilen Atze Brauner und den allmächtigen Axel Springer, über den eisblauäugigen Dietrich Garski, bevor er sich als Jürgen Schneider Berlins entpuppte. Man ging wegen Peter Stein in die Schaubühne am Halleschen Ufer und hatte sich irgendwie damit abgefunden, dass Berliner Ensemble und Museumsinsel nicht en passant erreichbar waren.
Schon damals stand Otto Sander, der große Berliner Mime, spät nachts an seinem Platz am Tresen der Paris Bar an der Kantstraße, saß Rechtsanwalt Otto Schily, heute Innenminister, an einem der schwarzen Glastische rechts vom Eingang. Dr. Peter Raue engagierte sich für die Neue Nationalgalerie, und der Kunsthändler Bernd Schultz erweckte die Villa Grisebach an der Fasanenstraße zu neuem Leben, heute in seinem Genre das erfolgreichste Auktionshaus Deutschlands.
Später, als ich in Bunte die Kolumne „Mein Rendezvous“ schrieb und auf den Spuren der Partysociety von Hinz zu Kunz düste, kam ich nur noch selten nach Berlin. Der damalige Chefredakteur Hubert Burda entdeckte seine Liebe zu Berlin erst nach der Wiedervereinigung.
Mitte der neunziger Jahre, als sich München für mich erledigt hatte und ich ins Ausland gezogen war, entdeckte ich Berlin neu, wurde begeisterter Verfechter des neuen alten Berlin. Zwar habe ich auch intolerante Ignoranten, Angeber und Schaumschläger getroffen – wie es sich nun mal für eine Weltstadt ziemt –, nie aber „Stillständler“. Wenn ich den Kolumnen in B.Z. und Bild, in Berliner Morgenpost und Berliner Zeitung Glauben geschenkt hätte – wäre gesellschaftlich alles beim Alten geblieben.
Die selben Namen, die selben Ereignisse, nichts passiert in Berlin? Welch Trugschluss. Nur weil einer seit dreißig Jahren in der selben Bar seinen Tag beschließt, heißt das längst nicht, dass er seitdem nichts bewegt hat.
Es ist just diese alte Garde, jene – beinahe – schrankenlose, faszinierende Bande von Berlinfanatikern jeder Couleur, die sich auch in finstersten Tagen für eine prosperierende Zukunft Berlins eingesetzt hat. Leute wie die Verleger Friede Springer und Wolf Jobst Siedler, die Filmproduzenten Atze Brauner und Regina Ziegler, Unternehmer wie Dr. Erich Marx (Immobilien und Kunst) oder Gerhard und Sandra Papst (Mode), Kommunikatoren wie der Gesellschaftsforscher Nikolaus Sombart und der Friseur Udo Walz, auch die Salonlöwin Ursula Klingbeil und der Lebenskünstler Michel Würthle (Paris Bar) – selbstverständlich prägen die auch heute das gesellschaftliche Bild ihrer Stadt. Qualifizierte Verstärkung war und ist herzlich willkommen.
So kamen die nimmermüden neuen „Alten“, um hier ihr Lebenswerk abzurunden: Professor Heinz Berggruen zum Beispiel, der jüdische Kunsthändler, kehrte mit seiner Frau Jahrzehnte nach der Emigration 85-jährig aus Paris in seine Heimatstadt zurück und stiftete Berlin nicht nur seine renommierte Sammlung, sondern mischt sich engagiert in gesellschaftspolitische Diskussionen ein. Dr. Werner Otto, Gründer des Versandhauses, kam schon 90-jährig aus Garmisch-Partenkirchen in das ihm bis dahin unbekannte Berlin, um fortan hier zu leben und zu arbeiten. Vom Ku'damm aus regiert er sein Immobilienimperium. Sein Haus in Dahlem, dem seine elegante Frau Maren vorsteht, wird bald gesellschaftlicher Anziehungspunkt sein.
Berlin hat neben Dutzenden von jungen Unternehmern, Bankern, Werbern, Fernsehleuten, Kreativen vor allem auch die Großkonzerne angezogen: Aus Stuttgart kam Dr. Klaus Mangold, der Vorstandsvorsitzende von DaimlerChryslerServices, einer der Bauherrn des Potsdamer Platzes, aus Südafrika der Österreicher Edgar von Ommen, der Berliner Statthalter des japanischen Weltkonzerns Sony, der die andere Seite des Potsdamer Platzes beherrscht. Aus München kam Peter Dussmann, der Welt größter Reinigungsunternehmer, der seine Firmenzentrale vor die Tore Berlins verlegte und mit dem Kulturkaufhaus an der Friedrichstraße Furore machte. Heinz Dürr, der ehemalige Vorstandsvorsitzende der Deutschen Bahn, ist jetzt ein Berliner, und der Münchner Roland Berger, Deutschlands Unternehmensberater Nummer 1, hat bereits sein Penthouse am Potsdamer Platz bezogen. Anno August Jagdfeld, eigentlich aus Aachen, baute das Hotel Adlon und das Quartier 206, das seine Frau Anne Maria als Kaufhaus des Luxus und der Moden führt.
Berlin hat die neuen Meinungsmacher, die Chefredakteure Dr. Mathias Döpfner aus Hamburg (Die Welt), Giovanni di Lorenzo (Tagesspiegel) und Franz Josef Wagner (B.Z.) aus München, Martin Süskind aus Köln (Berliner Zeitung).
Berlin hat die neuen Dienstleister, wie die schöne Isa Gräfin Hardenberg, die mit ihrem effizienten Team kommerziellen und privaten Festen Glanz verleiht, wie den alerten Münchner Großgastronomen Michael Käfer, der vom Reichstag aus die Cateringszene Berlins aufmischt.
Berlin hat vor allem aber die neuen Mover und Shaker. Zugereiste, Alteingesessene, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, Berlin auf internationales Niveau zu liften. [Soviel Silikon gibt's hoffentlich nicht! d.sin] Ein DJ Dr. Motte etwa, der die Love Parade erfand, einen Paulus Neefs, den Chef des Multimediagiganten Pixelpark, eine Mechthild Holter und einen Béla Jarcyk, die Agenten der jungen Stars, einen Volker Diehl, den Initiator des Art Forums, das es im vierten Jahr bereits zu einer der renommiertesten Kunstmessen Europas gebracht hat.
Das Salz in der Suppe, die Szene, die Schauspieler und Stars, die Künstler und Kulturschaffenden, die Außenseiter und Spitzenreiter, gehören ohnehin dazu; ohne das schillernde Völkchen funktioniert kein gesellschaftliches Gefüge.
Sollten sie allerdings in dieser Betrachtung der Berliner Gesellschaft die Politiker vermissen, darf ich Ihnen sagen, dass ihr Fehlen beabsichtigt ist. Politiker kommen und gehen oder bleiben gleich in Hannover. Die neuen Herren der Hauptstadt (und die paar Damen auch) müssen sich in Berlin erst noch beweisen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen