: Urlaub für den Karrierekick
Führende Persönlichkeiten aus Wirtschaft und Politik haben ihn längst: einen Coach. Er ist Geburtshelfer für Träume, Visionen und deren Realisierung. Ein Coaching-Seminar für Frauen an der Nordsee besuchte ■ Edith Kresta
„Erfolgreiche Frauen erreichen fast immer ihr Ziel, gönnen sich ihre Wünsche, realisieren ihre Träume. Sie betrachten dies als ihr natürliches Recht. Mit Selbstbewusstsein und Mut. Ihr Geheimnis: Sie haben zumeist einen Coach“, so der Reiseprospekt von Studien-Kontakt-Reisen (SKR). Einen Coach wie Lilli Cremer-Altgeld. Coaching I für Frauen, so das Seminarangebot im Kunze-Hof. Ein Schnupperkurs für Frauen, die eine Woche Urlaub zu dem nutzen wollen, was unter Managern längst üblich ist: Ich-Optimierung.
Der Kunze-Hof in Seefeld, im Land zwischen Weser und Meer, ist nach allen Regeln moderner Hausführung ausgestattet: ein riesiger Park , natürliche Baustoffe solide verarbeitet, eine schmackhafte Küche, wahlweise mit Fleisch oder vegetarisch, viel Obst und Gemüse, Rauchen in Räumen unerwünscht. Die Tagungsstätte will „ein Ambiente für Ambitionierte“ bieten, wo „die Seele Luft holt“. Ambitioniert sind auch die 18 Frauen, die das Seminar bei Lilli Cremer-Altgeld gebucht haben.
Lilli Cremer-Altgeld ist mittleren Alters, Markt- und Sozialforscherin mit vielfältiger Vita von der Hotelfachfrau zur Forscherin. Eine Frau mit bestimmend kühler Art. Lilli Cremer-Altgeld begrüßt die noch unsicher in die Runde blickenden Frauen, dann gibt sie Danksagungen ehemaliger Teilnehmerinnen zum Besten. Briefe voll des Lobes und der Zuversicht. Ihrem eisernen Grundsatz „Ich liebe und akzeptiere mich so wie ich bin“ wird sie jedenfalls gerecht: Lilli Cremer-Altgeld ist nicht bescheiden, die typisch weibliche Zurücknahme scheint ihr fremd. Die Teilnehmerinnen stellen sich vor. Die meisten sind berufstätig, in mittleren bis höheren Position. Sie suchen vor allem konkrete, praktische Anleitung gegen den Stress und für die Herausforderungen des beruflichen Alltags. Einige halten in persönlichen oder beruflichen Umorientierungsphasen nach neuen Ufern Ausschau.
„Der Coach“, so Lilli Cremer-Altgeld, „ist ein Korrektiv.“ Der Coach soll helfen, Ziele zu finden, zu definieren, zu präzisieren. Er soll Ressourcen, Potenziale und Chancen erfassen und Strategien entwerfen, wie Hindernisse überwunden werden können. Lilli Creme-Altgeld sieht sich als Geburtshelferin für Visionen. Sie will den Frauen helfen zu fliegen, sie sollen „Adlerinnen“ werden, „Königinnen“ mit Selbstbewusstsein und Selbstvertrauen.
In dem achteckigen Rundbau sitzen die Königinnen im Kreis. Der hohe, große Raum mit sonnigem Blick auf das Wasser adelt die Seminaratmosphäre. Ein rotes Plastikherz wandert von einer zur anderen. Jede Frau darf beherzt sagen, wie sie sich fühlt, was ihr fehlt. Dann doziert Lilli Cremer-Altgeld. Beispielsweise darüber, warum Frauen ihre Stärken verleugnen: aus falscher Bescheidenheit, schlechtem Gewissen, ihrem übertriebenen Schönheitskult, ihrer Sucht nach Harmonie, überzogener Selbstkritik, Kleinmädchen- verhalten ... Mindestens irgendeines dieser Gefühle ist jeder Teilnehmerin vertraut. Lilli Cremer-Altgeld will den Frauen zu Selbstvertrauen verhelfen und die Quellen dazu erschließen.
Beispielsweise: „Wie könnt ihr euch schützen vor dem bösen Blick, vor Missgunst?“ Neid, so die Seminarleiterin, sei eine in Deutschland prächtig gedeihende Eigenschaft. Die von Lilli Cremer-Altgeld angebotenen Möglichkeiten sind vielfältig: frau schütze sich durch einen imaginierten goldenen Ring um sich herum, indem sie ihren Schutzengel befragt, oder frau stärkt sich einfach durch „Kontaktaufnahme mit der Urkraft der Sonne“. Im Selbstversuch – stehend, Augen geschlossen, in sich versenkt, konzentriert auf die Urkraft – funktioniert diese Kontaktaufnahme bei den meisten Teilnehmerinnen: „Ja, das fühlt sich warm an.“
Lilli-Cremer-Altgeld zeigt auch, wie die „Kraft der Gedanken“ wirkt. Eine setzt sich in die Mitte, die anderen wünschen ihr konzentriert Liebe und Ruhe. Auch das „fühlt sich warm an“. Die Thymusdrüse spuckt. Wer zwischendrin auf die Toilette muss oder im Park spazieren geht, sage sich zehnmal „Ich liebe und akzeptiere mich so wie ich bin.“
Suggestion und Autosuggestion. Es klappt. Bei den meisten. Dazu kommt ein bisschen Transaktions-Analyse, die vor allem bei Kommunikationsschwierigkeiten gut einsetzbar ist, ein bisschen Kinesiologie, die von der ganzheitlichen Wirkung in der Interaktion ausgeht, und das HDI. Dieses Hirn-Dominanz-Modell dient in der Wirtschaft dazu, die intellektuellen Stärken eines Mitarbeiters an Hand eines Fragebogens zu erkennen. Im Seminar dient das HDI dazu, dass die Frauen erkennen, welche im Preis nicht enthaltene Mittel es zur Selbsterkenntnis sonst noch gäbe. Und wer tiefer in die psychischen Mechanismen eindringen will, kann mit Lilli Cremer-Altgeld in einer Extrastunde das Neuro-Linguistische Programmieren (NLP)) testen. Ein breit gestreuter Methodenmix, für jeden etwas Passendes. „NLP war für mich eine Erleuchtung“, meint begeistert die Computerfachfrau.
Eigentlich geht es der Seminarleiterin um „die Befreiung des Menschen aus selbst verschuldeter Unmündigkeit“. Tatsächlich geht es um Selbsterfahrung, um Selbstbesinnung in dem Schonraum einer gepflegten Anlage, wo von der Küche bis zur Ruhebank in der Parkanlage alles auf Regeneration angelegt ist. Einmal Königin sein. Das hat noch nie geschadet. Ein Wohlfühlprogramm unter Gleichgesinnten. Mit viel Gespräch, Offenheit und der Akzeptanz anderer Frauen. Aufgehoben sein. Die Frauen coachen sich gegenseitig, abends beim Bier, in der Mittagspause, beim Kaffee. Sie geben sich Anregungen und Bestätigung. Was zählt, ist der Effekt wie bei der allmorgendlichen Meditation. Die macht stark für den Tag. Es könnte genauso gut ein beruhigender, konzentrierter Plausch beim Häkeln sein, bestätigt Lilli Cremer-Altgeld.
Nach dem Abendessen gibt es als Ausgleich für die verkopfte Tagesarbeit Tanz, Bewegung, Lockerungsübungen und ein paar Streicheleinheiten für die Seele. „Wir sagen dir, was wir gut an dir finden.“ Jede Frau darf abwechselnd Königin sein, die anderen hofieren sie mit schönen Worten: „Du hast einen guten Stil, dich zu kleiden“ oder „Du bist schön“. Wann bekommt frau das schon mal gesagt?
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