■ Kommentar: Die deutsche Regierung hat NS-Zwangsarbeiter lange betrogen
Schmach und Schande über diesen Staat. Kübelweise. Jawohl. Von Adenauer über Brandt und Schmidt bis zu Kohl und Schröder. Fast 55 Jahre hat sich dieser Staat gedrückt, seine Verantwortung wahrzunehmen. 55 Jahre lang sind die Zwangsarbeiter der Nazis leer ausgegangen. Und jetzt, wo mehr als zwei Drittel dieser geschundenen Menschen verstorben sind, feilscht die Bundesregierung noch immer ums Geld.
Dabei kommt die erste und oberste Verantwortung dem deutschen Staat zu. Er war es schließlich, der die Zwangsarbeiter ins Land geholt hat. Mit brutalster militärischer Gewalt. Er war es, der die „Arbeitsfähigen“, Junge und Alte, Männer und Frauen, auf Fabriken, staatliche Betriebe und Bauernhöfe verteilte. Er war es, der zehntausende der Vernichtung preisgegeben hat. Der Staat sollte zahlen. Jetzt.
Das Leid der Zwangsarbeiter ist nicht mit tausend Mark und auch nicht mit zehntausend Mark abgegolten. Aber eine Auszahlung in nennenswerter Größe wäre eine Geste, eine viel zu späte Geste gewiss, aber eine Anerkennung der historischen Schuld und der eigenen Verantwortung. Aber nicht nur Geld ist nötig, sondern auch eine offizielle Entschuldigung, ausgesprochen von höchster Stelle: von Bundeskanzler und Bundespräsident.
Die Politik kann und muss der Industrie vorangehen. Sie sollte dabei nicht nur Zeichen setzen, die von der Industrie mit Kopfnicken abgetan werden können. Sie sollte die Industrie und die Landwirtschaft, die Klein- und Großbetriebe in die Pflicht nehmen. Und wenn die sich, wie oft bisher, davor drücken, dann hat dieser Staat die Pflicht, diese Heuchler und Drückeberger an die Kandare zu nehmen. Dann muss eben ein Gesetz her, das die verantwortlichen Firmen zwingt, in einen Gesamtfonds einzuzahlen. Dann wäre ein zweistelliger Milliardenbetrag eben kein Thema mehr.
Eine Frage freilich bleibt: Ist ein so industrienaher Vertreter wie Otto Graf Lambsdorff der geeignete deutsche Repräsentant, um dem moralischen Versäumnis dieser Republik beizukommen? Wäre nicht jemand vonnöten, der nicht im Ruch steht, am 55-jährigen Verschweigen dieses monströsen Verbrechens beteiligt gewesen zu sein? Um der Opfer willen, aber auch wegen der deutschen Glaubwürdigkeit. Georg Baltissen
Bericht und Interview Seite 7
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen