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Toleranz vor Stalinismus

■ Nikolai E. Bersarin war der erste sowjetische Stadtkommandant in Berlin. Das Museum Karlshorst widmet ihm eine Ausstellung

Da ist es, das faschistische Nest“ – mit Propagandatafeln in kyrillischer Schrift am Stadtrand Berlins wurden im Frühjahr 1945 die Soldaten der Roten Armee motiviert. Kaum aber waren die ersten Vororte erobert, gab es in deutscher Sprache ganz andere Tafeln: „Die Erfahrungen der Geschichte belegen es, daß die Hitlers kommen und gehen, aber das deutsche Volk, der deutsche Staat bleiben bestehen.“

Getreu diesem Stalin-Spruch handelte Nikolai Bersarin, der erste sowjetische Stadtkommandant von Berlin, dessen Leben das Museum Karlshorst jetzt eine Ausstellung widmet. Bersarins organisierte zunächst provisorisch das zivile Leben im zerstörten Berlin. Innerhalb weniger Wochen wurden Strom- und Wasserleitungen sowie Straßenbahnlinien repariert. Selbst um die Einrichtung von Waschanstalten kümmerte sich der Stadtkommandant persönlich. Im Sommer 1945 regte er die Wiedergründung der Jüdischen Gemeinde in Berlin an. Zur Mitarbeit in kommunalen Gremien wurden alle eingeladen, die nicht direkt an NS-Verbrechen verwickelt waren.

Der deutschnationale evangelische Bischof von Berlin und Brandenburg, Otto Dibelius, war über Bersarins Toleranz erstaunt: „Es überrascht mich fast ebenso, wie es die Berliner Schulräte überraschte, als sie zur Meldung befohlen wurden und aus seinen Munde hörten: 'Vor allen will ich, daß ihr die Kinder in Ehrfurcht vor Gott erzieht.‘ “ Das sagte ein Mann, dessen Karriere eng mit der Oktoberrevolution verbunden war. In der Roten Armee machte der junge Bersarin schnell Karriere und schuf sich dort Freunde, die ihn auch in der Zeit der stalinistischen Säuberungen unterstützten. „Bersarin kenne ich aus der Zeit von 1924 bis 1927 nur von der besten Seite“, schrieb der Chef der Politverwaltung seines Militärbezirks. Doch auch denunziatorische Briefe sind in Karlshorst ausgestellt. „Ich habe von Bersarin den Eindruck eines Speichelleckers und eines Menschen, der an den Handlungen der Volksfeinde nicht unbeteiligt ist“, schrieb ein Oberst.

1990 wurde Bersarin aus der Ehrenbürgerliste gestrichen, nach ihm benannte Straßen und Plätze umbenannt. Auf der letzten Tafel steht die vergebliche Bitte russischer Kriegsveteranen an den Regierenden Bürgermeister, die Streichung des „Namens Nikolai E. Bersarin aus der Ehrenbürgerliste rückgängig zu machen!“ Nur ein kleiner Platz in Friedrichshain erinnert heute an den Stadtkommandanten, der sich so stark für einen Neuanfang in Deutschland einsetzte. Peter Nowak

Bis 21. 11., Museum Karlshorst, Zwieseler Straße 4, Di – So 11 – 18 Uhr

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