: Entscheidung an der Gemüsetheke
■ Neue Werbekampagne von Pro7 und Kaiser's soll Zuschauer schon beim vorabendlichen Lebensmitteleinkauf dazu animieren, später auch den richtigen Sender einzuschalten
Skurrile Szene im „Kaiser's“-Markt: Die Hausfrau stürzt mit sperrigem Wagen auf die Regale los, grapscht Waren in einem wilden Durcheinander. Kurzatmig, planlos, in rasender Eile. Gesittet einkaufende Zeitgenossen mögen sich befremdet abwenden und wundern: Sommerschlussverkauf im Verbrauchermarkt? Fleischgewordener Konsumterror?
Nicht so ganz. Ein Gewinnspiel ist es, das brave Bürger zu „Kaiser's“-Hyänen macht. Was sie innerhalb von drei Minuten in den Wagen werfen und zur Kasse zerren können, das gehört ihnen. Und dabei steckt dahinter gar nicht nur die Supermarktkette, sondern der Fernsehsender Pro7.
Dieser hat sich eine besondere Werbekampagne einfallen lassen: Seit Ende September stolpern Kunden auf Schritt und Tritt über sinnige Pro7-Signale, wenn sie ahnungslos auf der Suche nach Feierabendbier durch den Markt zukkeln. „Machen Sie voll!“, steht auf einer Tafel, „es wird ein langer Fernsehabend.“ Die Tomaten verkünden: „Nicht gleich Rot sehen. Liebesfilme gibt's bei Pro7.“ Und bei Thymian und Oregano heißt es: „Würzen Sie sich Ihren Abend.“ Mit Pro7, versteht sich.
Der Sender kooperiert mit der Unternehmensgruppe Tengelmann, zu der Kaiser's gehört, um über den Einzelhandel so dicht wie möglich an seine Zielgruppe heranzukommen. „Gerade Pro7 mit seinem Image eines innovativen Fernsehsenders ist gefordert, neue Kommunikationswege zu beschreiten“, sagt Malte Hildebrandt, Leiter des Produktmanagements. Auf „freche und überraschende Weise“ solle Einkaufen mit Fernsehen verbunden werden, heißt es in der Pressemitteilung.
Etwa ein dreiviertel Jahr lang hat die Münchner Agentur „Seven Senses“, ehemalige Kreativabteilung des Senders, am neuen Pro7-Image getüftelt. Herausgekommen ist ein warmes Gelb mit markigen Sprüchen. „Mit schwarzer Schrift zusammen ist das die beste Kombination“, sagt Rudi Höppe von „Seven Senses“. „Es sollte zur Wiedererkennung nur eine Farbe sein.“ Das neue Image kommt so ganz ohne Programmbilder und Personen aus und enthält etwa 45 provokante Überrschungssprüche, wie etwa diesen Werbetrenner: „Sie können die Augen jetzt wieder aufmachen. Werbung!“
Für die Tengelmann-Kampagne nun gingen die Kreativlinge in den Supermarkt, „um zu gucken, was da so steht, und dann haben wir uns was dazu einfallen lassen“, so Höppe. Die Ergebnisse dieser Einfälle finden sich als Schilder an Regalen, Aufkleber an den Wagen und auf Warentrennern an der Kasse. „Manche haben nicht gleich alles verstanden, zum Beispiel das mit den Gurken“, berichtet Filialleiter Rehberg aus Berlin-Wedding von seinen Kunden, „aber fast alle haben erst mal geschmunzelt.“
Die Verbraucher haben offenbar keine Probleme mit dem überraschenden Frontalangriff beim Einkaufen. „Das Crossmarketing, eine Idee aus den USA, kommt bei uns immer mehr in Mode“, sagt Volker Nickel, Geschäftsführer des Zentralverbandes der Deutschen Werbewirtschaft. „Als Belästigung wird es eher selten empfunden. Im Gegenteil, die Kunden honorieren die Mühe, die sich die Unternehmen für sie gegeben haben.“ Deren Ziel sei es, Aufmerksamkeit an ungewohnten Orten zu erregen: „So kommen zu den klassischen Werbeträgern neue Facetten hinzu. Die Kombination von Handel und Fernsehen ist in Deutschland allerdings neu.“
Größe und Umfang der Kooperation seien einmalig, so Robert Pemmann, Handel-Werbeleiter bei Kaiser's/Tengelmann. Eingebunden sind 1.300 Marktfilialen im ganzen Land, die Kosten der Aktion betragen nach Auskunft von Pro7 etwa sechs Millionen Mark. Diese Summe tragen die Partner jeweils zur Hälfte.
Die Konkurrenz des Privatsenders hat übrigens keine ähnlichen Aktionen geplant. „Wir verbinden in der Werbung das Produkt Sat.1 mit den jeweiligen Sendungen. Dann braucht man keine Imagekampagne“, so Kristina Faßler vom Sat.1-Marketing.
Für die Supermärkte springt beim Marketing-Tauschring übrigens auch etwas heraus: Pro7 schaltet Spots, die für das Gewinnspiel um den Gratiseinkauf und für Einkaufsgutscheine werben. Außerdem ist das „s.a.m.“-Magazin von Pro7 dabei, wenn die Kandidaten auf Warenhatz durch eine Tengelmann-Halle bei München fegen. Samstag nach 16 Uhr übrigens. „Damit der Kunde viel Platz hat“, sagt Petra Gern von Pro7, die Koordinatorin der Kampagne. Alle zwei Wochen präsentieren die „s.a.m.“-Redakteure in der Sendung einen Teilnehmer.
Die Werbestrategie scheint aufzugehen. Pro7 ist zur Zeit von allen Privatsendern am erfolgreichsten, wenn es um die Umsetzung von Quotenerfolgen in Werbeeinnahmen geht: Jeden zusätzlichen Prozentpunkt an Zuschauerquote wandeln die Münchner in 2,4 Prozent Zuwachs an Werbung um.
Margret Steffen
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen