: Grundrecht als Verhandlungsmasse
■ Die CDU will in den Koalitionsverhandlungen durchsetzen, dass Demonstrationen aus der Innenstadt verbannt werden können. Die SPD gibt sich entschieden unentschieden
Innensenator Eckart Werthebach will seine Forderung nach weniger Demonstrationen in der Innenstadt in den Koalitionsausschuss einbringen. „Wir wollen von den Koalitionspartnern den Auftrag erhalten, die Möglichkeit einer Verringerung der Zahl der Versammlungen zu prüfen“, sagte gestern der Sprecher der Senatsinnenverwaltung, Norbert Schmidt. Der innenpolitische Sprecher der CDU-Fraktion, Roland Gewalt, erklärte, insbesondere am Brandenburger Tor sei eine „massive Einschränkung individueller Freiheitsrechte“ zu beobachten. „Hier wird das Versammlungsrecht zu viel in Anspruch genommen.“
Rückendeckung erhält die CDU aber auch vom innenpolitischen Sprecher der SPD-Fraktion, Hans-Georg Lorenz. „Der Innensenator soll einen entsprechenden Gesetzesentwurf vorlegen“, forderte Lorenz. Die SPD müsse zeigen, dass sie eine Volkspartei sei und die Sorgen der Bevölkerung verstehe. SPD-Fraktionssprecher Peter Stadtmüller verwies zwar auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts, wonach Demonstrationen darauf abzielen, öffentliche Aufmerksamkeit zu erreichen. Trotzdem müsse man über das Problem reden, dass Demonstrationen am Brandenburger Tor den Verkehr lahm legten. Er räumte ein: „Wir bewegen uns auf einem schmalen Grat.“
Justizsenator Ehrhart Körting lehnte dagegen das Vorhaben entschieden ab. Das Versammlungsrecht habe den Rang eines geschriebenen Verfassungsrechtes. „Das Grundgesetz steht bei den Koalitionsgesprächen nicht zur Disposition“, betonte Körting. Mit ihm sei eine Gesetzesänderung nicht zu machen.
Auch die SPD-Innenpolitikerin Heidemarie Fischer empörte sich: „Wir haben das Grundgesetz nicht für bestimmte Leute ausgegeben.“ Werthebach hatte gesagt, er sehe „mit Sorge, dass es immer mehr Versammlungen gibt zu irgendwelchen politischen Zielen, die gar keinen politischen Gegenstand in Deutschland haben“. Fischer verwies auf einen Kommentar zum Versammlungsgesetz. Darin heißt es: „Verkehrsprobleme, die sich zwangsläufig aus der nicht verkehrsüblichen Inanspruchnahme öffentlicher Verkehrsflächen für Versammlungszwecke ergeben, sind (wie auch Lärmbelästigungen und Beeinträchtigungen der Gewerbeausübung) grundsätzlich hinzunehmen.“
Bernhard Schlink, Professor für Rechtswissenschaften an der Humboldt-Universität, hält dagegen eine verhältnismäßige Begrenzung der Versammlungsfreiheit für Versammlungen unter freiem Himmel für zulässig. „Es wäre nicht unverhältnismäßig, zu verlangen, dass die Zahl der Teilnehmer im Verhältnis zur Beeinträchtigung anderer Personen stehen muss.“ Eine Differenzierung nach guten oder schlechten politischen Zielen sei aber verfassungswidrig.
Bei der Opposition stoßen die CDU-Pläne auf Empörung. „Wenn Demonstrationen nur genehmigt werden, wenn sie dem Staat genehm sind, erinnert das stark an DDR-Zustände“, sagte die PDS-Innenpolitikerin Marion Seelig. Der innenpolitische Sprecher der Grünen, Wolfgang Wieland, glaubt, dass die „aberwitzige Idee“ vor Gericht keinen Bestand habe. Schon CDU-Innensenator Wilhelm Kewenig habe in den achtziger Jahren das Demonstrationsrecht erfolglos einschränken wollen. Und Fischer (SPD) erinnerte gar an 1968: „Zur Zeit der großen Studentendemonstrationen setzte das Café Kranzler keine Scheiben mehr ein, weil diese jeden Tag mit Steinen eingeworfen wurden.“ Der Versuch der damaligen SPD-Regierung, die Demos vom Ku'damm zu verbannen, sei schon zu Zeiten Rudi Dutschkes vor dem Verwaltungsgericht gescheitert. Andreas Spannbauer
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