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Das Lachen einer Verliererin

Die Buhfrau der Ärzteschaft und der Pharmaindustrie, die Lieblingsgrüne der Konservativen – Gesundheitsministerin Andrea Fischer hat sich ins Amt gebaggert und mit ihrer Mini-Reform erst einmal Schiffbruch erlitten ■ Von Tina Stadlmayer

Politiksüchtig? Das will Andrea Fischer in drei Jahren sehen. Bis dahin jedoch soll die Welt gemerkt haben, dass sie eine grüne Gesundheitsministerin hat

Ein freundliches Büro in Berlin, ein bequemer Sessel: Hier sitzt eine Verliererin. Die Dame, die sich erleichtert räkelt, hat eine schlimme Woche hinter sich, vielleicht die schlimmste in ihrem Leben. Doch nun ist alles vorbei. Die groß angekündigte Gesundheitsreform ist endgültig gescheitert.

Zum ersten Januar wird eine Mini-Reform in Kraft treten. Sie hat mit dem großen Wurf, für den die Gesundheitsministerin Andrea Fischer (Bündnis 90/Die Grünen) ein Jahr lang gekämpft hat, nichts zu tun. Ein Jahr lang hatten Ärztevertreter und Pharmaindustrie eine gnadenlose Kampage gegen die Ministerin geführt – und schließlich erreicht, was sie wollten: Die CDU-Ministerpräsidenten stimmten im Bundesrat gegen den Entwurf zur Gesundheitsreform 2000.

Sie ist dünnhäutig geworden und nachdenklich. „Meine direkte Art“, sagt Andrea Fischer, „passt nicht zur Rolle der Ministerin.“ Burschikose Fröhlichkeit und ungehemmtes Lachen galten bislang als ihre Markenzeichen. Doch die „vielen persönlichen Verletzungen“, die sie einstecken musste, hätten „Spuren hinterlassen“.

Deutscher Ärztetag in Cottbus, Anfang Juni. Ärztepräsident Karsten Vilmar wiederholt seinen bitterbösen Vorwurf: Andrea Fischer fördere das „sozialverträgliche Frühableben“ der Patienten. Die versammelten Mediziner spenden tosenden Applaus.

Cottbus – ihre wohl schwerste Prüfung. Wenige Tage zuvor hatte sie den Medizinern vorgeworfen, absichtlich mehr Medikamente als nötig zu verschreiben, um die Gesundheitsreform zu boykottieren. Vermutlich hatte sie damit Recht. Da sie es aber nicht beweisen konnte, war ihre Bemerkung äußerst unklug. Nun entschuldigt sie sich bei den 250 Delegierten, aber die Mediziner quittieren es mit eisigem Schweigen. Mit keinem Wort geht Präsident Vilmar auf ihr Pardon ein. „Das war echt hart“, erinnert sich die Ministerin. „Die haben mich für ihre Feindin gehalten und mich auch so behandelt.“

Am Ende der Veranstaltung sieht man die Ministerin mit dem Präsidenten schäkern. Ihr typisch fröhliches Lachen schallt durch den Saal. Alles Theater?

„Ich habe eine Reihe von Fehlern gemacht“, gesteht Andrea Fischer (39) heute. Es stimmt. Sie hat es versäumt, ihren sozialdemokratischen Widerpart Rudolf Dreßler von Anfang an in ihre Überlegungen mit einzubeziehen. Deshalb kam es so weit , dass Dreßler „wie eine unvertäute Schiffskanone“ (Süddeutsche Zeitung) über das Deck der Gesundheitspolitik rollte und die Ministerin bewusst blamierte. Außerdem ist sie von der falschen Voraussetzung ausgegangen, dass sie für ihre Reform ohne Absprache mit den unionsregierten Ländern eine Mehrheit im Bundesrat bekommen würde. Doch davon spricht die Ministerin nicht.

Stattdessen sieht sie es als ihren größten Fehler an, „aus Unerfahrenheit“ die Empfindlichkeiten der Vertreter diverser Medizinerverbände falsch eingeschätzt zu haben. Es habe da „massive Vorurteile“ gegenüber einer Ministerin von den Grünen gegegeben. „Die hatten das Klischee von der Müslifresserin in Hanftuch im Kopf.“ Dabei ist sie das genaue Gegenteil: Liebhaberin italienischer Küche, Trägerin eleganter Röcke und Blazer, kombiniert mit Seidenschals. Bereits während ihrer Ausbildung zur Druckerin habe sie es „gehasst, im Blaumann antreten zu müssen“. Und während ihrer linksradikalen Phase ging sie im Rock zur Berliner Autonomendemo.

Sie wirkt robust. Sie lacht wie ein Kerl und kleidet sich wie eine Dame. Früher war sie mal Marxistin, taz-Schreiberin, heute ist die grüne Realpolitikerin bekennende Christin. Ist das der ganz normale Werdegang eines „behüteten Einzelkindes“ aus christlichem Elternhaus, „das immer schon etwas intelligenter und etwas ehrgeiziger als andere war“, wie die taz einmal schrieb.

Im Herbst 1998 gewinnt Rot-Grün die Bundestagswahl. Doch schon als es um die Kabinettsposten geht, gibt es den ersten Ärger. Joschka Fischer hält seine Namensvetterin für nicht für „ausreichend belastbar“. Aber er findet keine bessere für die schwierge Aufgabe. „Wie die Jungfrau zum Kinde“ sei sie zum Amt der Gesundheitsministerin gekommen, sagt Andrea Fischer. Doch so ganz stimmt das wohl nicht. Die profilierte Rentenexpertin Fischer hat massiv für ein Ministeramt gebaggert – so berichten es zumindest Parteifreundinnen. Ein Weggefährte meint: „Es war ein Fehler, dass sie sich auf diesen Job, von dem sie keine Ahnung hatte, eingelassen hat.“ – „Herrn Scharping hat auch keiner gefragt, ob er schon mal eine Kaserne von innen gesehen hat“, kontert sie den Vorwurf der mangelnden Erfahrung.

Ihr Vorgänger Horst Seehofer (CSU) warnt: In der Gesundheitspolitik werde mit ganz harten Bandagen gekämpft. Doch dass es so hart kommen würde, „damit habe ich nicht gerechnet“. Sie geht davon aus, dass ihre Ausbildung als Volkswirtin und ihre Erfahrungen als Sozialpolitikerin ausreichende Grundlagen für den Job sind.

In einer Ecke ihres Ministerbüros steht ein Saxofon, frisch poliert. Ihr geliebtes Saxofon! Ihr Medium, auf dem sie ihre Stärke ausspielen kann. Wäre sie virtuoser, wäre sie vielleicht im Showgeschäft gelandet. Jetzt ist die Politik ihr Medium. „Die Menschen mitreißen“, sagt Andrea Fischer, „das kann ich gut.“

Aber: „Ich werde in Zukunft nicht mehr so fröhlich und so offen sein, denn das verleitet zur Distanzlosigkeit.“ Sie verstehe jetzt, „warum so viele Politiker eine Maske tragen“. Ob sie nun auch zur Maskenträgerin wird? „Nein, das würde ich sowieso nicht hinkriegen“, sagt Andrea Fischer – und schon ertönt wieder das vertraute Lachen.

Gern redet Andrea Fischer über ihre Familie. Ihre Mutter half am Küchentisch Migrantenkindern bei den Schulaufgaben. Der Vater war Journalist und gehörte den CDU-Sozialausschüssen an. Erst vor wenigen Jahren sei ihr klar geworden, dass ihre „selbst gewählte solidarische Verpflichtung gegenüber anderen“ ihre Anfänge im katholischen Elternhaus hatte.

Bei Fischers fliegen aber auch die Fetzen. Mit dem Vater streitet sie über Berufsverbote und den Paragrafen 218. Noch heute sagt sie, dass eine Abtreibung für sie niemals in Frage käme. „Trotzdem kann ich nicht akzeptieren, dass andere als die selbst betroffenen Frauen darüber entscheiden.“

Die christliche Erziehung beeinflusst ihr Denken und ihr Handeln bis heute. Seit einiger Zeit denkt Andrea Fischer sogar darüber nach, wieder der Kirche beizutreten, der sie als Jugendliche aus Protest gegen den Papst den Rücken gekehrt hatte. „Jedoch macht es meine Kirche mir nicht leicht, zu ihr zurückzufinden.“

Nach dem Abi geht Andrea Fischer von Dortmund nach Berlin. Sie wird Offset-Druckerin und landet bei den undogmatischen Marxisten. Wegen einer Allergie muss sie ihren Beruf aufgeben und wird in den frühen 80er-Jahren Säzzerin bei der taz. Ihr damaliger Kollege Georg Schmitz erinnert sich: „Sie war gut, aber es war klar, dass sie bald was anderes machen würde.“ Sie klopft in der Redaktion „Sozialpolitik“ an. Ihr „Volontärsvater“ Martin Kempe berichtet, sie sei „ehrgeizig, zielstrebig und unideologisch“ gewesen. Sie habe immer „an sich selbst und ihrer inhaltlichen Kompetenz gearbeitet“. – „Die Zeit bei der taz“, sagt sie heute noch, „hat mich fürs Leben gestählt“.

Lange hält sie es dort nicht aus. Sie studiert Volkswirtschaft und schreibt ihre Diplomarbeit über soziale Grundsicherungssysteme. Mitte der 80er-Jahre kommt sie zu den Grünen und gilt dort zunächst als radikale Linke. Im Laufe der Jahre ist sie wie viele erfolgreiche Grüne vom linken Rand der Partei in die Mitte gewandert: „Manchmal bin ich gnadenlos liberal.“

Andrea Fischer wohnt noch immer im Berliner Alternativbezirk Kreuzberg, worüber sie „ganz froh“ ist. An dieser Stelle stoppt ihr Redefluss, denn sie weiß, dass sie eben nicht „die normale Kreuzbergerin“ ist, die sie vielleicht gerne wäre. „Ich bin über die Glotze im Wohnzimmer präsent. Deshalb glauben die Leute, mich gut zu kennen. „Wie geht’s Ihnen, Frau Fischer?“, wird sie schon mal von einer älteren Dame auf dem Wochenmarkt angehalten. Es ist ihr ein wenig unangenehm.

Zwischenstation bei der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte, 1994 Einzug in den Bundestag, hier macht sie sich einen Namen als Rentenexpertin. Sogar bei der CDU und bei der FDP gewinnt sie Fans. „Sie ist meine Lieblingsgrüne“ sagt FDP-Generalsekretär Guido Westerwelle. Ex-Gesundheitsminister Seehofer lobt: „Frau Fischer hat sehr vernünftige Ansichten.“

Wenn sie mit ihrer eindringlichen Stimme spricht und mit den Händen wild gestikuliert, wird sie ihrem Spitznamen „der Vulkan“ gerecht. Nur wenn sie sauer ist oder über die Maßen gestresst, wirkt sie fahrig, und es passiert schon mal, dass sie Stuss erzählt.

Können Sie sich vorstellen, wieder einmal etwas anderes zu sein als Berufspolitikerin? „Fantasien, etwas anderes zu machen“, habe sie in letzter Zeit verstärkt gehabt, sagt sie leise. Bücherschreiben zum Beispiel. So wie Jutta Ditfurth? Andrea Fischer prustet laut los.

Klar ist, was Andrea Fischer auf keinen Fall will: „Mich nach der nächsten Wahl als Hinterbänklerin langweilen, so wie Ex-Familienministerin Claudia Nolte.“ In drei Jahren, sagt sie, werde sie sehen, „ob ich politiksüchtig geworden bin“. Doch erst mal hat sie noch viel vor: „Die Welt soll merken, dass sie eine Grüne als Gesundheitsministerin hat.“

Wie sie das schaffen will? Mit Themen wie Fortpflanzungsmedizin, Patientenrechten, Aids und Reform der Krankenversicherungen. Aber: „So ein dickes Paket wie die Gesundheitsreform tu ich mir nicht noch mal an.“

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