CDU geht Sachthemen an den Kragen

■ Merkel und Rühe starten Kampagne gegen rot-grüne Ökosteuer. Vergessen sind eigene Pläne zur Erhöhung der Energiepreise. Im Windschatten Schäubles erklärt nun auch Rühe die „Ära Kohl“ für beendet

Berlin (taz) – Mit der doppelten Verleugnung ihrer Vergangenheit versucht die CDU, die Landtagswahl in Schleswig-Holstein am 27. Februar 2000 doch noch zu gewinnen. Gestern starteten CDU-Generalsekretärin Angela Merkel und der Spitzenkandidat für die Wahl, Volker Rühe, eine Kampagne gegen die von der rot-grünen Regierung eingeführte Ökosteuer. Durch die zusätzliche Steuer von sechs Pfennig, im Wesentlichen aber wegen höherer Ölpreise übersprangen die Kosten pro Liter Superbenzin zum Jahreswechsel erstmals die Schallmauer von zwei Mark.

Es ist noch nicht allzu lange her, da forderte Angela Merkel selbst die Ökosteuer. Als Umweltministerin der konservativen Koalition leitete sie 1995 die Welt-Klimakonferenz in Berlin. Damals war ihr klar: Mit höheren Energiepreisen muss man die Abgase aus Autos und Fabriken verringern, damit Klima und Wetter rund um den Globus nicht vollends aus dem Gleichgewicht geraten.

In einem Supermarkt in Norderstedt bei Hamburg verteilte Merkel gestern nun CDU-Flugblätter, die die Ökosteuer als Drangsal denunzieren: Der abgebildeten Frau schnürt ein Strick, der die Steuer symbolisiert, den Hals ab. Im Interview mit der taz kritisiert der umweltpolitische Sprecher der grünen Bundestagsfraktion, Reinhard Loske, „dass jetzt auch Merkel so tut, als sei das Benzin das Lebenselixier der Freiheit“. Die CDU-Generalsekretärin handele „scheinheilig“, so Loske. Gleichwohl steht für die rot-grüne Regierung das Schlimmste zu befürchten. Mit ihrer ersten Kampagne auf der Straße – damals gegen die doppelte Staatsbürgerschaft für ImmigrantInnen – hatte die CDU 1998 die hessische Landtagswahl gewonnen.

Mit ihrer zweiten Flugblattaktion will die Partei nun auch die Spendenaffäre um ihren Ehrenvorsitzenden und Ex-Kanzler Helmut Kohl vergessen machen. Unter anderem weil Kohl zugegeben hatte, illegal bis zu zwei Millionen Mark als Parteispenden entgegengenommen zu haben, sackte die CDU in Wählerumfragen um rund zehn Prozent ab. Die „Ära Kohl ist beendet“, erklärte Spitzenkandidat Rühe deshalb gestern anlässlich des schleswig-holsteinischen Wahlkampfes. Zuvor hatte bereits CDU-Partei- und -Fraktionschef Wolfgang Schäuble diese Formulierung gebraucht.

Doch das „System Kohl“, das die Partei nun umstandslos entsorgen will, gehört nicht der Vergangenheit an. Auch gegenwärtige Parteiführer stehen in der Kritik. Volker Rühe etwa amtierte zu Zeiten der Kohlschen Spendenpraxis als CDU-Generalsekretär. Und Wolfgang Schäuble kann bislang nicht erklären, warum seine Fraktion trotz gesetzlichen Verbots über eine Million Mark an die Partei auszahlte – wo das Geld auf den Schwarzgeldkonten landete. Hannes Koch

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