: „Schamlose Habgier“
Michael Batz beleuchtet in Betr.: Ehem. jüd. Eigentum den Zusammenhang zwischen „Arisierung“ und Speicherstadt ■ Von Liv Heidbüchel
Was wäre Hamburg ohne seine Speicherstadt? Sicher um eine touristische Attraktion ärmer. Zumal um eine, die vielen Hamburgern stolz die hanseatische Patriotenbrust schwellen lässt. Und nicht zuletzt schätzt man die hier wabernde fernöstliche Exotik mit ihren würzigen Düften. Dass aber während der NS-Zeit auch ganz andere Dinge als Tee, Kaffee und Gewürze in den riesigen Lagerhallen Platz fanden, gehört noch heute zu den nahezu unbekannten respektive gern verdrängten Fakten im Zusammenhang mit der Speicherstadt. Gelagert wurden hier nämlich ungeheure Mengen an Umzugsgut emigrierter Juden – verpackt in Container mit der umgangsprachlichen Betitelung „Judenkisten“.
Dem Verbleib dieser Habe ist Michael Batz nachgegangen, und als Ergebnis seiner Recherche liegt nun ein Lesestück vor. Der Hamburger Autor und Theatermacher hat seit Jahren einen engen Bezug zum Freihafen, um den seine Produktionen schon oft kreisten – als bekannteste die allsommerliche Open-Air-Aufführung des Hamburger Jedermann. Für sein neues Projekt Betr.: Ehem. jüd. Eigentum studierte Batz ein halbes Jahr lang rund 700 Akten des Staatsarchivs. Markante Stellen dieser Formulare machen auch den Großteil des Lesestücks für vier Schauspieler seines Hamburg Art Ensembles aus. In Rolf Becker, Erik Schäffler, Mignon Remé und Isabella Vértes hat er zwei ältere und zwei jüngere Stimmen gefunden, die die Textmontage zum Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus vortragen werden.
Versetzt mit Aussagen eines aktuellen Interviews und Textergänzungen von Batz selbst, sollen die Originaldokumente erhellen, wo-rüber in vielen Haushalten geschwiegen wird: dass sich sowohl die Stadt Hamburg als auch Zehntausende Privatpersonen an jüdischem Besitz bereichert haben. Und zwar in einer Form, die für Batz „eine Mischung aus Verwertungswut, Menschenverachtung, Habgier und Bürokratismus“ ist: der Versteigerung.
Nach Kriegsausbruch lag es vorerst in der Hand der Gestapo, die Lagerhallen der Speicherstadt zu räumen und den Inhalt der Container auf Auktionen loszuschlagen. Schon bald etablierte sich diese Art der Warenbeschaffung und wurde ab 1941 Angelegenheit der Oberfinanzdirektion. Unmengen an Hausrat und mobilen Dingen blieben nunmehr täglich in den Wohnungen der deportierten Juden zurück – und bildeten an Ort und Stelle Schnäppchenmärkte. Hinzu kamen die immensen Importe aus Holland und Belgien: „Kolonnen, die sich ins Hirn fressen“, berichtet Batz, deren Zurkenntnisnahme allein schon eine „höllische Disziplin“ erfordere.
Auf den Versteigerungen in den Wohnungen nahmen viele Hamburger mit immer schamloserer Selbstverständlichkeit günstige Okkasionen wahr, schließt Batz aus den Resultaten seiner Nachforschungen. Auf diese Weise verhakten sich Nutznießertum in der Bevölkerung mit der „Arisierungs“-Politik des Nazi-Regimes – minutiös in den Akten festgehalten. So erteilen etwa Dokumente darüber Auskunft, wie jemand buchstäblich den letzten Löffel abgibt: ekelerregende bürokratische Genauigkeit gerichtet auf den gelungenen Verkauf eines einzigen Silberlöffels, dessen Besitzer allein noch diesen Wertgegenstand besaß.
Batz versteht sich in seinem Lesestück eher als „Geschichtenerzähler“ denn als Aufklärer. Doch hat die Geschichte eine klare Appellfunktion: Batz wünscht sich, dass die Hamburger nicht nur Hamburg und den „Märchenort Speicherstadt“ in einem anderen Licht sehen, sondern auch das eine oder andere liebgewonnene Möbelstück im Wohnzimmer. „Lebenslügen entfernen“ nennt Batz dies. Und hofft darauf, dass damit so manche Familiengeschichte aufgearbeitet wird.
So, 23. Januar, 15 Uhr, Ernst- Deutsch-Theater; Di, 25. Januar, 19 Uhr, Rathaus, Großer Festsaal, kostenlose (!) Karten können reserviert werden unter Tel.: 42 831-24 09
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen