: Die „zarte Blüte“der Türkei ist tot
Konca Kuris, einst als „islamische Feministin“ gepriesen, ist eines der Opfer der Hisbullah
Istanbul (taz) – Sie kam 1960 in einer ärmlichen Familie im südostanatolischen Urfa zur Welt. Die Armee hatte erstmalig geputscht und es herrschte „Ruhe“ im Land. Ihr Vater ging zum örtlichen Einwohnermeldeamt und sagte dem Beamten den Namen des Mädchens: „Gonca“ (zarte Blüte). Der Beamte verstand den Dialekt nicht und notierte „Konca“.
Später sollte die freundlich aussehende Frau bei zahllosen Medienauftritten mit einer nahezu kindlichen Ehrlichkeit und großem Engagement öffentlich ihre provokanten Thesen verteidigen und selbst gegen Missverständnisse ankämpfen.
Als sie zwei Jahre alt war verließ Kuris’ Familie ihre Heimat auf der Suche nach besseren Lebensumständen. In Mersin am östlichen Mittelmeer konnte sie die Berufsschule für Mädchen besuchen, eine bessere Haushaltsschule.
Außer in der Moschee und auf dem Friedhof hatte sie nie den Kopf bedeckt. Mit 17 wurde sie verheiratet. Sie gebar das erste ihrer fünf Kinder. Der Schwiegervater wollte, dass die junge Frau fortan ein Kopftuch trug. Sie fügte sich dem Wunsch der Männer.
Aber sie las, stellte Fragen und wollte mehr über den Islam erfahren. Zuerst verkehrte sie in einem Nakschbandi-Orden, eine Mystikersekte. Zum ersten Eklat kam es dort, als ihr die Wäsche des Sektenoberhaupts vorgelegt wurde. „Warum soll ich seine Wäsche waschen, auch wenn er der Scheich ist?“ rebellierte sie. Und musste sich von dem Orden trennen.
Sie begann die heiligen Texte auf Türkisch zu lesen, weil sie kein Arabisch sprach. 1987 kam sie mit der türkischen Hisbullah in Kontakt, die in Mersin sehr aktiv war. Sie nahm an „Bildungsseminaren“ teil, aber die vermehrten nur ihre Fragen: „Warum müssen Frauen und Männer getrennt sitzen?“ „Ist es nicht lächerlich, dass wir für eine gemeinsame Sache eintreten, aber ich mich vor euch verstecken muss?“ Sie wurde von der Hisbullah in den Iran geschickt. Doch was sie dort sah, gefiel ihr noch weniger.
Konca Kuris kam langsam zu der Auffassung, dass der Koran falsch ausgelegt wurde, weil seine Interpreten stets Männer waren. Sie bestätigten nur die Überlegenheit des Mannes, was aus dem Koran so nicht hervorging. Als ersten radikalen Schritt legte sie ihren Schleier ab und warf damit auch ihre Beziehungen zu Hisbullah über Bord.
Sie begann Bücher zu schreiben. Und wurde von den türkischen Medien entdeckt, denen ihre „antifundamentalistischen“ Ansichten gefielen. Frauen müssten sich bei Bestattungsfeiern in der Moschee mit Männern einreihen dürfen, forderte sie, ebenso wie das Recht, statt auf Arabisch auf Türkisch beten zu dürfen.
Erste Erfolge stellten sich ein, als hier und da aufgeklärte Imame begannen, Frauen mitbeten zu lassen. Kuris wurde zur „islamischen Feministin“ erklärt, zur weiblichen Leitfigur eines moderneren „türkischen Islam“ gegen den islamistischen Mainstream.
Am 16. Juli 1998 wurde sie vor ihrem Haus entführt. Die Suche blieb ohne Erfolg. Wie ihre festgenommenen Peiniger jetzt gestanden, wurde sie 35 Tage lang gefoltert und verhört: „Sollst du zum Salman Rushdie, zur Taslima Nasrin des Landes gemacht werden? Wirst du von der Armee unterstützt? Wer sind deine Hintermänner?, wollten die Folterer von ihr wissen.
Alles nahmen sie auf Video auf. Sie leistete fast einen Monat lang tapfer Widerstand. Zum Schluss flehte sie ihre Henker an: „Ich habe mich geirrt“, sagte die fünffache Mutter, „ich hätte mich nie von euch trennen sollen. Es lebe die Partei Gottes, die Hisbullah!“ Es rettete sie nicht. Ihre Stimme wurde erstickt. Dilek Zaptçioglu
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