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Allah kommt auf den Stundenplan

■ Bundesgericht ebnet islamischem Unterricht durch umstrittene Islamische Förderation den Weg. Der Verband steht der fundamentalistischen Milli Görüs nahe. Berlin hatte das Gericht darüber nicht informiert

Berlin (taz) – An Berliner Schulen wird es erstmals in der Bundesrepublik islamischen Unterricht geben. Das Bundesverwaltungsgericht hat gestern die Islamische Föderation Berlin e. V. als Religionsgemeinschaft anerkannt, die damit zur Erteilung des Unterrichts berechtigt ist.

Das Bundesgericht bestätigte damit das Urteil des Berliner Oberverwaltungsgerichts vom 4. November 1998. Dagegen hatte das Land Berlin Revision eingelegt. Damit gibt das Bundesverwaltungsgericht grünes Licht für bekennenden Islamunterricht an den öffentlichen Schulen: ein Novum in der Geschichte der Bundesrepublik – und ein Urteil mit Signalwirkung. Nach Auffassung des Religionswissenschaftlers Peter Heine wird die Zulassung der Islamischen Föderation dazu führen, dass nun auch zahlreiche andere islamische Gruppierungen dieses Recht für sich beanspruchen. Das gebe ein „heilloses Durcheinander“.

Der bildungspolitische Sprecher der Grünen, Özcan Mutlu, bedauert den Richterspruch, da die Islamische Föderation wegen ihrer Nähe zu der islamistischen Auslandsorganisation Necmettin Erbakans, Milli Görüș, sowie zu der in der Türkei verbotenen Wohlfahrtspartei unter der Berliner Bevölkerung islamischen Glaubens höchst umstritten sei. Sie könne nicht als legitime und akzeptierte Vertretung der Muslime in Berlin gesehen werden.

Für Berlins Schulsenator Klaus Böger ist das Urteil ein Hinweis darauf, dass Berlin eine neue Rechtsform für den Religionsunterricht braucht. Wie in Bremen und Brandenburg ist in der Hauptstadt Religionsunterricht kein ordentliches Schulfach. Bekennender Unterricht wird hier als Zusatzangebot unter der Federführung der zuständigen Religionsgemeinschaften erteilt.

Die Verflechtung der Islamischen Föderation mit Milli Görüș (siehe taz vom 21. Februar) war allerdings nicht Gegenstand der Verhandlung. Der Vorsitzende Richter Norbert Niehues wies wiederholt darauf hin, dass das Land Berlin trotz mehrmaliger Aufforderung durch das Oberverwaltungsgericht dem Gericht keinerlei Erkenntnisse über eine solche Verflechtung vorgelegt habe.

Das Bundesverwaltungsgericht konzentrierte sich deshalb lediglich auf die Frage, ob der Islamischen Föderation Züge einer Religionsgemeinschaft – ein erkennbarer Zusammenschluss und ein religiöser Konsens – zu attestieren seien und ob die Anerkennung der Föderation als Religionsgemeinschaft nach dem Berliner Schulgesetz im Widerspruch zum Grundgesetz stehe. In dem Revisionsverfahren machte das Land Berlin, vertreten durch den Verfassungsrechtler Bernhard Schlink, deutlich, dass es sich bei der Föderation um keine Religionsgemeinschaft handele, da im Zentrum ihrer Arbeit nicht das religiöse Bekenntnis, sondern kulturelle, gesellschaftliche und politische Aktivitäten stünden.

Das Gericht wollte darüber hinaus wissen, ob der Verein seinem ökumenischen Anspruch gerecht werde, neben der sunnitischen Glaubensrichtung auch die Schiiten und Aleviten zu vertreten. Die Föderation blieb eine befriedigende Antwort schuldig. Kein Wunder: Die oberste religiöse Instanz der Föderation ist ihr Imam Nail Dural, der gleichzeitig Mitglied von Milli Görüș ist.

Schlink kritisierte, dass die Föderation etwas zusammenfügen wolle, was nicht zusammengehe. Es werde mit dem Koran als gemeinsamem Bezugspunkt aller Muslime zwar eine gemeinsame Grundlage aufgestellt, die Entscheidungsstruktur in religiösen Fragen könne jedoch nur von den Sunniten akzeptiert werden.

Berlins Ausländerbeauftragte Barbara John sprach sich gegen die Übernahme des Unterrichts durch die Islamische Föderation aus. „Man würde sich wieder nicht auf den Religionsunterricht, sondern auf die Auseinandersetzung mit dieser Gruppe konzentrieren.“ John schlug stattdessen einen Träger vor, in dem mehrere Gruppierungen vereinigt sind.

(AZ: BVerwG 6C 5.99)

Julia Naumann, Eberhard Seidel

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