Ein Vorkämpferund Aufklärer

Magnus Hirschfeld wird am 14. Mai 1868 als sechstes von sieben Kindern einer Arztfamilie in Kolberg (Pommern) geboren. Nach Abitur Studium neuerer Sprachen in Breslau, dann der Medizin in Straßburg, München, Heidelberg und Berlin. Promotion am 13. Februar 1892 in Berlin. Vier Jahre darauf Eröffnung einer Arztpraxis in Charlottenburg, damals noch ein gutbürgerlicher Vorort Berlins. Redakteur der Zeitschrift Der Hausdoctor; Publikation des so genannten Homosexuellenmanifests Sappho und Sokrates.

1897 Gründung des Wissenschaftlich-humanitären Komitees (WhK) zusammen mit Eduard Oberg, Max Spohr und Franz Josef von Bülow. Im gleichen Jahr Petition gegen den Paragrafen 175 an den Reichstag. Das erste Jahrbuch für sexuelle Zwischenstufen erscheint 1899, zwei Jahre später die Aufklärungsbroschüre unter dem Titel „Was soll das Volk vom dritten Geschlecht wissen?“

1904 Verurteilung zu einer Geldstrafe von zweihundert Mark nach Anzeige durch fünf Studenten, die sich durch einen Fragebogen des WhK zu ihrer sexuellen Orientierung beleidigt fühlten. Erste Differenzen mit der jungen Disziplin der Psychoanalyse: Wer hat erstmals die Idee von der menschlichen Bisexualität formuliert? Im weiteren Verlauf seiner soziologischen und medizinischen Arbeiten nie wieder Annäherungen an die subjektiven Konzepte Sigmund Freuds. Mehr noch: Ein Freudschüler, C. G. Jung, greift den jüdischen Arzt wegen seiner grundsätzlich einverständigen Beurteilung des Homosexuellen massiv an.

Am 24. Mai 1919 Uraufführung des ersten Homosexuellenfilms Anders als die anderen, in dem Hirschfeld als Sachverständiger einen homosexuellen Angeklagten als honoriges Gesellschaftsmitglied beurteilt. Der „Einstein des Sex“ ist mittlerweile völkischen Kreisen so prominent, dass er am 4. Oktober 1920 Opfer eines Attentats von rechtsradikalen Korpsstudenten wird.

Die langjährigen Freundschaften mit Politikern wie August Bebel und anderen Sozialdemokraten beginnen sich zu lohnen. Im Oktober 1929 beschließt der Reichstagsausschuss die Reform des Sonderstrafrechts gegen Homosexuelle. Einen Monat später tritt Magnus Hirschfeld vom WhK-Vorsitz zurück. Nach ausgedehnten Reisen nach Japan, China, Indonesien, Indien, auf die Philippinen, nach Ägypten und Palästina – damals Traumziele von Homosexuellen – Rückkehr nach Europa, zunächst nach Wien, später nach Ascona.

Den Nazis war die Zerstörung des WhK eines der wichtigsten Anliegen am Beginn ihres Regimes. Am 6. Mai 1933 wird das Berliner Institut für Sexualwissenschaft zerstört; das Archiv – darin so gut wie alle soziologischen und medizinischen Forschungsunterlagen Hirschfelds – geht in Flammen auf. Das WhK löst sich im Juni jenes Jahres selbst auf.

1935, an seinem 67. Geburtstag, stirbt Magnus Hirschfeld, in seinem Nizzaer Exil.

Literatur: Manfred Herzer/James D. Steakley (Hrsg.): Magnus Hirschfeld – Von einst und jetzt. Geschichte einer homosexuellen Bewegung. Berlin 1986, 213 Seiten, 32 Mark. Magnus Hirschfeld: Berlins drittes Geschlecht (mit einem Anhang von Paul Näcke). Berlin 1991, 197 Seiten, 50 Abbildungen, 29,80 Mark. Manfred Herzer: Magnus Hirschfeld – Leben und Werk eines jüdischen, schwulen und sozialistischen Sexologen (erscheint demnächst als verbesserte Neuausgabe). Schwules Museum/Akademie der Künste (Hrsg. des Ausstellungskatalogs): Goodbye to Berlin. 100 Jahre Schwulenbewegung. Berlin 1997, 386 Seiten, 98 Mark. Alle Titel im Verlag Rosa Winkel.

Der Berliner Fotograf Ingo Taubhorn, der vor zwei Jahren das taz.mag zum Internationalen Frauentag („Der Traum Frau“) illustrierte, hat die Dreharbeiten von Rosa von Praunheims „Der Einstein des Sex“ fotografisch begleitet. Seine Aufnahmen sind bis 30. April unter dem Titel The Making of ... im Berliner Café Melitta Sundström (Mehringdamm 61) zu sehen.

Das wilde Jahrhundert in Beispielen heißt ein Stadtrundgang durch das Homoberlin Hirschfelds (Sonntag, 19. März, Dennewitzplatz, 15–18 Uhr). JAN FEDDERSEN