Schlussstrich nicht erlaubt

Das Bundesverfassungsgericht hält die Veröffentlichung von Listen ehemaliger Stasi-Mitarbeiter für sinnvoll

FREIBURG taz ■ Ein moralischer Sieg für das Neue Forum. Per Verfassungsbeschwerde hatte sich die ostdeutsche Wendepartei gegen das Verbot gewandt, eine Liste mit 4.500 Inoffiziellen Mitarbeitern (IM) aus Halle zu veröffentlichen. Zwar wurde die Klage in Karlsruhe nicht zur Entscheidung angenommen, doch zeigte eine mit drei Richtern besetzte Kammer des Gerichts viel Verständnis für die Bürgerrechtler.

Das Neue Forum hatte die in Halle kursierende 112-seitige Liste im Juli 1992 in seinen Geschäftsräumen ausgelegt. Rund 700 Bürger informierten sich dort, bis schließlich auch die Bild-Zeitung begann, die Namen zu publizieren.

Zum Rechtsstreit kam es, als einige Bürger, die auf der ausgelegten Liste standen, vom Neuen Forum die Streichung ihrer Namen verlangten. Tatsächlich entschied 1993 das Oberlandesgericht Naumburg, das Persönlichkeitsrecht der Betroffenen sei auch dann verletzt, wenn die Angaben richtig seien. Für eine Nennung ehemaliger IMs gebe es keinen Informationsbedarf mehr, Struktur und Ausmaß des Stasi-Apparats seien bekannt. Der Bundesgerichtshof bestätigte die Entscheidung und wandte sich dagegen, ehemalige IMs „an den Pranger zu stellen“.

Das Bundesverfassungsgericht hielt diese Argumentation nun aber für „nicht unbedenklich“. Konkret hieß es in der Entscheidung: „Es ist nicht die Aufgabe staatlicher Gerichte, einen Schlussstrich unter eine Diskussion zu ziehen.“ Die Nennung konkreter Namen habe den Umfang des Stasi-Systems auch anschaulicher machen können als die „Abstraktheit bloßer Zahlen“. Messbaren Erfolg hatte die Verfassungsklage aber nicht. Die Zivilgerichte hätten den Wert der Meinungsfreiheit „nicht grob verkannt“, erklärte Karlsruhe (Az.: 1 BvR 1582/94).

CHRISTIAN RATH