: Finger weg von Jugendlichen
Enquete Kommission Jugendkriminalität legt Ergebnis vor: Zu wenig offene Jugendarbeit und Erziehungshilfen, zu viel Bürokratie ■ Von Elke Spanner
Bei Kindern und Jugendlichen darf der Staat nicht sparen. Die „Enquetekommission Jugendkriminalität“ empfahl gestern in ihrem Abschlussbericht, die offene Kinder- und Jugendarbeit aus der Haushaltskonsolidierung herauszunehmen, also deren Etat nicht weiter anzutasten. Denn ein „Angebot an offenen Freizeitstätten gilt als Voraussetzung für die Verhinderung von Jugendkriminalität“, und die Versorgungslage in Hamburg, so die von der Bürgerschaft vor zwei Jahren eingesetzte ExpertInnenrunde, „reicht nicht aus“. Zudem würden Erziehungshilfen für Eltern „erheblich vernachlässigt“.
„Unsere Ergebnisse müssen sich in den Haushaltsberatungen niederschlagen“, mahnte die Obfrau der GAL im Ausschuss, Sabine Steffen. „Andernfalls würde der Bericht von der Bürgerschaft nicht hinreichend gewürdigt.“ Auch die SPD steht hinter der Forderung, bei der Jugendarbeit nicht zu sparen – im Prinzip. Schließlich haben auch die sozialdemokratischen VertreterInnen den Bericht unterschrieben, und die SPD-Obfrau Karin Rogalski-Beeck hat Konsequenzen angekündigt. Aber natürlich, rudert sie zurück, „werden wir nicht alles sofort umsetzen können“, ohnehin „ist mit mehr Geld nicht alles zu machen“. Auch die SPD-Senator-Innen Lore Maria Peschel-Gutzeit (Justiz), Ute Pape (Schule) und Hartmuth Wrocklage (Inneres) sprachen sich in einer ersten Stellungnahme dafür aus, „vorrangig zu prüfen, welche Möglichkeiten zur Optimierung des Mitteleinsatzes und einer Effizienzsteigerung bestehen“.
Die Kommission war nach dem Mord an dem Lebensmittelhändler Willy Dabelstein durch zwei Jugendliche von der Bürgerschaft eingesetzt worden. Sie hat zum einen die jugendpolitische Prävention untersucht, zum anderen die staatliche Reaktion auf Jungen und Mädchen, die bei einer Straftat erwischt wurden. Kriminalität, schickt der Bericht vorweg, ist „kein geeignetes Phänomen, die Jugend in ihrem Kern zu charakterisieren“. Denn 95 Prozent aller Kinder und 90 Prozent der Jugendlichen gerieten niemals mit dem Gesetz in Konflikt. Für diejenigen, die einen Diebstahl, eine Körperverletzung oder einen Raub begehen, seien die gesetzlichen Rahmenbedingungen ausreichend, so das Resümee des Vorsitzenden Peter Kastner: „Hier besteht kein Änderungsbedarf.“
Allerdings übte die Kommission auch Kritik an der behördlichen Praxis. Mangelhaft sei etwa, dass der persönliche Kontakt der Delinquenten zur Staatsanwaltschaft und den Gerichten zu stark durch schriftlich-bürokratische Erledigung ersetzt werde. Prinzipiell erfolgreich sei hingegen der Versuch, bei leichteren Delikten nicht mit Strafen, sondern mit Erziehungsmaßnahmen zu reagieren.
Die Kommission hält auch daran fest, keine geschlossenen Heime für sogenannte Intensivtäter einzuführen. Acht der 17 Mitglieder legten dagegen allerdings ein abweichendes Votum ein. Sie wollen in „pädagogisch begründeten Einzelfällen eine verbindliche Unterbringung“ ermöglichen.
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