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„Ich rede nicht von Revolution“

Interview von MATTHIAS GREFFRATH und CHRISTIAN SEMLER

taz: In ihrer Charta 2000 rufen Sie zur Gründung eines europäischen Netzwerks kritischer Intellektueller und sozialer Bewegungen auf. Ist das die Gründung einer europäischen APO?

Pierre Bourdieu: Es geht darum, für eine Vielfalt kritischer Kräfte – Wissenschaftler und soziale Bewegungen – eine Organisationsform zu finden. In jedem Land gibt es fünfzig bis hundert kritische Zeitungen und Zeitschriften voller Analysen für die Zukunft Europas und der Welt. Aber all das ist unverbunden, und die Gruppen konkurrieren miteinander. Die Herrschenden haben internationale Kontakte, sie haben die Mittel zum Reisen und sind polyglott. Es gibt eine große internationale Brüderschaft der Unternehmen, der Großjournalisten und so weiter. Unten sind die Leute vereinzelt. Wir versuchen die Kräfte auf der Gegenseite zu vereinen. Die großen Unternehmen haben ihre Berater für Marketing, Publicity und Bilderproduktion. Sie wisen, wie man sich der Medien bedient. Und eine Funktion der Sozialwissenschaft könnte es sein, so etwas auf der Gegenseite zu organisieren und den Leuten zu sagen: Die Konflikte sind nicht unbegreiflich, es gibt Lösungen.

Ich habe einmal in Frankfurt das Problem der Internationalisierung der Gewerkschaftsbewegung analysiert. Die internationale Vernetzung der Arbeiterbewegung ist nicht dicht genug. In jeder Gewerkschaft gibt es zwei oder drei Spezialisten für internationale Beziehungen, aber die sind vom Rest der Gewerkschaft abgekoppelt. Wir setzten einen französischen und einen deutschen Wissenschaftler zusammen. Die sollen versuchen, eine Lösung vorzuschlagen.

Heißt das, dass Sie an der instititutionalisierten Politik der europäischen Sozialdemokraten verzweifelt sind?

Ich glaube ja. Aber es ist eine sehr allgemeine Verzweiflung, die von sehr vielen Menschen geteilt wird. Ich glaube, wenn man alle Menschen mobilieren könnte, die augenblicklich über die sozialdemokratische Politik verzweifelt sind, da kämen schon einige zusammen. Und ich glaube, wenn jemand wie Haider es schafft, diese Verzweiflung aufzunehmen, haben wir ein großes Problem.

Aber es geht nicht nur um die Ausgeschlossenen und die Arbeitslosen. Es gibt viele, die Arbeit haben, aber sehr unglücklich darin sind. Es gibt auch viele Angestellte, die sehr unglücklich sind und viel Geld dafür ausgeben. Sie sorgen sich um ihre Kinder. Andere sind im Grunde antirassistisch, aber sie sind unglücklich, weil ihre Kinder auf Schulen gehen, an denen Unterricht nicht mehr möglich ist. All diese Probleme werden von der Politik weggewischt und von denen ignoriert, die an der Macht sind.

Ist es wirklich möglich, ein soziales Bewusstsein in Europa zu konstruieren? Die Arbeiter sind immer noch sehr auf den Nationalstaat fixiert, und zwar mit einem gewissen Recht.

Das ist das Problem unserer Epoche. Wenn man heute, vor allem in Deutschland, sagt, der Sozialstaat sei etwas Archaisches, dann stimmt das nur insofern, als die Leute daran gewöhnt sind, im nationalen Kontext zu kämpfen. Das ist kein Nationalismus. Auch wenn die Kämpfe in Frankreich national sind, gibt es doch eine starke internationalistische Tradition, und wir sehen heute, dass etwa die Arbeitslosenbewegung oder die Leute um José Bové zwar sehr lokal und in unseren nationalen Traditionen kämpfen, aber doch mit einer internationalistischen Absicht.

Die CGT zum Beispiel, die große Gewerkschaft, die aus der kommunistischen Tradition hervorging, ist im Grunde sehr beunruhigt von diesen neuen Formen transnationaler Kämpfe. Ich glaube allerdings, die neuen Bewegungen müssen sich des Nationalstaats bedienen, um sie zu überschreiten. An dieser Stelle kommt die Arbeit der Intellektuellen ins Spiel. Allerdings nicht ihre allein. Oft haben die Militanten der sozialen Bewegung Antworten auf theoretische Fragen, die ich nicht beantworten könnte. Ich glaube, dass wir nur neue Antworten finden, wenn Menschen mit Erfahrungen aus der Arbeit und wir Intellektuellen zusammenwirken.

Sie haben 1995 am Gare de Lyon den streikenden Arbeiten gesagt: „Ihr habt eine Zivilisation zu verteidigen.“ Zielt Ihre Vision eines europäischen Sozialstaats gegen den globalen Neoliberalismus nicht auf eine Art politischen europäischen Separatismus?

Überhaupt nicht. Es gibt zum Beispiel den Willen, die französischen Kleinbauern zu verteidigen, aber gleichzeitig die Interessen der Kleinbauern und der Landlosen in Bolivien. Die Aktivisten müssen dort hinreisen, und man muss Vertreter aus Bolivien einladen. Das ist geschehen. Diese Gruppen denken gleichzeitig sehr partikularistisch und sehr internationalistisch. Sie denken politisch außerordentlich komplex. Dafür gibt es kein Äquivalent in den großen europäischen Gewerkschaften. Dort gab es überall einen Internationalismus sowjetischer Art. Das heißt, diese neuen sozialen Bewegungen wollen kein Inseleuropa verteidigen, aber eine bestimmte Art der Staatlichkeit, der sozialen Verwaltung der Gemeinden, und das bringt sie in Verbindung mit den Interessen von Leuten etwa in Korea.

Uns ist nicht ganz klar, wie Sie sich die Verbindung denken zwischen den oppositionellen, außerparlamentarischen Bewegungen an der „Peripherie“ und den europäischen Institutionen.

Sie fragen nach der Basis. Man kann sagen, es gibt keine, aber man kann auch sagen, die Basis besteht aus den Leuten, die sie herstellen. Das beste Beispiel ist die Arbeitslosenbewegung. Ich habe gesagt, dass diese Bewegung ein soziales Wunder ist. Die Soziologie lehrt, von Paul Lazarsfeld bis heute, dass die Arbeitslosen und die prekär Beschäftigten sehr schwer zu mobilisieren und noch schwerer zu organisieren sind. Denen aber ist es gelungen, sich zu organisieren. Sie haben politische Führer völlig neuen Typs hervorgebracht und sie haben sogar etwas Internationales zustande gebracht, zum Beispiel die Beteiligung an dem Arbeitslosenmarsch in Deutschland. Oder nehmen Sie den Kampf um die Tobin-Steuer, den die Gruppe Attac führt. Das alles gibt es schon. Das Problem ist nur, dass die Linke an der Regierung diese Bewegungen nicht unterstützt. Jospin und seine Freunde kennen diese Bewegungen gut genug, um sie zu fürchten – und um sie zu bekämpfen.

Der Gegner all dieser Widerstandsbewegungen ist der Neoliberalismus. Aber Ideologien greifen nur, wenn ihnen in der Wirklichkeit etwas entgegenkommt. Die neue Mitte weiß ja inzwischen, dass sie ein Drittel der Bevölkerung in die Unsicherheit verbannen muss, um ihre Position zu halten. Was müsste geschehen, damit diese Menschen ihre Spaltung in Positionsbewahrer und moralische Wesen aufgeben könnten?

Die konservativen Soziologen sprechen seit 50 Jahren von der nivellierten Mittelstandsgesellschaft: Es gibt keine Klassen mehr, nur noch eine große Mitte. Es stimmt: Das klassische Proletariat findet man nicht mehr. Dafür gib es eine ganze Reihe neuer, beherrschter Schichten, die nach den alten Kriterien eigentlich in diese große Mittelklasse gehören. Die Kassiererin im digitalisierten Supermarkt oder die Computer-Schreibkraft, die Bestellungen annimmt, das sind keine Fabrikarbeiterinnen mehr, sie sind nicht so gekleidet, ihre Arbeitsorganisation ist anders, sie haben keine gewerkschaftlichen Vertretungen, aber sie nehmen in ihrer Gesamtheit die Position der traditionellen Arbeiterklasse ein.

Das Problem ist: Die neuen Formen der Arbeitsorganisation führen dazu, dass diese Menschen sich nicht wie die früheren Ausgebeuteten organisieren können. Sie arbeiten halbtags, ihre Wohnungen sind weit entfernt vom Arbeitsplatz, die Arbeitszeiten sind fast schon individualisiert. Ihre Arbeitswege wachsen von zu Jahr. Das ist ein großes Hindernis für die Mobilisierung, Früher war der Arbeitsschluss der Augenblick der Mobilisierung, Flugblätter wurden verteilt, Versammlungen einberufen. Der Arbeiter, der achtzig Kilometer fahren muss, hat keine Zeit, der haut sofort ab, damit er noch den Abend für sich hat. All die alten Formen der Mobilisierung sind nicht mehr möglich.

Das heißt, das Elend wird molekular, und der Fatalismus wächst. Richard Sennett hat berichtet, dass englische Callcenter-Jobber unter miserablen Arbeitsbedingungen leiden. Auf die Frage, warum sie sich nicht gewerkschaftlich organisieren, winkten sie nur noch ab und sagten: Das war früher mal. Was soll man denen sagen?

Vielleicht muss man ihnen gar nichts sagen. Diese Frage – „Warum organisiert ihr euch nicht“ – das ist genau das Alte. Diese Leute werden ihre Erfahrungen machen, das Problem entdecken, aber in seinen neuen Formen. Sie politisieren sich vielleicht nicht an ihrem eigenen Arbeitsschicksal, sondern vielleicht an der Zukunft Ihrer Kinder. Ich glaube, dass hier ein neues großes Konfliktfeld sich entwickeln wird, wenn Bildung immer mehr zur Handelsware wird.

Vielleicht kommt das politische Bewusstsein ja von dieser Seite. Und es kann in bizarren Formen kommen. Nationalistisch zum Beispiel. Einer der Gründe für die soziale Bewegung, die wir vorschlagen, ist: Wenn wir nichts tun, wird es gewalttätige Bewegungen geben, wie zum Beispiel schon bei den Bauern, etwa in der Bretagne, die unzusammenhängende Gewalt der Verzweiflung, die sich dann hinter nationalistischen Ideen versammelt, weil ihre fundamentalen Interessen immer noch an nationale Strukturen gebunden sind. Das kann je nach Nation das Schulsystem sein, die Sozialversicherung oder das Gesundheitswesen. Und dann rufen alle: Haider, Haider, Hitler, Hitler!

Aber Haider hat absolut nicht mit Hitler zu tun. Das ist etwas Neues. Haider ist ein sehr moderner Führer. An dem ist nichts Archaisches. Auch Hitler war seinerzeit sehr modern und konnte die Medien virtuos benutzen. Wie heute die jugoslawischen nationalistischen Führer.

Also diese Callcenter-Leute zu fragen, warum sie sich nicht gewerkschaftlich organisieren, ist doch idiotisch. Die Antwort weiß ich vorher. Das heißt doch aber nicht, dass diese Leute nichts zum Ausdruck bringen. Wenn man denen zum Beispiel sagt, ihr kriegt jetzt eine amerikanische Tastatur statt der französischen, geht unter Umständen plötzlich die Revolte los. Und dann heißt es, das sind Nationalisten.

Wenn wir Ihr „Das Elend der Welt lesen“, etwa das Interview mit einem jungen LePenisten, haben wir den Eindruck von „akzeptierender Sozialarbeit“. Diese Leute drücken ihr Elend in faschistischen Gedanken aus, und Bourdieu sagt: „Ihr habt objektive Gründe.“

Das ist ein großes Problem. In einigen Kapiteln dieses Buches geben die Interviewten offen faschistische Ansichten von sich. Und wir sagen, diese Leute sind da, es geht nicht darum, sie zu kritisieren, sondern zu fragen: Warum haben Sie diese Ideen? Das heißt doch nicht, dass man ihre Ansichten rechtfertigt. Es gibt junge Faschisten, die Ansichten vertreten, die absolut unakzeptabel sind, und dennoch kann man den menschlich integren Grund dieser Ansichten finden. Unsere Aufgabe ist es, den Kontext zu erklären, in dem sie diese Ansichten äußern, und nicht die Worte dieser Menschen von den Bedingungen zu trennen, in denen sie sich herausbilden.

Die jungen Faschisten zu verurteilen, ist doch politisch sehr naiv. Als ich vor langer Zeit in Algerien gearbeitet habe, über das Subproletariat, gab es junge Frauen in Paris – das war um 1964 – ganz linke Frauen, die Arbeitslosen Geschenke vorbeibrachten und abends weinten, wenn sie davon erzählten. Einer meiner algerischen Freunde, ein Nationalist, tief erschüttert vom Leiden, der später von den OAS-Faschisten getötet wurde, sagte zu diesen Frauen: Was weint ihr, das ist doch Schwachsinn. Schaut auf Bourdieu, der weint nicht. So ist das.

Ich meine damit diese Art von larmoyanten Visionen – das führt zu nichts. Diese wohlmeinenden Leute sind das Resultat all dieser Umfragefakten. Die Predigten auf dem Niveau „Gut gegen Böse“ tragen mit zum Rassismus bei.

Die entrüstete Verurteilung der österreichischen Politik durch die französischen Sozialisten trägt auch dazu bei. Ich habe Interviews gemacht mit einer jungen Taxifahrerin, die mir sagte: „Es ist doch unglaublich. Diese Sozialistenheinis wohnen alle an der Place des Vosges. Jack Lang zum Beispiel. Oder sie residieren im 5. Arrondissement. Die sollen doch mal in meinem Quartier wohnen.“ Der rassistisch-faschistoide Diskurs einer Fraktion der beherrschten Klasse drückt die Empörung über den Pariser Kaviar-Sozialismus aus (resp. Cohiba-Sozialismus – d. Übers.). Der kostet nicht viel, gibt viel gutes Gewissen und bringt hohen symbolischen Profit. Das ist mir völlig zuwider. Man muss die sozialen Tatsachen achten.

In der Sozialdemokratie taucht zur Zeit ein Argument auf, das besagt, es sei eine Illusion zu glauben, „ausgeschlossene Dritte“ könnten wieder integriert werden. Alles, was der „dritte Weg“ bewirken kann, sei, zu verhindern, dass sie mit Steinen auf uns schmeißen. Deshalb Mindesteinkommen.

Ich glaube schon, dass die Debatte über ein allgemeines Bürgereinkommen sehr wichtig ist, ich sehe weder politische noch wissenschaftliche Gründe dafür, diesen Vorschlag abzuweisen. Es sei denn, er ist Ergebnis einer zynischen Realpolitik, die sagt: Gut, wir geben ihnen ein Minimum, als Teufelslohn, wie man auf Französisch sagt, so dass sie uns den sozialen Frieden nicht kaputtschlagen – und unsere Zweitwohnungen.

Auf der Rechten gab es schon immer aufgeklärte Herrscher – und der dritte Weg ist nichts anderes als das. Seine Vertreter sagen: Es gibt Schockunternehmer, die nur nach dem Maximalprofit streben, der auf die Dauer teuer kommt und zu sozialer Erbitterung führt. Man müsse eine Politik der intelligenten Konzessionen machen.

Man muss den intelligenten Herrschenden sagen: Unsere Untersuchungen über die Zukunft Europas ergeben, dass die Kehrseite einer radikalen Ökonomisierung eine Zunahme der Kriminalität, von Krankheiten nach sich ziehen wird. Beide sind ansteckend. Irgendwann könnten sie auch euch anstecken. Also ja zum Grundeinkommen – aber Almosen unter die Leute zu schmeißen, damit sie den Frieden nicht stören, ist nicht einmal aufgeklärter Zynismus.

Aber jenseits dessen kommt es natürlich darauf an, einen wirklich starken politischen Willen zu entwickeln, die gesamte soziale Struktur zu verändern. Ich spreche nicht von der Revolution.

Aber fast.

Man kann die Wirtschaft nicht weiter einfach so laufen lassen. Ich komme noch mal auf das Erziehungswesen zurück. Wenn man dessen schlimmste Auswirkungen nicht schnell korrigiert, wird das üble Folgen haben. Im Augenblick sind wir eher auf dem Weg zu einem internationalen System der Erziehung, das noch schlimmere Auswirkungen haben wird als die nationalen Systeme. Eine neue internationale Elite wird produziert, die in Harvard oder am MIT ausgebildet wird, alles Leute, die Englisch sprechen, mehr oder weniger dieselbe Anschauung der Welt teilen, die sich sofort untereinander verstehen und glauben, dass Anthony Giddens ein großer Denker ist. Dieser Entwicklung setzen unsere Schulsysteme nichts mehr entgegen, und deshalb kann man sie bei unseren politischen Anstrengungen nicht außen vor lassen. Die Frage ist, können wir denen mit unserer humboldtschen Idee von Erziehung noch etwas entgegensetzen. Ich bin bereit, Humboldt bis zum Letzten zu verteidigen.

Ihr „Elend der Welt“ erinnert an die Beschwerdebücher vor der Französischen Revolution. Und die „Charta 2000“ an die Enzyklopädisten, die das Elend sahen und kritische Gedanken, aber keine Massen hinter sich hatten. Wo stehen wir heute?

Die Analogie ist vielleicht gar nicht so schlecht. Die Lage ist sehr zweideutig. Vor allem, was das Herz der Mittelklasse angeht. Die Manager und die Höheren sind zwiegespalten. Einerseits beuten sie aus, andererseits werden sie selbst hyperausgebeutet. Sie machen leiden und leiden dabei selbst. Was werden sie tun? Wird sich diese Gruppe spalten?

Sie interessiert das Elend der Herrschenden?

Absolut. Es liegt in der Konsequenz dessen, was wir mit dem „Elend der Welt“ angefangen haben. Es gibt ein ernstes Elend auch oben, und es ist spannend zu beobachten, was daraus werden wird.

Selbst die Zufriedensten, die sagen, wir lebten in der Besten aller Welten, haben dieses Gefühl, dass es so nicht weitergehen kann. Und deshalb sind sie von Kritik erreichbar. Ich glaube, selbst Tony Blair hat nicht nur Sorgen, die nächste Wahl zu gewinnen. Ich glaube, er ist von fast metaphysischen Ängsten geplagt. Was tue ich eigentlich diesem Volk an? Die Intellektuellen sind da, um dieses Gefühl zu verstärken. Sie ziehen den Karren der Utopie und tragen das Feuer der Aufklärung. Vor 1789 haben sie viel zur Revolution beigetragen, und gleichzeitig haben sie nie etwas sehr Konkretes sagen können. Selbst Rousseau nicht. Sie haben geredet. Und viele haben geschwiegen.

Mich ärgern heute diejenigen, die intellektuell kollaborieren. Die nerven mich. Sie sagen, alles wird schon gutgehen. Das ist nicht ihre Aufgabe.

Ihre Gegner sind nicht in erster Linie die rechten, sondern die sozialdemokratisch gesinnten Intellektuellen?

Natürlich auch die Rechten. Aber die Beschäftigung mit ihnen ist banal. Daran ist man gewöhnt. Die intellektuellen Hofschranzen sind schlimmer. Sie geben der herrschenden Politik ein gutes Gewissen und wissenschaftliche Legitimation. All ihre Arbeiten sind aus zweiter Hand, Giddens hat nie eine Untersuchung gemacht, bei Beck bin ich nicht ganz sicher. Es sind keine Professionellen. Sie sind nett, gut erzogen und rhetorisch sehr viel besser als ich. Wenn sie nicht nur immer mit sich selbst reden, Kolloquien veranstalten und über „dritte Wege“ parlieren würden, könnten sie ganz andere Sachen hören und zur Sprache bringen. Die Soziologen, die sagen, alles sei in Ordnung, leisten einfach ihre Arbeit nicht. Die „Misère du monde“ war eine Antwort auf sie.

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