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Kehraus im Kanzleramt

Burkhard Hirsch hat seine Ermittlungen beendet. Resümee: Akten wurden systematisch, aber auch schlampig vernichtet

von TINA STADLMAYER und KARIN NINK

Ruhig und gelassen trug Sonderermittler Burkhard Hirsch seinen Bericht vor. Den Bericht über die schier unglaublichen Erkenntnisse, die seine im Februar begonnene Suche nach den verschollenen Akten im Kanzleramt erbracht hat.

Hirsch berichtete von der jahrelangen systematischen Urkunden- und Beweismittelvernichtung im Kanzleramt. Sein Resümee: In Kohls Amtszeit wurden im Kanzleramt „massiv und ohne Rechtsgrundlage Akten manipuliert und Daten gelöscht“. Die Akten wiesen „große Lücken auf, die auch von den beteiligten Damen und Herren nicht geklärt werden konnten“.

Hirsch blieb auch dann noch ruhig, als ihn die Unionsvertreter in der anschließenden Fragestunde angriffen, weil schon am Wochenende Einzelheiten des Berichts über die Medien veröffentlicht worden waren. Er ließ sich nicht erschüttern, als die Union seinen Vorwurf der „Manipulation“ zu entkräften versuchte. „Was wollen Sie mich eigentlich fragen?“, stutzte er den Unionsabgeordneten Schlee zurecht.

Hirsch war bei seinen Ermittlungen in der Behörde von zwei Beamten des Bundeskriminalamtes und besonders ausgewählten Kanzleramtsmitarbeitern unterstützt worden. Er hatte 79 Zeugen gehört, hatte sich mit den verschiedenen Datenverarbeitungssystemen des Amtes vertraut gemacht und in den Kellergemächern der Behörde herumgesucht. Als linksliberaler FDP-Parlamentarier hatte sich Hirsch immer für mehr Datenschutz eingesetzt. Die Aktenvernichter im Kanzleramt, so seine Erkenntnis, gingen zwar systematisch, aber auch ziemlich schlampig vor. So fand die Ermittlungstruppe im alten Kanzleramt in Bonn 99 vergessene Bänder mit Sicherungskopien von Computerdaten, die gelöscht worden waren. Die rekonstruierten Kopien belegen, dass im Kanzleramt nach der verlorenen Bundestagswahl nicht nur politische Konzepte, sondern auch Dokumente und entscheidungsrelevante Unterlagen gelöscht wurden. Dafür, so Hirsch, gebe es keine Rechtsgrundlage. Im September und Oktober 1998 wurden auf den Computern des Kanzleramtes zwei Drittel des Datenbestandes zerstört. Etwa drei Gigabyte, entsprechend 1,2 Millionen Seiten Papier, wurden gelöscht. Der ehemalige Kanzleramtschef Bohl behauptet seit Wochen, er habe keine Anweisung zum Löschen erteilt. Auch nach Hirschs Bericht bleibt die Frage offen: Wer war für die groß angelegte Aktion verantwortlich?

Ein aufschlussreiches Dokument, das bei den Sicherheitskopien auftauchte: Die Ost-Ministerpräsidenten hatten im September 1993 einen Brief an den damaligen SPD-Vorsitzenden Scharping geschrieben. Darin baten sie ihn, auf den Treuhand-Untersuchungsausschuss zu verzichten. Ihr Argument: Durch den Ausschuss könnte der Verkauf der Raffinerie Leuna in Gefahr geraten. Der Entwurf für diesen Brief wurde – das zeigen die Kopien – im Kanzleramt erstellt und von dort aus an die Ministerpräsidenten weitergeleitet.

Aus dem Leitungsbereich des Kanzleramts sind alle Akten verschwunden. Die aufgefundenen Sicherheitsbänder gaben den Ermittlern Hinweise darauf, dass sowohl Kohl als auch sein Kanzleramtschef Bohl umfangreiche Archive hatten. Hirsch sagte, es wäre in Ordnung, wenn die beiden CDU-Politiker beim Regierungswechsel nur Material, das mit der CDU zu tun hatte, mitgenommen hätten. In den Archiven fehlen aber offenbar auch Sachakten.

Offenbar wurden nicht alle fehlenden Akten vernichtet, sondern wurde brisantes Material gezielt „versenkt“ – so der Fachjargon für das Ablegen im falschen Ordner. Aktenzeichen, die zu den untersuchten Vorgängen nicht passten, waren der Schlüssel zum Ermittlungserfolg. Im Zusammenhang mit den Panzerlieferungen nach Saudi-Arabien entdeckte Hirsch Aktenzeichen, die zu Unterlagen über „humane Dorschfangmethoden“ gehörten. Ein Teil der Briefe des Waffenhändlers Schreiber steckte in einem Vorgang über die Weinbrennerei Asbach Uralt.

Hirsch berichtete, die Akten über den Verkauf der 36 Spürpanzer an Saudi-Arabien wiesen eine Lücke von zweieinviertel Jahren auf. Die Ordner, die der Treuhand-Untersuchungsausschuss Mitte der Neunzigerjahre angefordert hatte, wurden vor der Übergabe gesäubert. Sechs Ordner mit Originalakten zum Verkauf der Leuna-Raffinerie und der Minol-Tankstellen sind spurlos verschwunden. Die noch vorhandenen Kopien, so Hirsch, sind „weitgehend totes Material“, also unbrauchbar. Auch die Unterlagen zum Verkauf der Eisenbahnerwohnungen sind, so Hirsch, „chaotisch und unzusammenhängend“. Bei dem Geschäft sollen – ebenso wie beim Verkauf von Leuna/Minol und der 36 Panzer – Schmiergelder geflossen sein.

Zwei Berichte hat Hirsch angefertigt. Die Kurzfassung für den Untersuchungsausschuss umfasst 61 Seiten und enthält keine Namen. Die Langfassung geht an die Staatsanwaltschaft in Bonn. Sie enthält die Namen der Personen, die für die Aktenvernichtung unmittelbar verantwortlich sind. Die Erkenntnisse Hirschs werden wohl dazu führen, dass das laufende strafrechtliche Ermittlungsverfahren gegen Exkanzler Kohl so schnell noch nicht abgeschlossen wird. Die Ermittler fanden jedoch keinen Beweis für schriftliche oder mündliche Weisungen von Exkanzleramtschef Bohl oder Kanzler Kohl, Akten verschwinden zu lassen. Die beiden leugnen jede Verantwortlichkeit für den großen Kehraus. Daran wird sich wahrscheinlich auch am heutigen Vernehmungstag des Ausschusses nichts ändern, für den der eigentlich wichtigste Zeuge geladen ist: Kohl.

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