: Das gebaute Symbol des Anderen
Heute soll das Ahornblatt abgerissen werden. Doch längst schon hat sich eine Gegenwehr zum Abriss der Nachkriegsmoderne herausgebildet. Um DDR-Nostalgie geht es dabei nicht, sondern eher gegen den Ausverkauf und die Privatisierung der Stadt
von SIMONE HAIN
Das Ahornblatt ist ein Symbol. Mit seinen aufkragenden Spitzen steht es als expressive Herausforderung auf dem Wege zum „neuen Berlin“. Als sei es einer Zeichnung des russischen Revolutionsarchitekten Krinskij für den „Tempel neuer Gemeinschaft“ oder den Fantasien des „Arbeitsrates für Kunst“ entsprungen, verkörpert das Ahornblatt das Andere schlechthin.
Das Ahornblatt von Ulrich Müther ist die Gegenfigur zu den aufmarschierenden Formationen eines „steinernen Berlin“. Statt teutonischer Strenge und edler Einfalt leistet es sich im bewegten Auf und Ab seiner Kontur einen gänzlich undeutschen Übermut. Hyperbolische Paraboliden – die Architektur exakt berechneter Psychodelie – sind hier als Gruß aus den späten 60er-Jahren auf uns gekommen. Das war damals die Art, den Rastern des Bauwirtschaftsfunktionalismus einen Traum der Schwerelosigkeit entgegenzusetzen.
Heute soll die außer Rand und Band geratene, tänzerisch vor einem weiten Berliner Himmel inszenierte Nachkriegsmoderne durch Parzellenbindung und Verortung wieder zur Räson gebracht werden. Auch wenn es weh tut. Die Zwangsjacke „Planwerk Innenstadt“ wird an der Fischerinsel zum ersten Mal angewandt. Nie wieder wird jemand behaupten können, dass es dabei behutsam oder gar kulturvoll zugeht. Denn das störende Bauwerk ist technisch vollkommen intakt und hat sich überdies stadt- und weltweit Freunde gemacht. Wenn Senator Strieder klagt, es gäbe in der Stadt eine „übermäßige Anzahl von unpopulären Denkmälern“ – dieses kann er nicht gemeint haben.
Das Schicksal des Ahornblattes hat eine ungewöhnlich große öffentliche Anteilnahme bewirkt. Zuerst waren es Fachleute, dann junge Leute mit dem Faible für die Sechziger und Siebziger und zuletzt riefen Hamburger wie Steglitzer an, um nachzufragen, „was man denn um Himmelswillen noch tun könnte. Die können doch nicht die Moderne platt machen. Wir werden es alle schwer bereuen.“
Was sich hier zeigt, sind die ersten Anzeichen einer bürgerschaftlichen Gegenkultur. Ein Generationskonflikt gegenüber dem Machtkartell orthodoxer alternder Männer, die keinen Pardon geben wollen. Auch ein Protest gegen den Hochverwertungswahn, der den Staat in Gestalt der Oberfinanzdirektion zum größten Preistreiber werden ließ. Nun gibt es alternative Nutzungskonzepte für das Restaurant Moskau ebenso wie für das Studentendorf Schlachtensee oder den Palast der Republik. Der Beweis von Gegenliebe für die Moderne ist erbracht. Die nächste politische Generation will ihren Frieden mit den Hütten und Palästen des vergangenen Zeitalters der Stadt ohne (privatistische) Eigenschaften. Statt des Entweder-oder setzt sie den Imperativ des Und.
Geht es beim Ahornblatt aber nicht auch um gebaute DDR? Wie ist das mit der unheiligen Allianz von Ostalgikern und Denkmalpflegern, die Dieter Hoffmann-Axthelm an den Rand des Wahnsinns trieb? Nun, die hat sich in unserem Fall eindeutig als Fata Morgana erwiesen. Den Bewohnern der Fischerinsel war von den PDS- wie SPD-Ortsgruppen ein Schweigegebot auferlegt. Von engagierten Anwohnern dennoch eingebrachte Einsprüche wurden ignoriert. Der Denkmalgedanke ist gerade auf der Zuständigkeitslinie von Bausenator Peter Strieder, Senatsbaudirektor Hans Stimmann, Landeskonservator Frank Keidel und Baustadtrat Thomas Flierl verraten worden. Der Protest kam so spät, weil die Freunde des modernen Berlin zu lange auf den verpflichtenden Status des gesetzlich geschützten Denkmals vertrauten.
Als ginge es nur darum, Stimmann die Augen zu öffnen, der notorisch behauptet hatte, die „DDR-Architekten hätten ja nicht einmal die Berechnungsformel für einen einfachen Zimmermannsbalken gelernt“, mühten sich Europas renommierteste Tragwerksplaner am Beispiel Ulrich Müthers das Gegenteil zu beweisen. Falsch kalkuliert, denn wo blanker Hass regiert, hat das Prinzip Aufklärung keine Chance. Hans Stimmann geht noch immer davon aus, dass sein „Planwerk Innenstadt“ von einem breiten Konsens getragen ist. Doch handelt es sich lediglich um einen Konsens der potenziellen Aktionäre der „AG Bürgerstadt“, die ihr Kapital in Bauklötzchen festmachen wollen. Die Konfliktlinie, auf der das Ahornblatt stehen bleiben oder fallen wird, ist nicht die von modernistischer Monotonie versus Stadttradition, Stadtlandschaft oder Urbanität durch Dichte. Es ist schlicht die von öffentlichem Interesse und privater Spekulation.
Dass die Musterfassade der Schinkelschen Bauakademie und Müthers Schalen beides Kinder ein und desselben ingeniösen Geistes sind, dass „roter Kasten“ und „Ahornblatt“ in ihrer freikörperlichen Plastizität den Traum von einer arkadischen Stadtlandschaft verbürgen, spielt dabei keine Rolle. Zwei verschwisterte Figuren auf der Spreeinsel, Standbein und Spielbein einer Berliner Tradition. Auch die Bauakademie galt zeitweilig als unschöner Schandfleck und sollte – weil sie gegenüber dem Schloss einfach falsch stand – Ende des 19. Jahrhunderts aus dessen Blickfeld verschoben werden. So ändern sich Zeiten und Kunsturteile. Dieses Wissen um die historische Beschränktheit der Gegenwart ist es, das die Verteidiger des Ahornblattes so sicher in ihrem Anliegen macht.
Simone Hain ist Bauhistorikerin und ehemalige stellvertretende Vorsitzende des Landesdenkmalrates
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