: Mitte will ein ein autofreies Wohnviertel
Das Gelände, auf dem früher das Stadion der Weltjugend stand, ist noch immer eine Brache. Geht es nach dem Bezirk, soll hier ein autofreies Stadtviertel entstehen. Doch der Senat favorisiert ein modernes Wohngebiet – mit Tiefgarage
Wenn in acht Wochen die Olympischen Spiele in Sydney eröffnet werden, werden die Wunden der gescheiterten Berlin-Bewerbung noch immer nicht verheilt sein – jedenfalls nicht im Stadtbild. An der Chausseestraße war 1992 das ehemalige Stadion der Weltjugend abgerissen worden, um Platz zu schaffen für ein riesiges Olympiastadion. Es wurde nie gebaut. Etwas anderes auch nicht. Noch immer erstrecken sich mitten in der Stadt dreizehn Hektar Ödland.
Wenn es nach Markus Heller ginge, könnte dort schon bald ein autofreies Wohngebiet entstehen. Eine grüne Oase mitten in Berlin schwebt dem Architekten vor – mit einer renaturierten Panke und Parkanlagen statt Parkplätzen. Die Idee ist einfach: Wer in eine der geplanten 600 Wohnungen einziehen will, muss auf ein eigenes Auto verzichten, nicht aber auf Mobilität. „Das Gebiet ist bestens an den öffentlichen Nahverkehr angebunden“, erklärt Heller. „Im übrigen wird es eine Car-Sharing-Station auf dem Gelände geben.“ Durch das Wohngebiet sollen schmale Sträßchen führen, gerade breit genug, dass Krankenwagen oder Lieferfahrzeuge durchkommen. Ansonsten müssen Autos draußen bleiben, dafür haben spielende Kinder freie Fahrt.
Die Pläne für das Projekt liegen in der Schublade, Investoren sind gefunden. Vergangene Woche haben sich auch die Bezirksverordneten von Mitte mehrheitlich für ein autofreies Stadtviertel an der Panke ausgesprochen. Trotzdem ist völlig unklar, ob Hellers Entwürfe je die Schublade verlassen werden. Schon vor fünf Jahren nämlich wurde ein Architektenwettbewerb für das Gelände an der Chausseestraße ausgeschrieben. Und der damalige Gewinner hieß nicht Markus Heller, sondern Max Dudler.
Dessen Entwurf sieht ein modernes Wohngebiet mit Grün-, Spiel- und Sportflächen vor – und eine Tiefgarage für die Autos der Bewohner. Er unterstütze zwar die Idee des autofreien Wohnens, sagt der Architekt Dudler heute. „Aber Sie finden einfach keine 600 Leute, die 5.000 Mark für den Quadratmeter zahlen und ohne Auto leben wollen.“ Für ihn ist es die richtige Idee am falschen Ort. „Man kann in der Verlängerung der Friedrichstraße kein Ökodorf bauen.“
Was auf der landeseigenen Fläche am Ende gebaut wird, entscheidet der neu gegründete Liegenschaftsfonds, in dem das Land Grundstücke zusammengefasst hat, die es verkaufen will. Im zuständigen Ausschuss ist aber nicht nur der Senat vertreten, sondern auch der Bezirk Mitte. Und genau darin dürfte der Sprengstoff liegen. Während nämlich beim Senat die Zeichen auf Dudler zu stehen scheinen, will der Bezirk das autofreie Wohnen an der Chausseestraße.
Man beachte allerdings die feinen Unterschiede: Die Bezirksverordneten in Mitte haben sich für ein autofreies Stadtviertel ausgesprochen, aber nicht ausdrücklich für Hellers Entwurf. Baustadtrat Thomas Flierl (PDS) schwärmt eher für Hellers Grundgedanken als dessen Ausarbeitung. „Der Entwurf sieht dorfähnliche Siedlungsverhältnisse vor und lässt sich so nicht umsetzen.“ Realistischer sei es, die Idee des autofreien Wohnens in den Dudlervorschlag zu „implantieren“.
Petra Reetz meldet grundsätzliche Bedenken an. „Was bedeutet autofrei?“, fragt die Sprecherin der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und erinnert an die Erfahrungen, die man in Bremen und Hamburg mit autofreien Wohnprojekten gemacht hat. „Dort wurden die anfänglichen Prinzipien immer weiter aufgeweicht.“ Man könne beispielsweise Behinderte, die ohne Auto nicht leben können, ja nicht einfach aus einem Wohngebiet ausschließen. Ein anderer Mitarbeiter der Behörde hat auch städtebauliche Kritik. „Mit den niedrigen Gebäuden wirkt die Konzeption eher vorstädtisch, das ist nicht zeitgemäß.“
Diese Kritik kann der Architekt nicht nachvollziehen. „Mein Entwurf sieht sechs- bis siebenstöckige Häuser vor, genau wie in der Nachbarschaft.“ Etwas anderes sei in einer so teuren Lage auch gar nicht finanzierbar. In den nächsten Wochen will Heller dem Senat sein Projekt in aller Form vorstellen. Hellers Trumph: Neben einem Entwurf kann er auch gleich mehrere Investoren für sein Projekt vorweisen. „Beim Dudler-Entwurf scheint es da eher zu hapern.“
Mit einer Entscheidung rechnet man bei der Finanzverwaltung erst in einem halben Jahr. Vorerst können Jugendliche auf dem Areal, auf dem früher das Stadion stand, also weiter Beach-Volleyball spielen. Dafür brauchen sie weder Autos noch Investoren. FELIX WÜRTENBERGER
Hinweis:Für den Architekten Max Dudler ist es die richtige Idee am falschen Ort: „An der Verlängerung der Friederichstraße kann man kein Ökodorf bauen.“
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