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Wenn Tengelmann zweimal klingelt

Bei vier Firmen kann man in Berlin online Lebensmittel bestellen. Das Geschäft führt noch ein Nischendasein und bringt den Supermärkten Verluste ein. Das Ziel ist ein Image-Gewinn, so ein Karstadt-Sprecher: „Wir machen das, um modern zu sein.“

von RICHARD ROTHER

Frische Wurst, grünes Gemüse, duftende Brötchen – auch wer keine Lust hat, sich durch volle Supermärkte zu drängeln und an der Kasse lange Sozialstudien (wer hat was im Korb?) zu betreiben, braucht auf frische Lebensmittel nicht mehr zu verzichten. Denn im Schlaraffenland der Online-Welt fliegen die Waren des täglichen Bedarfs bis vor die Haustür – nicht nur virtuell. Mittlerweile bieten schon vier Supermarktketten der Stadt einen Lieferservice für frische Lebensmittel an: Gegen einen relativ geringen Aufpreis lassen Kaiser’s, Reichelt, Karstadt und Spar sogar kistenweise Nahrungsmittel die Treppen hochschleppen. Bestellt wird per E-Mail im Internet, wo auch das Sortiment einsehbar ist. Möglich ist zudem, klassisch per Telefon zu ordern.

Die Nachfrage nach diesem Service steigt – entgegen aller E-Commerce-Euphorie – allerdings eher zögernd. Die Tengelmann-Tochter Kaiser’s beispielsweise, die den Service seit zwei Jahren im Angebot hat, beliefert derzeit monatlich gerade mal 6.000 Kunden – im Vergleich zur Gesamtzahl verschwindend gering. Auch bei anderen Firmen liegt der Anteil am Umsatz, den der Lieferservice erwirtschaft, unter einem Prozent. „Das ist ein Nischengeschäft, dem der klassische Einzelhandel gelassen entgegenblicken kann“, so Herrmann Schröder, Referent beim Landesverband des Lebensmittelgroß- und Einzelhandels.

Das verwundert, sieht doch der Service auf den ersten Blick recht verlockend aus. Eine Lieferung von bis zu sechs Kisten kostet bei Kaiser’s oder Karstadt lediglich zehn Mark. Bei Familien, die ohnehin wöchentlich mehrere hundert Markt in den nicht ganz billigen Supermärkten lassen, fällt das kaum ins Gewicht. Geliefert wird in der Regel am Tag nach der Bestellung oder nach Vereinbarung. Und zwar zu festgelegten Lieferzeiten: etwa von 18 bis 21 Uhr. Gute Kunden, die den Liefer-Fahrer kennen, können auch schon mal genauere Zeiten aushandeln.

Die bisherige Zurückhaltung der Kundschaft dürfte mehrere Ursachen haben. Zunächst ist die Auswahl im Internet oder im Katalog wesentlich geringer als im Supermarkt. Zudem sind die Preise, etwa bei Reichelt, leicht höher, oder die billigen Angebote werden erst gar nicht gemacht. Trotz Meckerns über lange Schlangen – für viele scheint der gewohnheitsmäßige Gang in den Supermarkt ein Erlebnis zu sein, das sich niemand gern entgehen lässt. Und: „Die Leute wollen sehen, was sie kaufen – gerade bei den Frischwaren“, sagt eine Reichelt-Sprecherin.

Nur wer darauf verzichten kann oder muss, scheint sich für den Lieferservice zu begeistern – dabei machen Yuppies einen überraschend geringen Teil aus. Gut verdienende Singles seien nur ein Teil der Kundschaft, so die Reichelt-Sprecherin. Die Kunden seien hauptsächlich „ältere Herrrschaften“ und Bürogemeinschaften. Bei Kaiser’s nutzen vor allem Renter, junge Familien und Geschäftskunden – Kleinbetrieb, Kanzleien, Arztpraxen – den neuen Service. Dass das Geschäft mit dem elektronischen Lieferservice, der sich kaum vom klassischen Lieferservice unterscheidet, noch nicht die „hohe Dynamik“ aufweist, von der in offiziellen Verlautbarungen der Branche gern die Rede ist, hat einen banalen Grund: Es rechnet sich nicht. Die hohen Personalkosten lassen sich durch die Liefergebühren kaum einnehmen. Zunächst muss jemand die Bestellung entgegennehmen – ob per Telefon im Call Center oder auf dem Bildschirm. Dann muss die Ware im Lagerhaus eingetütet werden. Schließlich müssen Angestellte die Touren organisieren und die Ware ausliefern, vom Trageservice ganz zu schweigen. Mit 10 Mark ist da niemand dabei. Im Liefergewerbe wird üblicherweise mit Kosten von 50 bis 60 Mark pro Wagenstopp kalkuliert.

„Das rechnet sich definitiv nicht“, sagt Achim Neumann, Einzelhandelsexperte der Gewerkschaft HBV. Der große Gewinn sei mit dem Service nicht zu machen, heißt es bei Reichelt. Auch der Chef des Berliner Einzelhandelsverbandes, Nils Busch-Petersen, räumt ein: Zwar sei der E-Commerce ein interessantes und dynamisches Geschäftsfeld, aber „kein extrem Rendite-trächtiges“.

Die Supermarktketten lassen sich dennoch darauf ein – nicht nur, weil sie einen Fuß in der Tür haben wollen, sondern vor allem aus Image-Gründen. „Für uns ist das ganz klar ein Zusatz-Service im Zuge der Internet-Euphorie“, sagt ein Karstadt-Sprecher. Auch in den anderen Firmen wird der „Service-Charakter“ des Online-Handels mit Lebensmitteln betont. Im Vergleich zu anderem E-Commerce, etwa Büchern oder Kleidung, erfordere dies eine ganz andere Logistik. „Wir machen das, um modern zu sein.“

Dahinter steckt allerdings ein altes Marketing-Konzept: Kundenbindung. Die Handelsketten hoffen, dass zufriedene Kunden, die bei ihnen virtuell bestellt haben, auch real ihre Kette aufsuchen. Interessant sind in erster Linie solvente Kunden.

Ein neues Karstadt-Projekt verdeutlicht diesen Marketing-Trend mit dem Internet. Den IBM-Beschäftigten in der Frankfurter Bürostadt Niederrad fliegen seit Mai die gepackten Einkaufstüten ins Haus (siehe Kasten). Ladenschluss ist ein Fremdwort: Wer morgens per E-Mail bestellt, findet abends seine Lebensmittel in der gemieteten Kühlbox. Mit Rabatt und für schlappe 5 Mark Miete im Monat. Die schöne neue Dienstleistungswelt macht’s möglich: In Niederrad kann man rund um die Uhr einkaufen – und arbeiten.

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