piwik no script img

Baulicher Exorzismus

Mit ihrem Vorstoß, den Denkmalschutz zu privatisieren, hat Antje Vollmer einen Sturm der Entrüstung entfacht. Nun kritisieren auch die Berliner Grünen den neuen Fundamentalismus gegen die Moderne

von UWE RADA

So muss das Fegefeuer für Urbaniten aussehen. Wenn die grüne Bundestagsvizepräsidentin Antje Vollmer ihre Wohnung am Zionskirchplatz unweit des Prenzlauer Bergs in Richtung Reichstag verlässt, begegnet sie nicht nur Mietskasernen und Gotteshäusern der Jahrhundertwende, sondern auch wahrhaften Werken des Teufels: dem Plattenbau unmittelbar am Reichstagsufer zum Beispiel oder der polnischen Botschaft Unter den Linden, ein Bau aus den 60er Jahren, dessen schlichte Ästhetik in gewollter Opposition zum Prunk der zuvor erbauten sowjetischen Botschaft steht.

Dieter Hoffmann-Axthelm ergeht es ähnlich. Studierter Theologe wie Vollmer und ihr Nachbar im Kiez rund um die Zionskirche, leidet der einflussreichste der Berliner Stadtplaner tagtäglich unter den Versuchungen der Moderne. Und weil Hoffmann-Axthelm noch immer an das Gute in der Stadt glaubt, hat er den Auftrag von Antje Vollmer, die Abschaffung des Denkmalschutzes gutachterisch zu unterstützen, gerne angenommen.

Seine Ergebnisse trug Hoffmann-Axthelm Anfang April bei einer Anhörung der grünen Bundestagsfraktion im Reichstag vor. Der Denkmalschutz, so seine Kampfansage, sei mittlerweile nicht nur zum Ärgernis für private Hausbesitzer geworden, sondern auch zur „Lumpensammlerei“ verkommen. Vor allem seit der Vereinigung gebe es vielerorts „ein Bündnis zwischen Denkmalpflege und PDS“. Die Folge: „Es wird schlicht DDR erhalten, das heißt, es werden nur zum Schein Bauten, de facto aber politische Verhältnisse, Jugenderinnerungen unter Schutz gestellt.“ Gelobtes Land dieser „Veränderungssperre“ sei der Berliner Bezirk Mitte.

Hoffmann-Axthelms Vorschlag ist so radikal wie seine Kritik: Die Denkmalpflege soll privatisiert und der Denkmalschutz auf jene öffentlichen Gebäude beschränkt werden, die vor 1840 erbaut wurden und die dem „unmittelbaren Maß für Denkmalwert“ entsprechen – der Schönheit.

Hatten es schon die rheinischen Katholiken nicht ganz einfach in der gottlosen Metropole der Moderne, beißen sich nun auch die Protestanten an ihr die Zähne aus. Entrüstet stellt Antje Vollmer in einem Thesenpapier zum Gutachten fest, dass Berlin ein anderes Pflaster ist als Rothenburg ob der Tauber. So habe man in der Vergangenheit den Denkmalschutz nicht nur dafür missbraucht, Plattenbauten Unter den Linden unter Schutz zu stellen, sondern sogar Gründerzeitareale wie in Oberschöneweide, jenem ehemaligen Industriequartier in Berlin-Köpenick also, in dem heute erfolgreich wie sonst nirgends in Berlin Dienstleister, Künstler und Gewerbetreibende eingezogen sind.

Doch die erfolgreiche Konversion ehemaliger Industrieareale, eine der dringendsten Herausforderungen nicht nur des Denkmalschutzes, sondern auch der Wirtschaftspolitik in Europas einst größter Industriestadt, ist für Vollmer kein Thema. Für die Theologin und Neuberlinerin sind Nachkriegsmoderne wie Gründerzeit ein- und dasselbe: ein Synonym für Industrialisierung und damit Säkularisierung schlechthin. Und für Hoffmann-Axthelm ist die „Ästhetik der Moderne“ ohnehin nur ein „Korrelat der Diktatur“.

Was also liegt näher, als die Ästhetik der Postmoderne und die Privatisierung der Stadt in einem neuen städtebaulichen Katechismus zu versöhnen, der die Schönheit des Alten betont und über die Hoffnungen der Moderne und die Zumutungen der Zukunft den Mantel des Schweigens legt? Schon lange schließlich deklamieren ehemalige Linke wie Hoffmann-Axthelm oder der Berliner Senatsbaudirektor Hans Stimmann abwechselnd die „schöne Stadt“ oder die „gute Stadt“. Und schon lange treten Antje Vollmer und Dieter Hoffmann-Axthelm dafür ein, das Berliner Stadtschloss wieder aufzubauen.

Dass eine solche Realitätsverweigerung, ein derart unverhohlener Aufruf zum städtebaulichen Exorzismus Widerstände hervorbringt, ist nur selbstverständlich. Seit Wochen schon laufen im Feuilleton der FAZ Fachleute und Publizisten Sturm gegen Antje Vollmer und Hoffmann-Axthelm. Doch erst der Abriss des Berliner Ahornblatts mit seiner expressionistischen Architektur der Spätsechzigerjahre hat auch die Berliner Öffentlichkeit alarmiert. Offenbar ermutigt von den Aktivitäten gegen den Abriss dieses Baudenkmals der DDR-Nachkriegsmoderne haben sich nun auch die Berliner Grünen aus der Deckung gewagt.

In einer ersten Stellungnahme wendet sich die baupolitische Sprecherin der grünen Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus, Barbara Oesterheld, gegen ihre Parteikollegin im Bundestag und gegen Hoffmann-Axthelm. Dessen Gutachten sei eine „Ansammlung von subjektiven Empfindungen“, die „keinerlei sachliche Information über die tatsächliche Bilanz des Denkmalschutzes“ enthalte. Oesterhelds Fazit: „Seine Vorschläge sind elitär und auf bestimmte Abschnitte der Geschichte fixiert.“

Etwas spät, aber nichtsdestotrotz beharrlich wehrt sich die Berliner Baupolitikerin gegen die Reduzierung des Denkmalschutzes auf den historischen Kunstwert eines Bauwerkes und gegen die damit verbundene Diffamierung der Moderne. Stattdessen wollten die Berliner Bündnisgrünen auch „gesellschaftliche Erinnerungs- und Bedeutungsträger der unterschiedlichen Epochen vor Zerstörung bewahren“.

Doch noch immer sind die, die dem urbanen Fundamentalismus der Stadttheologen die soziale und ästhethische Realität einer Metropole der Gegenwart entgegenhalten, nachgerade verunsichert. Verwundert stellt etwa der Berliner Landeskonservator Jörg Haspel, der das Axthelm-Gutachten in der FAZ als „Spätromantik“ kritisierte, die Frage, warum ausgerechnet die Grünen „den Hinweis auf Ressourcenschonung, der durch Denkmalschutz gesichert werden könnte“, vermissen lassen. Fast schon defensiv verweist Haspel darauf, dass in Berlin lediglich vier Prozent der Gebäude unter Schutz stehen, weitaus weniger als in anderen Städten.

In der Tat erweist sich die Berliner Denkmalpraxis alles andere als diktatorisch, wie es im grünen Gutachten unterstellt wird. So befinden sich von den etwa 10.000 unter Schutz gestellten Gebäuden nur zehn Prozent aus der Zeit nach 1945. Und dies, obwohl nahezu die Hälfte der Berliner Bauwerke aus der Nachtkriegszeit stammt. Und in der Zeit nach der Vereinigung, die Hoffmann-Axthelm als Geburtsstunde der denkmalpflegerischen Ostalgie sieht, sind weit über 100 Denkmäler abgerissen worden, die meisten von ihnen übrigens keine Zeugnisse der DDR-Architektur, sondern der alten Gründerzeit, die der neuen Gründerzeit, dem Umbau Berlins zur neuen Dienstleistungsmetropole, im Weg standen.

Dass der Denkmalschuz in Berlin eher mit dem Rücken zur Wand steht, verdeutlicht darüber hinaus nicht nur der anstehende Personalabbau, sondern auch dessen Organisation selbst. Oberster Denkmalschützer ist schließlich die Bauverwaltung und nicht, wie in anderen Ländern, das Kultusministerium. So hält Bausenator Peter Strieder (SPD) in der einen Hand das Denkmal, in der andern die Pläne für einen Neubau. Offiziell nennt man das in Berlin Abwägung im öffentlichen Intersse. Wessen Interesse dabei überwiegt, liegt auf der Hand. Und auch Strieders Senatsbaudirektor Hans Stimmann ist zwar ein Freund des Alten, aber ganz genau nimmt er es dabei nicht. Ihm genügt es auch, wenn man das Alte, wie beim Hotel Adlon am Pariser Platz, mit Stahlbeton und vorgehängter Fassade neu baut.

Hinter der Berliner Verunsicherung steckt mithin, trotz aller Proteste, eine berechtigter Grund zur Sorge. Anders als etwa Bayern hat der Berliner Senat bislang noch nicht auf den Vorstoß der grünen Bundestagsfraktion reagiert. Darüber hinaus haben SPD und CDU in ihrer Koalitionsvereinbarung festgehalten, dass das Berliner Denkmalschutzgesetz noch in dieser Legislaturperiode auf den Prüfstand soll. Und warum sollte sich Hoffmann-Axthelm-Fan Peter Strieder nicht mit der CDU verbünden, um in einer Art Symbiose von Historismus und Investitionsfreiheit dem ungeliebten Erbe der Nachkriegsmoderne in Ost und West den Garaus und dem hemmungslosen Ausverkauf öffentlicher Räume den Weg zu bereiten?

Die neue Kahlschlagphilosophie, mit der sich die 68er-Generation so vehement für die Abrisse in den 60er- und 70er-Jahren rächen will und dabei exakt jene Methoden anwendet, die sie damals beklagte, hat aber nur dann Aussicht auf Erfolg, solange keine neue Protestgeneration heranwächst.

Genau das Gegenteil ist derzeit aber in Berlin zu beobachten. Gegen den Abriss des Ahornblattes haben sich Studenten der Hochschule der Künste zur Wehr gesetzt, rund um den Alexanderplatz haben sich Künstler die Räume der Nachkriegsmoderne angeeignet, im Café Moskau feiern Schwule und Lesben Partys. Die Protestgeneration von damals sieht sich nun einer neuen Protestgeneration gegenüber, die sie mit ihrem Fundamentalismus selbst hervorgerufen hat.

Mit der „Generation Stadtschloss“ hat die neue „Generation Alex“ dabei so viel zu tun wie der verstorbene Fuldaer Erzbischoff Johannes Dyba mit der Homo-Ehe. Schön ist, das müssen Antje Vollmer und Dieter Hoffmann-Axthelm erfahren, nicht nur, was Gott oder seinen baulichen Stellvertretern auf Erden gefällt. Der Kulturkampf um die Moderne, vom Zionskirchplatz losgetreten, hat nun seine Gegner gefunden.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen