: „Leichtfertiger Umgang mit rechts“
Wilhelm Heitmeyer, Rechtsextremismus- und Jugendforscher an der Universität Bielefeld, über die zur Schau getragene Empörung und Konzeptionslosigkeit der Regierung im Umgang mit rechter Gewalt
taz: Bund, Länder und Regierungsparteien sind sich einig: Es muss mehr gegen den Rechtsextremismus getan werden. Freut Sie diese Absicht?
Wilhelm Heitmeyer: Auf diese Welle der Empörung habe ich gerade nicht gewartet. Was Rot-Grün macht, ist für mich ein Ausdruck von Konzeptionslosigkeit. Ebenso wie das Bündnis für Demokratie und Toleranz, das auf dem Papier seit 1998 existiert, völlig ohne Konzept dasteht. Das Forum gegen Rassismus, in dem auch Nichtregierungsorganisationen vertreten sind, ist auch nicht durch besondere Effektivität aufgefallen. Und das Jugendministerium beauftragte gar eine Werbeagentur für eine Kampagne gegen rechts.
Jetzt soll’s losgehen: Polizei und Gerichte wollen rechte Gewalttäter strenger verfolgen, die Grünen fordern Millionen Mark für die Jugendarbeit, es ergehen Aufrufe für mehr Zivilcourage. Sehen Sie darin keine qualitative Veränderung?
Nein. Weil der Repressionsapparat diese Dinge so nicht in den Griff bekommen wird. Es wird abwechselnd nach Jugendarbeit und Polizei gerufen. Dieses ist völlig unzureichend. In ostdeutschen Kleinstädten breitet sich der Rechtsradikalismus in homogenen Umfeldern heraus und ist in Stimmungen eingebettet. Da kommt man mit Zivilcourage nicht weiter.
Warum nicht?
Zivilcourage ist ein Appell an den Einzelnen. Rechtsradikalismus ist ein Gruppenphänomen. Wenn aber gewalttätige Gruppen denen, die sie als Gegner ausmachen, inzwischen glaubhaft Rache androhen, ist dies eine andere Qualität von Rechtsradikalismus als das, was Politiker dafür halten.
Gewerkschaften, Kirchen und andere zeigen sich doch wehrhaft!
Es ist zu befürchten, das solche Institutionen leer sind. Die Parteien finden noch nicht einmal genügend Kandidaten für ihre Wahlämter. Das Fehlen von stabilen und aktionsfähigen Organisationen ist ein großes Problem. Manchmal sitzt dort nur ein Geschäftsführer mit einem Faxgerät, um Journalisten zu zeigen, wie mächtig und durchsetzungsfähig die Organisation ist.
Setzen Sie auf Repression?
Gegen stärkere Kontrollen und schnellere Aburteilung ist nichts zu sagen. Aber man muss wissen, dass Ächtung und Ausgrenzung nur sehr begrenzt wirken. Es handelt sich hier um Gruppen, die den Ausschluss aus der Gesellschaft umdefinieren. Aus Ächtung wird Adelung, ein Skinhead ohne Knast ist wie ein Baum ohne Ast. Dagegen kommt ein Repressionsapparat nicht an. Es ist zu spät, um sich auf Repression verlassen zu können.
Parteien reagieren oberflächlich, Polizei und Justiz sind wirkungslos, Zivilcourage zeigen könnte gefährlich werden. Was ist zu tun?
Es ist eine schwierige Situation. Rechtsextreme Gewalt kommt ohne Wählerschaften aus, aber nie ohne rechtsextreme Stimmung. Und es ist bekannt, dass die meisten Fremdenfeinde ohnehin SPD und CDU wählen. Deswegen müssen die Stadtgesellschaften gestärkt werden, also die dortigen Eliten wie Wirtschaftsleute, Anwälte, Ärzte. Sie müssen sich zu Wort melden. Gerade in den kleinen Städten sind diese Eliten oft einflussreicher als die Politiker.
Soll der Anwalt sagen: Ich verteidige keinen Rechtsradikalen, soll sich der Arzt dem Skinhead verweigern?
Über die Formen muss man sich unterhalten. Es ist jetzt die Frage, ob sich diese Eliten als Gruppe formieren können. Und: Sie dürfen sich nur nicht von den Parteien instrumentalisieren lassen.
Ein Konzept gegen rechts ist das noch nicht.
Es fehlen uns schlichtweg die Ideen. Das muss man so feststellen. Wir müssen aber auch sehen, wie leichtfertig die rot-grüne Regierung mit dem Problem umgeht, obwohl sie als Opposition etwas anderes versprochen hatte. INTERVIEW: ANNETTE ROGALLA
Fotohinweis:Wilhelm Heitmeyer, Konfliktforscher an der Uni BielefeldFOTO: WOLFGANG TIMMLER
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