Aufstieg zum Arier

Rechtsextremismus wird in Deutschland bekämpft – doch Rassismus wird geduldet, nimmt zu und ist alltäglich. Betrachtungen eines Inders mit deutschem Pass

Der Beamte entschied: „Sie sind ziemlich hell, kreuzen Sie Weiß an.“Innerhalb von Minuten war ich ein Weißer

Wenn eine politische Partei Hass und Gewalt gegen Ausländer verbreitet, nennt man dies Rechtsextremismus. Aber die alltägliche Gewalt in Form von Ablehnung, Missachtung, Arroganz und Aggression, die tausende von Ausländern jeden Tag erleben, nennt man Rassismus. Er wird geduldet, aber den Rassismus, der begleitet wird von Naziparolen und körperlicher Brutalität, nennt man in diesem Sommer Rechtsextremismus. Dies ist Begriffssplitterei und lenkt vom eigentlichen Problem des zunehmenden Rassismus in unserer Gesellschaft ab. Wir haben nichts gegen die Ausländer, aber . . .

. . .die nehmen uns die Arbeitsplätze weg, sie belasten unseren Sozialstaat, sie sind kriminell usw. Es sind diese Otto Normalverbraucher, die die NPD und ihresgleichen über die Jahre stillschweigend geduldet und damit indirekt ihre Zustimmung gegeben haben.

Die Regierung gibt sich plötzlich als Freund der Ausländer und kündigt strenge Maßnahmen gegen den so genannten Rechtsextremismus an. Auf seiner Reise durch die neuen Bundesländer betonte Bundeskanzler Schröder, jetzt müsse gehandelt werden, da sonst ausländische Investoren den Wirtschaftsstandort Deutschland ablehnen. Zu spät. Jetzt schon kursieren Erfahrungsberichte im Internet, wo vor einem Aufenthalt in Deutschland gewarnt wird. Und die unmenschlichen Zustände in den Abschiebecontainern am Frankfurter Flughafen werden auch von der rot-grünen Regierung getragen. Es ist nicht einmal zwei Monate her, dass die CDU mit ihrem „Kinder statt Inder“ gegen die Ausländer Stimmung gemacht hat.

Die Medien sind auch sehr besorgt: In unzähligen Talkshows produzieren Politiker, Sozialwissenschaftler, Gewerkschafter und sonstige Pseudoexperten ihre eindrucksvolle Mitgefühlrhetorik. Diverse Roberto Blancos und halbdeutsche „Marienhof“-Darsteller sollen die Ausländer repräsentieren. Ohne Ausnahme enden diese Sendungen mit der Frage, ob die NPD verboten werden sollte. Laut ARD dürfen wir alle nicht so schwarz sehen. (Übrigens: Deutsch ist die einzige Sprache, die „schwarz sehen“ in ihrem Sprachgebrauch hat.) Letzte Woche wurde eine Live-Sendung aus einem Münchner Mannesman-Betrieb ausgestrahlt. Dies sollte ein Musterbeispiel für die harmonische Zusammenarbeit von deutschen und ausländischen Mitarbeitern darstellen. Unter der Obhut der deutschen Betriebsleitung sollten sich von ihrem Arbeitsplatz abhängige Ausländer über ihre Lage äußern. Abgesehen davon, dass ihre Kinder auf der Straße verprügelt werden, fühlen sie sich wohl in Deutschland. Und dann, wie immer: „Soll die NPD verboten werden?“

Die Medien, besonders das Fernsehen, müssen sich den Vorwurf gefallen lassen, tagtäglich negative und klischeehafte Bilder über die Herkunftsländer der ausländischen Mitbürger zu liefern. Afrikaner sind faul, Asiaten Schlitzohren und die Lateinamerikaner putschen. Diese Länder sind Nachrichten nur würdig, wenn sich Naturkatastrophen und Bürgerkriege ereignen. Wenn Deutschland gegen Afrikaner Fußball spielt, verbreiten Fassbender & Co. immer noch den Mythos der naiven Barfuß-Buschfußballer. Man lobt deren Ballkunst und Spielwitz. Aber gegen die organisierten deutschen Profis haben sie natürlich keine Chance.

Die Z-Aktion der taz ist zwar lobenswert, aber es wäre effektiver, Bilder von Herrn und Frau Müller/Meier/Schmidt mit deren Aussagen über Ausländer und den Rechtsextremismus abzudrucken.

Auch der Bildungsbereich ist nicht frei von Vorurteilen. Bei einer Podiumsdiskussion zum Thema „Kinder statt Inder“ meinte ein Entwicklungsökonom, dass die Inder dankbar sein müssten, englische Kolonie gewesen zu sein. Dadurch hätten sie die englische Sprache erlernt, was ihnen heute etwa in der Informationstechnik zugute käme. Nach dieser merkwürdigen Logik bleibt es ein Rätsel, wie sich Japan und Korea in diesem Bereich behaupten konnten.

Der Alltag ist noch verheerender. Drei Beispiele: Thomas Rahmöller, Ausbilder beim Deutschen Roten Kreuz, zeigte letzten Donnerstag und Freitag in der Lüner Fußgängerzone Zivilcourage. Als KZ-Häftling verkleidet, wollte er Bürger auf die deutsche Vergangenheit hinweisen. Die Resonanz war erschreckend. Kaum jemand war bereit, die Unterschriftenaktion zu unterstützen, die die Empörung über den Rechtsradikalismus ausdrücken sollte. Als eine Schulklasse unterschreiben wollte, verbot der Schuldirektor dies. Rahmöller wurde mehrmals körperliche Gewalt angedroht. Ein Fax aus Düsseldorf bot ihm sieben Tage Aufenthalt in Auschwitz an. Über die ausgestellten Bilder der KZ Bergen-Belsen und Dachau empörten sich zwei ältere Herren, dies sei US-Propaganda.

Kommentatorenverbreiten immernoch den Mythos vomnaiven afrikanischenBarfuß-Fußballer

Letzten Dezember wollte Ashok Rangao Iyer, ein Inder mit deutschem Pass, heiraten. Seine erste Ehe mit einer deutschen Frau wurde in Dortmund geschlossen und geschieden. Die Schikane des Kreises Unna ging so weit, dass selbst die Unterlagen des Standesamtes Dortmund nicht anerkannt wurden. Sogar die Einbürgerungspapiere wurden in Frage gestellt. Das Ganze wurde zur Farce, als die Standesbeamtin seinen Familiennamen nicht akzeptierte. Die Eheschließung wurde letztlich durchgeführt unter der Bedingung, dass Ashok eine „Angleichungsänderung“ unterschreibt. Er musste also bestätigen, dass sein Name selbst gewählt und nicht von seinen Eltern bestimmt wurde. Ein hilfloser Ausländer wurde damit an seinem Hochzeitstag gedemütigt.

In vielerlei Hinsicht symbolisiert meine eigene Einbürgerung meine Wahlheimat Deutschland. Mit einem Beamten musste ich Berge von Formularen durchgehen. Eine der Fragen lautete: „Zu welcher Rasse gehören Sie?“ In meinem Fragebogen steht jetzt arisch, da seit Jahrhunderten Arier im westlichen Teil Indiens ansässig waren. Dann kam die Frage nach meiner Hautfarbe. Zur Auswahl standen Schwarz, Weiß, Gelb und Rot, meine Hautfarbe, Braun, fehlte. Der Beamte entschied für mich: „Sie sind ziemlich hell, da kreuzen Sie doch Weiß an.“ Innerhalb von Minuten war ich nicht nur ein Arier, sondern auch ein Weißer. Kurz danach, während eines Krankenhausaufenthalts, wurde mir diese Illusion genommen. „Ist der Neger Student oder watt?“, fragte die Ehefrau meines Bettnachbarn. Offensichtlich hatte sie nie zuvor einen buchlesenden Ausländer gesehen.

Es ist an der Zeit, einer muss es sagen. Deutschland ist rassistisch und rechtsextrem. Es gibt keine patenten Lösungen, dies zu ändern. Ein Verbot der NPD und willkürlich Millionen in Projekte zu stecken, ist vergleichbar mit Katastrophenhilfe. Veränderungen und Entwicklungen werden nicht mit Geld gemacht, sondern mit Ideen. Neue Politik und vor allem neue Politiker, neue Medien, neue Schulbücher braucht das Land. Die radikalste Lösung wäre jedoch, wenn die Ausländer die so oft vorgeschlagene Empfehlung der Deutschen annehmen und da hingehen würden, wo sie herkommen. Vielleicht wäre dann eine Rückbesinnung möglich! ASHWIN RAMAN