Anschlagsfreundlich

Sammelunterkünfte und Worthülsen: Gut für die Neonazis, schlecht für die Asylsuchenden

aus Ludwigshafen JENS RÜBSAM

Die Schließung des Heims ist schnell beschlossen, der Auszug der Bewohner ist rasch ein Fakt, die Begründung ist in einfühlsame Worte gekleidet. „Damit wollen wir“, heißt es aus dem Rathaus, „dem Sicherheitsbedürfnis der Menschen Rechnung tragen.“

Doch die Menschen, denen die Fürsorge der Ludwigshafener Stadtväter gilt, ziehen vors Gericht. Ihre Klagen: Nicht schon wieder Unterbringung in einer Sammelunterkunft. Nicht schon wieder Abschiebung an den Rand der Stadt. Nicht schon wieder Angst-haben-Müssen – vor einem Anschlag.

Schon die Annäherung erschreckt. Eine Brücke über eine Autobahn. Ein Gewerbegebiet. Hier eine Sprit- und Chemiefabrik. Da ein Autofriedhof. Hier eine Schrott- und Recyclinganlage. Da, hinter doppeltem Zaun, auch ein Einfamilienhaus, zwei massige Köter halten Stellung. Rampenweg nennt sich die Straße, die an Schloten, Schrottplätzen, Zäunen und Bauschuttcontainern entlangführt – und direkt an drei Betonbatterien endet, dem Flüchtlingsheim im Stadtteil LU-Rheingönheim. „Schlimm ist es hier“, sagt eine Bewohnerin.

Gut für die Nazis

„Anschlagsfreundlich“ nennt Manfred Asel, der Flüchtlingsbeauftragte der Diakonie Pfalz, den Standort am Stadtrand. „Appartments“ nennt Fritz Heiser, der Ludwigshafener Sozialdezernent, die Wohneinheiten. „Lager“ nennt Hans Rudolf Schuh, der Sprecher der Antirassistischen Initiative Mannheim, die Gemeinschaftsunterkunft, „schlecht für die Flüchtlinge, gut für die Nazis“.

Was vor zwei Monaten vier Pfälzer Skinheads als „anschlagsfreundlich“ und „gut“ empfinden: das Flüchtlingsheim im Stadtteil Oppau, gelegen auf einem toten Güterbahnhof. Vor dem Zaun des Gebäudes postieren sich am frühen Morgen des 16. Juli die Jungnazis, zwischen 14 und 18 Jahre alt, und schleudern einen Molotow-Cocktail durchs Fenster. Drei Kinder aus dem Kosovo werden verletzt, ein 11-jähriges Mädchen schwer. Krenare Canbeka trägt Verbrennungen zweites Grades davon.

Was Ludwigshafens Stadtväter schlussfolgern: Schließung des Heims – immerhin ist Oppau inzwischen bundesweit ein Symbol für Ausländerfeindlichkeit im Westen der Republik; Aus- und Umzug der Bewohner – immerhin sind die Insassen mehr als verängstigt; Unterbringung der Familie in einer Wohnung – immerhin sind Lumuturje Canbeka und ihre drei Kinder Opfer eines Anschlages. Was aber als Signal verstanden werden muss: die Abschiebung der anderen Flüchtlinge abermals an die Peripherie der Stadt, nach Rheingönheim, in ein Heim fernab jeden Lebens und jeder Nachbarschaft, ins Abseits.

Sozialdezernent Heiser sagt: „Taten wie der Anschlag von Oppau lassen sich eben nicht in letzter Konsequenz verhindern“. Das Verwaltungsgericht Neustadt entscheidet über die Klage der Flüchtlinge: „Die gemeinsame Unterbringung mit anderen Ausländern“ biete den vom Brandanschlag Betroffenen „die Möglichkeit, die Geschehnisse in Gesprächen besser zu verarbeiten“. Fazit: Das Handeln der Stadt ist rechtens.

Weniger Asylsuchende

Handeln ist zu einem Begriff in Deutschland geworden. Gern beschwört ihn Fritz Heiser, Ludwigshafens Sozialdezernent, in seinem Amtszimmer. Stolz liest er Zahlen ab von einem Blatt Papier: „Einst rund 2.000 Asylsuchende in Sammelunterkünften“ steht da geschrieben, jetzt „nur noch 251“. „Sehen Sie“, sagt Sozialdemokrat Heiser, „wir haben gehandelt.“ Wer auf leer stehenden Wohnraum in der „Chemiestadt mit Herz“ aufmerksam macht, wer auf die Randlage des Heimes hinweist und auf die Ängste der Bewohner, der wird von Heiser schnell auf die Grenzen des Handelns verwiesen. Auf die Mehrkosten, „die auf die Stadt bei einer dezentralen Unterbringung aller Flüchtlinge zukommen würden“. Auf den Mehraufwand für die Polizei, für die „es leichter ist, einen Bereich zu bestreifen als hunderte“.

Handeln ist zu einem Signal in Deutschland geworden. Da gibt es Kommunalpolitiker, die Flüchtlinge nach wie vor nur als ordnungspolitisches Problem ansehen, das es zu bewältigen gilt – wie ein Landrat im Pfälzischen, der regelmäßig bei seiner Ausländerbehörde nachfragt: Wie viele Kosovo-Albaner sind es diese Woche wieder weniger geworden? Da gibt es die braven Bürger, die die Scham auf die Straße führt, an Runde Tische treibt oder in Netzwerke drängt – wie jene Ludwigshafener, die sich jetzt zu menschlichen Schutzwällen formieren. Wenn auch ein wenig spät und schwerfällig, aber immerhin.

Das Bürgerhaus zu Oppau ist fest verwurzelt in der Gemeinde. Im Saal singt regelmäßig der Sängerbund, die „Obbarer Dambnudle“ laden alljährlich zum Narrenspaß. Auch der Schachclub trifft sich hier zu seinen Versammlungen. Neuerdings werden die Stühle gar zu einem Runden Tisch zusammengerückt. Das Thema, das Ortsvorsteher Udo Scheuermann, SPD, auf die Tagesordnung setzt: Rechtsextremismus.

„Heuchelei“ nennt das der Sprecher der Antirassistischen Initiative. „Eine Pflichtübung der Politiker“ nennt das ein Oppauer Bürger.

Als am Tag nach dem Brandanschlag linke Gruppen aus Mannheim zu einer Spontandemonstration vor dem Flüchtlingsheim aufrufen, kommen 100 Bürger, aber kaum ein Oppauer ist zu sehen. „Die Stimmung unter den Einheimischen war so“, erinnert sich ein Teilnehmer, „was geht uns das an?“

Als vor zwei Jahren der stadtbekannte Neonazi Christian Hehl nach Oppau zieht, regt sich kein Widerstand. Heftigen Protest hatte es zuvor im Stadtteil Süd gegeben. Eine Bürgerinitiative hatte sich eigens gegründet, um mobilzumachen gegen „Hehls Laden“, einen Ramschplatz für NS-Propagandamaterial und Fanartikel des SV Waldhof Mannheim. Das Ergebnis: Hehl zog um – nach Oppau. Hier bleibt es so ruhig, als habe es ein paar Kilometer weiter nie Mahnmärsche gegeben.

Als in den vergangenen Jahren regelmäßig Steine auf das Flüchtlingsheim am Güterbahnhof fliegen, als gar ein erster Brandanschlag bekannt wird, schweigt der Oppauer. Wie auch zu den Anschlägen auf ein linkes Jugendhaus.

Nun sitzen sie im Bürgerhaus wie kleine Schüler im Unterricht beisammen, hören aufmerksam zu, was Ortsvorsteher Scheuermann sagt: „Wir müssen öffentlich Flagge zeigen. Es ist wichtig, dass wir diese Menschen mit einbeziehen.“ Diese Menschen, das sind jene, die Scheuermann einst am Güterbahnhof untergebracht wissen wollte, „damit wir die Belästigungen für die Bevölkerung so gering wie möglich halten“; das sind jene, die jetzt in der Rheingönheimer Unterkunft am anderen Ende der Stadt leben. Weit weg von Oppau.

Beflissen legt ein Polizist Folien auf einen Overhead-Projektor: „Engagement gegen Radikalismus“ ist zu lesen oder „Erscheinungsformen des Rechtsextremismus“. Korrekt trägt ein anderer Formulierungen aus dem Verfassungsschutzbericht vor. Besorgt ruft ein dritter zur Zivilcourage auf: „Rufen Sie uns an.“ Dann teilt er die Telefonummer mit: Polizeidirektion II, 6 57 44-38.

Wie eine Kindersendung

Was als Runder Tisch tituliert ist, erinnert an die Kindersendung „Löwenzahn“ des TV-Aufklärers Peter Lustig. Aber immerhin: Der Oppauer wird aufgeklärt. Immerhin: Der Oppauer macht sich Gedanken. Einer sagt: „Müssen wir Asylbewerber immer nur als Problem ansehen?“ Ein anderer: „Wir müssen auf uns selber blicken. Wir haben doch erst Begriffe wie Wirtschaftsflüchtlinge geschaffen.“ Immerhin: Ein Anfang.

Der Anfang hat lange auf sich warten lassen. Erst vier Tage nach dem Oppauer Brandanschlag finden Lokalpolitiker überhaupt Worte, zwar die üblichen von „Entsetzen“ und „Abscheu“ und dass man es nicht zulasse, „dass Ludwigshafen schlechtgeredet wird“. Ein CDUler sagt: Man könne „nicht jeden Anschlag kommentieren“. Dann trifft Grünen-Parteichefin Künast in der Stadt ein und fordert: „So geht es nicht weiter.“ Dann berichten die überregionalen Medien. Dann endet eine Großdemonstration in Oppau mit einem Eklat. Der Staatssekretär des Innenministers lässt sich kurz vor Beginn auf die Rednerliste setzen. Autonome rufen: „Nazis morden, die Stadt schiebt ab, das ist das gleiche Rassistenpack.“ Seitdem jagen sich zwischen Rheinland und Pfalz die Appelle und Resolutionen.

Die Landesregierung beschließt einen Appell gegen Rassismus: „Es geht darum, die demokratische Identität zu verteidigen.“ Die Ludwigshafener SPD-Fraktion bringt eine Resolution in den Stadtrat ein: „Die Unterzeichner ächten Hass und jegliche Gewalt gegen Menschen und Sachen.“ Die örtliche SPD-Landtagsabgeordnete startet eine Unterschriftenaktion: „Ja, ich handle“. Der Sozialdezernent lädt zu einer Fachtagung: „Rechtsextremismus: Was tun?“ Die Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie verfasst eine Erklärung: „Die gesamte Gesellschaft hat die Aufgabe, dieser Fremdenfeindlichkeit und Gewalt entgegenzutreten.“ Die Erklärung ist datiert auf den 8. August.

Drei Monate zuvor hatte man das noch anders gesehen. Da versenden die Gewerkschafter an ihre Mitglieder eine Rundmail, ihre Bitte: Nicht teilnehmen an einer Demonstration gegen die NPD, nicht aufwerten diesen Aufmarsch am 1. Mai. Dass die Gegendemonstration in letzter Minute abgesagt wird, ist Sache eines anderen Gewerkschafters: des örtlichen DGB-Vorsitzenden Toni Brunold. „Polizei und Stadt haben mir dringend von der Demo abgeraten, weil ein Gemenge zu erwarten war.“ „Faule Tricks“, kontert Arnold Willibald, Sprecher der BI „Süd gegen Rechts“, „der DGB hat Horror vor Antifa-Gruppen“. 400 Linke und 350 NPDler halten sich am „Tag der Arbeit“ in Ludwigshafen auf.

Alibi-Veranstaltung

Forsch führt der DGB-Vorsitzende dieser Tage im Gelben Saal der Technischen Werke das Wort: „Irgendwer muss die Initiative ergreifen.“ Brunold hat eingeladen zu einem „Netzwerk gegen Rechts“, weil der „DGB Verantwortung übernehmen muss, weil es nicht reicht, die Straße rauf und runter zu protestieren“. Rauf und runter? Einmal, am 1. Mai, hätte schon ein Zeichen sein können.

Es ist wie am Abend zuvor im Bürgerhaus zu Oppau. Es ist eine Schulstunde, der erste Tag, an dem sich eine Klasse findet. Man stellt sich vor, man zählt Ämter auf, man äußert Hoffnungen. Herr Asel, der Flüchtlingsbeauftragte der Diakonie, ist dabei. Er sagt nicht mehr „anschlagsfreundlich“ zu den Unterkünften am Stadtrand, zu oft ist er dafür schon gescholten worden. Er sagt: „Es sieht wohl so aus, dass die Stadt kein Zeichen setzen will.“ Herr Willibald von der BI ist anwesend. Er sagt nicht, was er befürchtet: dass dies eine Alibi-Veranstaltung ist. Er sagt: „Es muss anders laufen als am 1. Mai.“ Herr Scheuermann, der Oppauer Ortsvorsteher, sitzt im Raum. Er plädiert nachdrücklich für „Sammelunterkünfte für Asylanten“. „Da haben wir schon ein Problem“, raunt sein Nebenmann, „Ihre Sprache!“

Es werden an diesem Tag Ideen gesammelt, es werden Ideen verworfen. Was ist richtig? Was eckt nicht an? Großflächige Plakate, in etwa: „LU gegen Rechts“? Nicht finanzierbar! Kleine Buttons, die Aufschrift in etwa: „Mach meinen Kumpel nicht an?“ Vorstellbar! Einen Tag lang einen Platz besetzen? Nicht sinnvoll! Verhindern, dass die Reps wieder in den Stadtrat kommen? Wie nur erreichen? Eine ganze Aktionswoche organisieren, so um den 9. November herum, den Tag der Pogromnacht? „Lasst uns einen Termin ausmachen!“