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Buchhalter und Weltstaatsmann

Erfolg verleiht Flügel, Misserfolg macht blass: Bundeskanzler Gerhard Schröder lässt den Ökoaktionismus der CDU-Opposition locker abtropfenvon BETTINA GAUS

Ein Weltstaatsmann tritt ans Rednerpult des Bundestages. Vermutlich hätte das gar niemand gemerkt, denn so ernst hatte die Öffentlichkeit die Verleihung dieses Titels an Gerhard Schröder bisher eigentlich noch nicht genommen. Aber die Opposition ärgert sich halt über die US-Auszeichnung für den Bundeskanzler ganz fürchterlich, und der Groll muss heraus. „Weltstaatsmann und Ladenschlusszeiten – das passt nicht zusammen“, sagt der FDP-Vorsitzende Wolfgang Gerhardt. Schröder lächelt und zuckt die Schultern. Wenn der Kollege meint.

Gerhard Schröder hat derzeit gut lachen. „Brillante gesamtwirtschaftliche Daten“ stehen ihm zur Verfügung, wenn es darum geht, eine Zwischenbilanz seiner Politik zu ziehen: Das Wachstum liegt in diesem Jahr bei 3 Prozent, die Inflation bei 1,8. Der Schuldenstand soll bereits im nächsten Jahr die Anforderungen der Maastricht-Kriterien unterschreiten. Die Arbeitslosigkeit sinkt. Wieder einmal betont der Kanzler, dass Erfolg oder Misserfolg seiner Regierung an diesem Kriterium gemessen werden sollten.

Bis zum Ende der Legislaturperiode soll es in Deutschland weniger als 3,5 Millionen Arbeitslose geben. Die Steuerreform ist verabschiedet, die Rentenreform auf gutem Wege. Wer so viel Schönes zu verkünden hat, muss Einwände der Opposition nicht einmal dort fürchten, wo sie berechtigt sind. Schröder kann sogar einräumen, dass teures Benzin und Heizöl viele derjenigen belasten, „die es nicht so dicke haben“. Vage stellt er die Möglichkeit eines sozialen Ausgleichs in Aussicht und betont im Übrigen, mit einer Kampagne zu „zündeln“ bedeute, das Wachstum in Gefahr zu bringen. Das Problem ließe sich nicht durch „kurzatmige“ Steuerpolitik lösen.

Gerhard Schröder ist nie ein besonders mitreißender Redner gewesen. Allzu viele Versprecher und ein eher hölzernes Auftreten haben bisher seinen Stil geprägt. Aber Erfolg kann Flügel verleihen: Ungewohnt locker, souverän und ironisch präsentiert sich der Kanzler im Parlament.

Schlechte Voraussetzungen für Friedrich Merz. Traditionell gilt die Debatte über den Kanzleretat als Stunde des großen Duells zwischen Regierungschef und Oppositionsführer. Aber für den Vorsitzenden der Unionsfraktion ging es nach Ansicht zahlreicher Beobachter gestern um mehr als nur darum, im Parlament eine möglichst gute Figur zu machen. Nach der bitteren Niederlage im Zusammenhang mit der Steuerreform stand seine gesamte Autorität auf dem Prüfstand.

Schon nach seinen ersten Sätzen steht fest: Einen ersten Machtkampf hat der Fraktionschef offenbar schon vor Beginn der Plenarsitzung verloren. In der sechsten Reihe des Bundestages sitzt Helmut Kohl. Freundlich lächelnd. Dessen Verdienste um die deutsche Einheit werden von Friedrich Merz minutenlang gepriesen. Es sei der „Gipfel“ eines Versuchs der Geschichtsfälschung zu behaupten, die Einheit sei auch mit jedem anderen Kanzler möglich gewesen. Noch vor wenigen Monaten war Friedrich Merz einer der schärfsten internen Kritiker des Verhaltens von Altkanzler Helmut Kohl im Zusammenhang mit dem Finanzskandal. Gestern wurde deutlich, wessen Wort in der CDU nach wie vor Gewicht besitzt. Gerhard Schröder hat den Spendenskandal in seiner Rede übrigens gar nicht erst erwähnt.

Nach diesem Anfang ist die Schlacht nicht mehr zu gewinnen. Pflichtschuldig spult Friedrich Merz die Palette seiner Themen ab: Schröder werde bei der EU-Erweiterung „zu kurz springen“, die Bundeswehr brauche mehr Geld, nicht nur der Rechts-, sondern auch der Linksextremismus müsste bekämpft werden. Der Fraktionschef, dem in den letzten Monaten ein Hang zu allzu kleinteiliger Fachsimpelei nachgesagt wurde, kann durchaus verständlich reden. Manchmal ist Leidenschaft zu spüren, und oft erweckt er den Eindruck intellektueller Redlichkeit. Niemals aber verbindet er alle diese Fähigkeiten bei ein und demselben Thema miteinander.

Gerade dann, wenn ihm eine Frage am Herzen liegt, steht ihm seine Ehrlichkeit im Weg. „Stoppen Sie den Unfug mit der Ökosteuer!“, fordert er vom Bundeskanzler und bietet ihm eine Wette – Zigarren gegen Wein – an, dass Schröder die nächste Stufe der Ökosteuer nicht in Kraft treten lassen wird. Mag ja sein. Aber da Merz genau das fordert, unterstellt er dem Kanzler damit zugleich politische Vernunft. Will er das wirklich?

Zitate:Schröder zur CDU-Benzinkampagne:„Was Sie betreiben, ist der Aufruf zur Nötigung. Das wird der Staat nicht zulassen“

Merz wehrt sich:„Wir lassen uns von Ihnen ganz sicher keine Vorschriften machen“

Schröder kontert:„Wenn ich von Aufmarschplänen für Blockaden lese, dann ist das Ihre Aufforderung zur Verantwortungslosigkeit“

Doch Merz weiß:„Am Ende dieses Jahres werden Sie einen Rückzieher machen“

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