: Transparentes Textil
In der Textilindustrie herrschen ungewöhnlich krasse Zustände, was ökologische wie soziale Kriterien betrifft. Die Konsumenten scheinen Belastungen weniger zu stören als bei Lebensmitteln. Vielleicht kennen sie sie aber auch nicht. Was die Informationder Verbraucher angeht, ist Fair Trade jedenfalls beispielhaft
von MONIKA BALZER
Wenn Kleider sprechen könnten . . ., würden sie uns zuflüstern: „Behalt mich noch was länger.“ Sie würden vielleicht meckern, wenn sie anfangen zu stinken. Und sicher würden sie von kranken Textilarbeiterinnen in China erzählen, schwerhörigen Spinnern und Webern, den Tagträumen von Millionen Kinderarbeitern – auch in Indiens Lederbranche. Sie würden garantiert von ermordeten GewerkschafterInnen, von Blut, Schweiß und Tränen Millionen junger Frauen sprechen, die – weit unterbezahlt im Kampf ums tägliche Brot – ihre besten Jahre in Konfektionsbetrieben der Billiglohnländer opfern. – Das alles wissen Verbraucher meistens nicht (taz-LeserInnen schon). Manche wollen es natürlich auch nicht wissen, schließlich sind nur wenige Prozent aktive Informationssucher. Doch wer hinter die Label schauen könnte, würde sicher so manches Schnäppchen hängen lassen. Denn Gedanken machen Gefühle. Und Gefühle entscheiden.
Produkte der Modebranche werden weniger über Gebrauchswerte als über Illusionen vermarktet, Illusionen von sozialer Zugehörigkeit, Lebensgefühl, Identität. „Just be yourself!“ Natürlich sind auch die modische Aktualität, das bequeme Tragegefühl, die Verarbeitung und der Preis wichtig. Auf der anderen Seite findet Bekleidungsproduktion im globalisierten Markt statt, meist zersplittert in unzählige Stationen, der geringste Teil davon in Deutschland. Auf dem gesättigten Markt konkurrieren immer mehr Anbieter mit harten Bandagen um die Gunst der KundInnen, auch mit Öko- und Sozialdumping. Unter diesen Bedingungen geben nur wenige Unternehmen ihrer ökologischen und sozialen Verantwortung Priorität. Zwar setzt sich das Angebot humanökologisch optimierter Bekleidung à la Öko-Tex-Standard 100 im konventionellen Handel immer mehr durch, aber nachhaltig produzierte Textilien konnten nach dem Aufschwung Anfang der Neunzigerjahre den Massenmarkt noch nicht erobern. In der Marktnische der ökologisch mehr oder weniger anspruchsvollen Naturtextilien haben sich einige Firmen etabliert, wobei der Versandhandel den größten Teil abdeckt (Future Collection/Otto Versand, Hess Naturtextilien, Waschbär/Alb Natur, Panda u. a.). In ihrer modischen Kompetenz haben sich die Naturtextilien gemausert, Müslilook ist megaout.
Um Potenzen niedriger liegt der Umsatz von Fair Trade-Textilien zum Beispiel von der Gepa, von El Puente oder dem Dritteweltshop, die sozial gerechter produziert und gehandelt werden. Hier steht der soziale Aspekt im Vordergrund. Benachteiligte Gruppen sollen gefördert werden, Kleinbäuerinnen auf dem Land durch die Produktion von Seide zum Beispiel ein Zusatzeinkommen erwirtschaften können. Vermarktet werden hauptsächlich kunsthandwerkliche Produkte in traditionellen Mustern und Techniken wie Seidenschals oder Alpakapullover. Schnell etabliert haben sich auch Basics wie Tshirts und Jeans, die (halb) industriell produziert werden.
Gerade in der Fair Trade- und Öko-Nische haben Verbraucher leichteren Zugang zu Produktinformationen. Die Weltläden haben sich in ihren Konventionen der Transparenz verpflichtet. Ein Glanzstück an Transparenz bieten die „öko-fair tragen“-Shirts der Katholischen Landjugend (KLJB), die in Weltläden angeboten werden. Und gerade Naturtextilien werden oft freiwillig ausführlich mit Angaben zum Herkunftsland der Fasern, zum Verarbeitungsland, zu Faser- und Farbqualität, zu Ausrüstungsverfahren und Pflege versehen. Unzureichende Produktinformationen und Echtheitszweifel hemmen nämlich den Griff zum teureren Alternativprodukt.
Über die Hälfte der KonsumentInnen gibt an, Produkte verantwortungsvoller Unternehmen bevorzugen zu wollen. Wer Mitverantwortung für die Produktionsbedingungen übernehmen will, braucht entsprechend aufbereitete Informationen. Und darum ist es in der Regel schlecht bestellt. Ökologisch orientierte Kollektionen sind nur einer Minderheit bekannt, den Westdeutschen besser als den Ostdeutschen, wie eine Untersuchung des Instituts für sozial-ökologische Forschung 1999 ergab. Mehr als die Hälfte der Verbraucher wünscht sich mehr Aufklärung über Umweltbelastungen, die mit Bekleidung und Mode verbunden sind. Allergiker – rund ein Fünftel der Bevölkerung – sind verstärkt auf präzise Angaben zur Textilchemie angewiesen.
Was der Gesetzgeber an Textilkennzeichnung verlangt, tritt das Informationsrecht von VerbraucherInnen mit Füßen. Die aktuelle Regelung fordert nur minimale Angaben über die Fasern, nicht über die verwendeten Farb- oder Hilfsstoffe und andere Zutaten. Ob soziale Mindeststandards eingehalten werden, wird ebenso unter den Teppich gekehrt.
Andererseits geben immer mehr Unternehmen ihre Umwelt- und Sozialerklärungen (Code of Conduct) ab und erfassen ökologische und soziale Daten ihrer Aktivitäten im Rahmen von Audits. Im Idealfall wird die ganze Produktlinie mit Managementsystemen erfasst. Ein solches integriertes Stoffstrom-Management-System hat das Ökoinstitut Freiburg in einem Pilotprojekt mit dem Wäschespezialisten Triumph International erarbeitet. Es berücksichtigt auch, was beim Färben und Ausrüsten oder während des Gebrauchs und via Abfall geschieht.
Informationen aus dem Umwelt- und Sozialmanagement werden hauptsächlich betriebsintern oder innerhalb der Branche genutzt. KundInnen können zwar von auditierten Betrieben die Umwelterklärung anfordern, aber sie erfahren dort nicht, ob schwarze oder dunkelblaue Hemden die Umwelt mehr belasten als weiße. Es fehlen kostenfreie, handlungsbezogene Verbraucherinformationen, die glaubwürdig sind.
Ist ein Code of Conduct nur zu Imagezwecken da, oder wird er ernsthaft in der Praxis umgesetzt? Sind VertreterInnen von Arbeitnehmern und Nichtregierungsorganisationen (NGO) kontinuierlich einbezogen? Entscheidend für die Glaubwürdigkeit der Angaben ist nicht zuletzt eine unabhängige Kontrolle der Betriebe vor Ort. Solche Informationen für KundInnen in geeigneter Form zugänglich zu machen kostet natürlich eine Stange Geld und ist den Unternehmen nicht immer angenehm.
Aber VerbraucherInnen haben ein Recht auf zuverlässige Informationen, meinen die Umwelt- und Verbraucherverbände beziehungsweise die europäische Clean Clothes Campaign. Die Arbeitsgemeinschaft der Verbraucherverbände fordert seit vielen Jahren ein eigenes Produktgesetz für den gesamten Textilbereich inklusive der Zulassungspflicht eingesetzter Chemikalien mit ausführlicher Deklaration.
In die gleiche Richtung zielt die aktuelle Position des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland. So fordert der BUND die gesetzliche Verankerung einer Kennzeichnung aller textilen Vor- und Endprodukte, die allen Beteiligten zugänglich ist – verwendete Rohstoffe, Ausrüstungsverfahren, eingesetzte Chemikalien (die im Stoff verbleiben), Herkunftsland –, und die Einhaltung sozialer Mindeststandards, intensivere Kontrollen und einen Warenbegleitbrief der Hersteller.
Zu den Arbeitsbedingungen in der Bekleidungsbranche will die Clean Clothes Campaign Informationen von Unternehmen auf legalem Weg einfordern, und sie will Firmen verklagen, die gegen Gesetze oder Verhaltenskodizes verstoßen. Aktuell verhandelt die deutsche Kampagne für saubere Kleidung mit Adidas und Puma über die Unterzeichnung ihres Verhaltenskodex (www.saubere-kleidung.de). Bekleidungshändler in der Schweiz und in Frankreich haben ihn bereits unterzeichnet. In mehreren Pilotprojekten wird die Umsetzung erprobt.
Auch auf europäischer Ebene gibt es eine neue Initiative, um ethische Produktion und ethischen Konsum zu fördern. Die IEPCE (European Initiative for Ethical Production and Consumption) bringt VertreterInnen von Gewerkschaften, Arbeitgebern, NGOs und den EU-Staaten in Brüssel an einen runden Tisch. Es geht um Kooperation bei der Einführung, Umsetzung und Überwachung von Verhaltenskodizes (www.info@iepce.org).
Gern greifen Unternehmen zum Labelling als freiwilliger Kennzeichnungsform. Doch ist die Mehrheit der VerbraucherInnen bisher überfordert, den verwirrenden Wust von Kennzeichen zu bewerten. Einen anspruchsvollen Ansatz mit unabhängiger Kontrolle bieten die neuen Qualitätszeichen für Naturtextilien, „Better“ und „Best“. Die noch ganz frischen Label des Internationalen Verbands der Naturtextilwirtschaft (IVN) in Stuttgart beschreiben zudem einen neuen Weg für die ergänzende Produktinformation. Über die Kontrollnummern der Qualitätszeichen sollen Verbraucher demnächst im Internet den Warenbegleitbrief mit Informationen zur gesamten Produktionsgeschichte abrufen können (www.naturtextil.com). Sicher ist das Internet die Technologie der Zukunft, die die Verbrauchermacht stärkt. In Sachen Transparenz und Nachhaltigkeit weisen eindeutig die Kleinen den Großen den Weg.
MONIKA BALZER, Dipl. oec. troph., ist gelernte Umwelt- und Technologieberaterin und arbeitet als freie Journalistin. Druckfrisch erschienen ist von ihr im Hirzel Verlag, Stuttgart: „Gerechte Kleidung: Fashion Öko Fair. Ein Handbuch für Verbraucher“, 482 Seiten, 49 Mark
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen