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„Frei herabhängender Penis“

Adolf Brand war der Begründer der ersten Schwulenzeitschrift der Welt und Erfinder des Outings – und geriet dennoch in Vergessenheit. Der Kulturhistorische Verein Friedrichshagen widmet dem kämpferischen Pionier jetzt eine Ausstellung

von AXEL SCHOCK

Ben Becker spielt ihn als reichlich exaltierten Selbstdarsteller. In Rosa von Praunheims Film „Der Einstein des Sex“ über Magnus Hirschfeld erscheint Adolf Brand als unbändiger Mensch, der sich offenkundig selbst gerne reden hört und sich deshalb allzu gerne in eloquenten, wenn auch reichlich pathetischen Wortschwallen ergeht. Einer, der von männlicher Kultur schwafelt und dabei an die marmorne Arschbacke einer griechischen Heldenstatue greift.

Adolf Brand und Magnus Hirschfeld hatten beide zwar ein ähnliches Ziel vor Augen, verfolgten aber unterschiedliche Strategien. Hirschfeld verstand sich vornehmlich als Arzt und Wissenschaftler und wollte auf diesem Wege für die Beseitigung des Schwulenparagrafen 175 und die Gleichberechtigung Homosexueller kämpfen, ohne sich selbst allerdings jemals offen zu seinem eigenen Schwulsein zu bekennen. Brand hingegen war ein Schwärmer und anarchistischer Haudegen, ein Revolutionär, der sein bürgerliches Leben aufs Spiel setzte, selbst Gefängnisstrafen auf sich nahm, um für die Sache zu kämpfen.

Während Hirschfeld heute als Urvater der deutschen Schwulenbewegung wie der allgemeinen Sexualerziehung gilt, ist Adolf Brand (1874 – 1945) eine fast unbekannte Figur geblieben. Nur wenig Persönliches ist von ihm überliefert, kaum Fotografien haben überlebt. Inwieweit Ben Becker mit seiner Darstellung den Charakter Adolf Brand tatsächlich trifft, weiß niemand.

Dass dem fast vergessenen Adolf Brand nun vom Kulturhistorischen Verein Friedrichshagen eine eigene Ausstellung mit rund 500 Bildern, Schriften und Dokumenten gewidmet wird, ist zwei Umständen zu verdanken. Zum einen der Nähe des in Wilhelmshagen (damals noch Neu-Rahnsdorf genannt) beheimateten Adolf Brand zum Friedrichshagener Dichterkreis, zu dem u. a. Hans Halbe und Gerhart Hauptmann, Else Lasker-Schüler, Erich Mühsam und Julius Hart gehörten. Zum anderen der Forschung der niederländischen Literaturwissenschaftlerin Marita Keilson-Lauritz, die für ihr Buch „Die Geschichte der eigene Geschichte. Literatur und Literaturkritik in den Anfängen der Schwulenbewegung“ zahlreiche Quellen erschließen konnte.

Viele ihrer Fundstücke sind nun in der Friedrichshagener Zeitgalerie zu sehen. Zum Beispiel die Zeitschrift Der Eigene in allen zwischen 1898 und 1932 erschienenen Jahrgängen. Von vielen Nummern existierten weltweit höchstwahrscheinlich nur noch ein, zwei Exemplare.

Der Eigene gilt als die erste Schwulenzeitschrift der Welt. Der damals 20-jährige Brand war Gründer, Verleger, Autor und Redakteur zugleich. Sollte das Blatt anfänglich im vierzehntägigen Rhythmus erscheinen, so musste er nach zehn Nummern bald längere Pausen zwischen den einzelnen Ausgaben einlegen. Das Konzept war anfangs so diffus wie Brands Weltsicht.

Begeistert plädierte Brand für die freie Selbstentfaltung des Menschen und insbesondere seiner homosexuellen Leser, den Namen bezog die Zeitschrift aus Max Stirners Hauptwerk „Der Einzige und sein Eigentum“. Brand griff die Idee der Siedlungs- und Lebensreform auf und entwarf den Plan eines „Freihofs der Eigenen“. Ein Klubhaus für seine Leser und Mitstreiter, ein „Kloster Männertreu“. Dazu sollte tatsächlich ein altes Kloster erworben und zu einer „geweihten Stätte edler Männlichkeit“ umgebaut werden.

Im Untertitel hatte Brand seine Publikation „Monatsschrift für Kunst und Leben“ benannt und damit das zukünftige Programm beschrieben. Es erschienen Gedichte – aus heutiger Sicht reichlich Hymnisches und Kitschiges (nachzulesen in einer jetzt veröffentlichten Anthologie „Wenn Buben sich küssen“) – Aktfotografien, Zeichnungen und Grafiken, Literaturrezensionen und Prosa. Kurzum eine Zeitschrift, die sich den „sexuellen, sozialen und künstlerischen Fragen der Gegenwart“ zuwenden wollte, „bei eingehender Würdigung des Problems der Homosexualität“.

Schwule wie nichtschwule Autoren lieferten Beiträge, darunter auch renommierte wie Theodor Lessing, Erich Mühsam sowie Klaus und Thomas Mann. Kein einfaches Unterfangen in diesen Zeiten. Brand hatte nicht nur ständig mit finanziellen Schwierigkeiten zu kämpfen. Auch die preußische Zensur machte immer wieder Probleme. 1903 kam es beispielsweise zu einem Prozess um ein Gedicht mit dem Titel „Die Freundschaft“. Dumm nur für den Richter, dass dieser beanstandete Text von Friedrich von Schiller stammte.

Ebenfalls glimpflich kam Brand 1916 bei einem Prozess vor der Berliner Strafkammer davon, als man ihn bezichtigte, mit dem in seinem Verlag hergestellten Aktpostkarten unzüchtige Bilder zu vertreiben. Doch der Richter musste anerkennen, dass „auf allen diesen Bildern der Geschlechtsteil der abgebildeten Personen, namentlich der frei herabhängende männliche Penis, deutlich zu sehen ist“, jedoch „nicht geschlechtliche Lüsternheit, sondern das „ästhetische Wohlgefallen des Käufers“ erregen wollen und lediglich künstlerischen, wissenschaftlichen und rassenhygienischen und nicht homosexuellen Zwecken dienten. Trugen diese Bildserien doch so schöne Titel wie „Rasse und Schönheit“ und „Deutsche Rasse“.

Weniger glimpflich ging für Brand ein Prozess im Jahre 1907 aus. Während Hirschfeld und sein „Wissenschaftlich-Humanitäres Komitee“ prominente Männer zum freiwilligen Coming-out bewegen wollten, um damit den Kampf um Gleichberechtigung zu beschleunigen, setzte Brand auf Denunziation. In einem Flugblatt „Fürst Bülow und die Abschaffung des § 175“ bezeichnet er den Reichskanzler Bernhard von Bülow als homosexuell. Eine Behauptung, die er während des Beleidigungsprozesses nicht beweisen konnte. Er wurde zu eineinhalb Jahren Gefängnis verurteilt.

1933 wird Brands Verlag geschlossen. Später werden das Verlagsarchiv wie auch seine private Bibliothek und die Restbestände seiner Zeitschriften beschlagnahmt. Das wenige, das ihm bleibt, wird im Frühjahr 1945 vernichtet, als eine Bombe sein Wohnhaus trifft. Sechs Menschen kommen dabei ums Leben. Einer von ihnen ist Adolf Brand.

Bis 17. 11., ZEITGalerie Friedrichshagen, Scharnweberstr. 59. Der Katalog zur Ausstellung, herausgegeben von Rolf Lang und Marita Keilson-Lauritz, ist in der edition friedrichshagen erschienen (247 S., 29,80 DM), ebenso die kommentierte Anthologie „Wenn Buben sich küssen. 7 x 11 Gedichte aus der Zeitschrift ‚Der Eigene‘“, 131 S.

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