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Hai im Bremer Sardinentümpel

■ Gestern wurde in der Hansestadt die „Günter-Grass-Stiftung Bremen“ gegründet. Sie sammelt systematisch all das, was der Literatur-Nobelpreisträger in den letzten 40 Jahren gelesen, vorgetragen und öffentlich verkündet hat

1959 galt er dem Senat noch als jugendgefährdender Pornograf, der des Bremer Literaturpreises nicht für würdig erachtet wurde. Jetzt können die BremerInnen mit Bürgermeister Henning Scherf (SPD) an der Spitze vom inzwischen weltberühmten Literatur-Nobelpreisträger Günter Grass offenbar nicht genug bekommen. Eine Stiftung, die den Namen des Literaten trägt, wurde gestern ins Leben gerufen, verursachte während des Gründungsaktes im Bremer Rathaus bei den Stiftern leuchtende Gesichter und beim Geehrten das mulmige Gefühl, dass nun auch „all die törichten Worte, die ich in den letzten 40 Jahren von mir gegeben habe, öffentlich zugänglich sind.“

Auf eben diese Torheiten und all das Kluge, das der 73-Jährige seit Mitte der 50er Jahre öffentlich von sich gegeben hat, hat es die „Günter-Grass-Stiftung Bremen“ nämlich besonders abgesehen. Denn die als audiovisuelles Archiv und rezeptionsgeschichtliche Forschungsstelle konzipierte Einrichtung soll nach dem Willen der Stifter – neben der Hansestadt zählen dazu Radio Bremen, Grass' Verlag Steidl und diverse private Stifter und Institutionen – systematisch sammeln, was sich an Ton- und Bilddokumenten von und über Grass vor allem in den Archiven der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten verbirgt. Die Keller von Radio Bremen sind dabei besonders ergiebig, verbindet Grass doch mit dem kleinen ARD-Sender eine lange, von Interviews, Werkstattgesprächen und Lesungen üppig gespickte Geschichte. Steidl spendiert zudem sein umfangreiches Pressearchiv.

Eines der ersten Ziele der Stiftung soll sein, eine „Werkausgabe des gesprochenen Wortes“ von Grass zu erstellen, das LeserInnen, WissenschaftlerInnen und JournalistInnen offen stehen wird. Eine Datenbank, auf die auch per Internet zugegriffen werden kann und die das mehrere tausend Dokumente umfassende Archivmaterial beinhalten wird, bildet daher das Herzstück der Grass-Stiftung. Gleichzeitig soll die Stiftung eng mit den anderen Grass-Forschungsstellen wie der Berliner Akademie für Künste, dem Deutschen Literaturarchiv Marbach oder dem Heinrich- und Thomas-Mann-Zentrum in Lübeck vernetzt werden.

Wer jedoch jetzt schon unter www.guenter-grass.de die ersten Downloads ausführen will, trifft dort noch auf eine „Baustelle“ auf der Homepage von Radio Bremen. Die Stiftung ist zwar gegründet und hat an der Sandstraße 3 bereits ein Domizil, funktionsfähig ist sie jedoch momentan noch nicht. Deutlich mehr als die bislang von Bremer Unternehmen und Privatpersonen zugesagten vier Millionen Mark Stiftungskapital werden nötig sein, um die Arbeit der Grass-Stiftung zu finanzieren. Der Bremer Haushalt werde dazu nichts beitragen, erklärte Scherf der Presse. In zwei Jahren soll die Stiftung ins Polizeihaus umsiedeln, wo ihr der Bauunternehmer Kurt Zech mietfrei Räume überlassen wird.

Über dieses Engagement der Bremer Wirtschaft freut sich der Linke Grass „sehr“. Irgend jemand müsse schließlich mithelfen, den von neoliberaler Ideologie zerfressenen Kapitalismus vor dem Abgleiten in die nächste totalitäre Katastrophe zu bewahren. Und während Gestalten wie Hessens Ministerpräsident Roland Koch (CDU) sich verbal bereits wieder in die Allianz mit den rechtsradikalen Skinheads begäben, sei jeder willkommen, der dem etwas entgegensetze. Wohl vor allem für derartig klare Worte ernannte Hans Magnus Enzensberger Grass einst anerkennend zum „Hai im Sardinentümpel“. Im Bremer Tümpel hat der Hai jetzt ein Biotop gefunden. zott

Die Stiftung erreicht man über ihren Geschäftsführer Harro Zimmermann: Tel.: 246 14 55

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