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grüner müll: multikulturSinnlose Debatte

Sie leben hier, haben die deutsche Staatsangehörigkeit und empfinden trotzdem in manchen Dingen anders als Lieschen Müller. Bezeichnet man hier geborene Deutsche mit türkischen oder tunesischen Eltern als Türken oder Tunesier, sind diese irritiert. Zu Recht. Die „Deutschländer“ sind keine Tunesier und Türken mehr. Sie sind unsere Multikultis.

Kommentarvon EDITH KRESTA

In England mit seiner viel älteren Migrationsgeschichte wird der Begriff Multikulturalität längst als untauglich empfunden. Lieber spricht man von „Hybridität“. Das beinhaltet Vermischung, Beziehung, gegenseitige Beeinflussung, einen dynamischen gesellschaftlichen Prozess statt eines statischen Nebeneinanders der Kulturen. Der Begriff mag schwerfällig daherkommen – aber er entspricht der Realität und öffnet den Blick nach vorn.

Diesen Blick hätte man sich auch von der Grünen-Chefin Ranate Künast gewünscht, als sie den Begriff Multikulti entsorgte und damit ein Symbol grüner Politik auf den Müllhaufen historischer Irrtümer warf. Doch stattdessen müssen wir erkennen: Die Grünen, die sich nun in der Verantwortung sehen, an den Bedingungen der Einwanderungsgesellschaft Deutschland mitzubasteln, haben diesbezüglich weder Konzepte noch Ideen.

Das macht anfällig für sinnlose Debatten. Künast verabschiedet sich von dem Begriff „multikulturelle Gesellschaft“ zu einem Zeitpunkt, wo das Thema ideologisch hochgepuscht wird. Das ist opportunistisch.Weil „der Begriff nicht erklärt, nach welchen Regeln wir leben“. Wollte er auch nie. Die Regeln sind ohnehin klar: durch das Grundgesetz, das Bürgerliche Gesetzbuch. Und wer gegen das Strafgesetz verstößt, wird bestraft – unabhängig von Religion und Esskultur.

Glaubt jemand ernsthaft, selbstherrliche Imams könnten hier zu Lande die Demokratie untergraben? Oder eine Hand voll türkischer Jungmachos würde die Quotierung bei den Grünen rückgängig machen? Hält sich etwa jeder deutsche Kleinpatriarch an die Prinzipien der Gleichstellung von Mann und Frau? Eigentlich pflegt Künast einen kulturellen Rassismus: Sie unterstellt, dass Ausländer sich mit den Errungenschaften des Westens besonders schwer tun.

Nach der Diskussion um Leitkultur, Light-Kultur, Leidkultur erhalten wir nun die „Leitlinie des Verfassungspatriotismus“ – ein weiterer überflüssiger Beitrag deutscher Selbstvergewisserung, diesmal von Renate Künast. Damit ist sie nicht weit vom CDU-Mann Merz entfernt. Auch der kauft bei Türken.

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