: Kulturkampf um Begriffe
Multikultur ist den Deutschen zu einem Synonym für Folklore geworden. Die Realität aber macht den Grünen Unbehagen
BERLIN taz ■ Mit einer geballten Ladung Multikultur ging am Dienstag die Expo in Hannover zu Ende: „Rund vierzig Gruppen aus verschiedenen Ländern zogen trommelnd und tanzend in farbenprächtigen Kostümen über das Gelände. Vietnamesische Künstler schlängelten sich mit einem langen, goldenen Drachen durch die Menge; Musiker aus Benin liefen barfuß über das kalte Pflaster; Frauen aus der Karibik in Sonnenkostümen ließen die Zuschauer den ungemütlichen Wind vergessen“, berichteten die Korrespondenten der dpa gestern Morgen.
So pittoresk und idyllisch sind die Bilder, die sich die Menschen hierzulande gerne von fröhlich konsumierbarer Multikultur machen. Die ist populär, solange sie in ihren folkloristischen Formen genossen werden kann. Doch während in Hannover noch zur Feier der Multikulturalität angehoben wurde, ist bei den Grünen eine Diskussion entbrannt um die Frage, welche gesellschaftspolitischen Vorstellungen sich mit dem Begriff eigentlich verbinden. Dabei geht es um mehr als bloß Bezeichnungen, sondern um politische Konzepte. Bei den Grünen war die Rede von der „multikulturellen Gesellschaft“ schließlich stets mit konkreten Zielen verbunden: Weil sie von der Auffassung ausgingen, dass sich Migranten in Deutschland stark über ihre Herkunftskultur definieren, sahen sie es als die Auffassung grüner Politik an, diese zu unterstützen – oder zumindest das, was für deren unverdächtige Elemente gehalten wurde: Sprache und Folklore ja, Kopftuch und Moscheen eher nicht.
Unter dieser Prämisse setzten sich die Grünen gezielt für Institutionen ein, die diesem Ideal dienen sollten: Radio Multikulti in Berlin und das Funkhaus Europa in Köln mit ihren Fremdsprachenprogrammen oder den Berliner „Karneval der Kulturen“ als Paradestück postalternativer Multikultur-Vorstellungen.
Leider werden diese Angebote von den eigentlichen Adressaten kaum angenommen: Der Anteil türkischer Hörer bei Radio Multikulti ist eher gering, weil auch viele Jugendliche der zweiten Generation lieber dem flotten Türkpop von Radio Metropol, dem türkischen Sender der Stadt, lauschen. Stattdessen hat die Zahl der Kopftücher und Moscheen sichtbar zugenommen.
Dieser real existierenden Multikultur haftet auch für aufgeklärte Grüne ein problematischer Beigeschmack an – sie ist so unpopulär, dass sich manche Grüne am liebsten ganz von dem vermeintlichen Unwort verabschieden würden, das sie selbst einst geprägt und mit Leben gefüllt haben. Bezeichnenderweise waren es ja keine Migranten, die den Begriff einst ins Spiel gebracht haben, sondern deutsche Politiker, die damit bestimmte Vorstellungen des einvernehmlichen Zusammenlebens verbunden hatten. DANIEL BAX
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen