: Brutalstmögliche Prävention
Mit der zunehmenden gesellschaftlichen Gewalt entsteht im Bereich Konfliktprävention ein neues Berufsfeld jenseits der klassischen Sozialarbeit: Schüler werden zu Streitschlichtern ausgebildet, Eltern auf die Schulbank befördert
von OLIVER VOSS
Die Erhebung der Bundesregierung spricht für sich: Seit 1993 stieg die Zahl der von Jugendlichen begangenen Straftaten um über 66 Prozent. Bei Körperverletzungen und Raubdelikten ist gar eine Steigerung von jeweils 143 Prozent zu verzeichnen.
Vorschläge, wie man diesem Phänomen begegnen kann, gibt es viele. Den Nutzen einer dabei diskutierten Videoüberwachung von Schulhöfen zeigen am besten die VHS-Bänder des High-School-Massakers von Littleton. Sinnvoller sind da die verschiedenen Programme der Gewalt- und Konfliktprävention. Die über lange Zeit stiefmütterlich behandelten Vorbeugeprojekte haben momentan Hochkonjunktur. Thüringen startete in dieser Woche als erstes Bundesland ein landesweites Programm zur Gewaltprävention. In Berlin wird der 8. November erstmals zum „Präventionstag“ erklärt. „Gewaltprävention ist eine Aufgabe für die ganze Gesellschaft“, erklärte Jugendstaatssekretär Frank Ebel, der als Vorsitzender der Landeskommission gegen Gewalt einen Präventionspreis verleihen wird. Damit soll ein Arbeitsfeld gewürdigt werden, das immer stärker an Bedeutung gewinnt.
„Ich habe in letzter Zeit von so vielen Aktivitäten gehört wie nie zuvor“, berichtet Klaus-Jürgen Tillmann. Der Bielefelder Forscher beschäftigt sich mit der Evaluation verschiedener Modelle. Genaue Zahlen liegen allerdings bisher kaum vor, ebenso verhält es sich mit Angaben über Größe und Wachstum des gesamten Berufsfelds. Für „recht gute Modelle“ hält der Schulpädagoge das Lehrerverhaltenstraining. Junge Heranwachsende sind oft auf Konfrontation mit ihren Paukern aus, doch die sind darauf zu selten vorbereitet.
Im „Netzwerk Miteinander“ des Landes Sachsen-Anhalt werden entsprechende Programme angeboten. Im Mittelpunkt der Initiative, die das Land mit 1,7 Millionen Mark jährlich fördert, steht jedoch die Arbeit mit Jugendlichen. So genannte Streitschlichter sind laut Klaus-Jürgen Tillmann das verbreitetste Modell der Konfliktdeeskalation, und die Erfolge sind durchaus vorzeigbar. „Die Konflikte an unserer Schule haben durch die Arbeit der Streitschlichter um die Hälfte abgenommen“, berichtet Marion Perlich, die in Halle Schüler zu Streitschlichtern ausbildet. Auch in Nordrhein-Westfalen gibt es an etwa 10 Prozent aller Schulen solche Gruppen.
Im Hamburger Problembezirk Altona bildet Britta Gröger Schüler zu Streitschlichtern aus. Am wichtigsten sei es, den Jugendlichen Räume zu schaffen, sie aus der „Alles ist Scheiße“-Haltung herauszubekommen, sagt die Leiterin des Projekts „Zoff“. Gröger ist eigentlich Schauspielerin, weitere Mitarbeiter von „Zoff“ haben Psychologie oder Pädagokik studiert. „Sozialarbeiter wollen wir nicht unbedingt“, erklärt sie, denn Gewaltprävention gehe über die klassische Sozialarbeit hinaus.
„Einen Konflikt mit der Sozialarbeit sehe ich überhaupt nicht“, meint Hermann Seibhert. In diesem Bereich ist man zuerst auf das Problem Gewalt aufmerksam geworden, und viele Sozialarbeiter suchen Zusatzqualifikationen in Sachen Prävention. Seibhert ist Mitbegründer der „Gesellschaft für Konfliktmanagement und Mediation“, die seit 1994 Mediatoren ausbildet. Hierzulande gebe es knapp 500 Konfliktvermittler, die diesen geschützten Titel tragen, schätzt er. Vorqualifikationen benötigt man für die einjährige Ausbildung nicht, Seibhert selbst war früher Gärtner. Sich als hauptberuflicher Mediator zu ernähren hält er noch für problematisch, doch der Bedarf „wächst zunehmend“.
Das größte Problem in der Gewaltprävention ist das Verhalten der Eltern, erklärte der Kieler Psychologe Thomas Bliesener. Man versucht, den Jugendlichen eine kontrollierte Streitkultur beizubringen und zu Hause wird das Gegenteil vorgelebt. Der Ansatz, solche Verhaltensmuster in so genannten Elternschulen zu ändern, ist am schwierigsten, betont Thomas Bliesener: „Wer es am nötigsten hat, kommt nicht.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen