: Das System lebt
Die Medien haben viel zur Aufklärung des CDU-Skandals beigetragen. An der Parteienfinanzierung wird das nichts ändern: Die Politiker wollen keine Kontrolle
Der parlamentarische Untersuchungsausschuss hat beschlossen, Helmut Kohl erneut vorzuladen: Das ist keine Schlagzeile, das ist eine Kurzmeldung. Das öffentliche Interesse ist weitergewandert, und das liegt nicht einfach daran, dass sich das Publikum eben rasch langweilt. Vielmehr zeigt die Berichterstattung über den CDU-Skandal – der weit mehr war als eine einfache Spendenaffäre –, was Medien zu leisten vermögen und welche Grenzen ihnen gezogen sind.
Die Affäre habe bewiesen, dass die demokratischen Institutionen in der Bundesrepublik intakt seien, freute sich Ende letzten Jahres in der taz Friedhelm Hengsbach, jesuitischer Professor für christliche Gesellschaftsethik: „Die Staatsanwaltschaft ermittelt. Die Medien stellen Öffentlichkeit her. Das Parlament mistet aus. Wer das Recht gebrochen hat, wird bestraft.“ Nun ja. Noch immer bleibt abzuwarten, ob und wie diejenigen bestraft werden, die das Recht gebrochen haben, und bis heute steht nicht fest, zu welchen Konsequenzen die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen führen werden. Haben denn nun wenigstens die Medien tatsächlich Öffentlickeit hergestellt? Ja. In Maßen.
Ob eine Nachricht zum Skandal wird und es auf die Titelseiten schafft oder ob sie sich als Zweispalter irgendwo im Blatt versteckt und bald in Vergessenheit gerät, hängt eng mit der Machtposition der Beteiligten zusammen – und mit den Interessen ihrer politischen Gegner. Bei keinem anderen Skandal, der die Republik erschütterte, ist das so deutlich geworden wie bei der jüngsten CDU-Affäre. Einige Informationen über zweifelhafte Finanzpraktiken, insbesondere beim Verkauf der Leuna-Raffinerie, hatte es bereits vor Jahren gegeben. Solange Helmut Kohl jedoch Bundeskanzler war, erreichte das Thema eine breitere Öffentlichkeit nicht. Es blieb den Runden der politischen Feinschmecker vorbehalten.
Wohlfeile Erklärungen drängen sich auf: Die Journalisten (und vor allem Gremien und Verleger) wollen es sich halt nicht mit den Mächtigen verderben. Stillschweigende Kumpanei und gemeinsame Interessen von politischem Apparat und Medien spielen eine Rolle, wenn die Herrschenden erst dann auch vom moralischen Thron gestürzt werden, sobald sie nicht mehr herrschen. Selbst wenn diese Unterstellungen mehr als nur ein Körnchen Wahrheit enthalten mögen, so greifen sie doch als alleinige Begründung zu kurz.
Die Ursache für die seltsame Unlust, sich ausführlich mit dem Thema zu beschäftigen, liegt tiefer. Über alle politischen Meinungsverschiedenheiten hinweg will die große Mehrheit der Bevölkerung ebenso wie die allermeisten Politiker gerne daran glauben, dass mit dem System insgesamt alles seine Ordnung hat, deshalb auch nichts grundlegend geändert werden muss, und dass Skandale sich auf bedauerliches Fehlverhalten Einzelner zurückführen lassen. Vor dem Hintergrund dieses politischen Harmoniebedürfnisses ist es ein großer Unterschied, ob der Vorwurf der Bestechlichkeit und anderer krimineller Handlungen gegen einen amtierenden oder gegen einen abgewählten Regierungschef erhoben wird.
Es ist kein Zufall, dass im Zuge der CDU-Affäre nur die Mächtigen der Vergangenheit ins Zwielicht geraten sind, der hessische Ministerpräsident Roland Koch aber trotz seiner Verstrickung in den Skandal als Hoffnungsträger der Union gehandelt wird. Der Rückzug von Wolfgang Schäuble aus Spitzenämtern ist übrigens nicht die Ausnahme, die die Regel bestätigt. Zum einen galt auch er als Mann der Ära Kohl. Zum anderen und vor allem aber stürzte er ja – auch seiner eigenen Einschätzung zufolge – nicht in erster Linie über Medienberichte, sondern über die wachsende Opposition gegen ihn in den eigenen Reihen.
Keineswegs handele es sich bei der Affäre um eine Krise des Systems, beeilten sich Vertreter der Regierungsparteien zu betonen. In der Krise befinde sich nur die CDU. Das ist eine bequeme Deutung. Vieles liegt noch immer im Dunkeln. Dennoch kann kein Zweifel bestehen, dass das politische System der Bundesrepublik erheblich weniger Schutz vor illegalen Praktiken bietet, die Deutsche bis dahin hochmütig nur in anderen Ländern vermutet hatten, als zuvor angenommen worden war.
Als Ende letzten Jahres deutlich wurde, welche Dimensionen die Affäre hatte, mehrten sich Stimmen, die eine völlige Neuregelung der Parteienfinanzierung forderten. Dazu gehörte auch der ehemalige Bundeskanzler Helmut Schmidt – kein Politiker, dem gemeinhin Naivität und mangelnder Pragmatismus unterstellt wird. Eine erhebliche Verschärfung der Kontrolle von Parteien liegt aber im Interesse keines politischen Lagers, und so wurde denn der Skandal flugs auf Verfehlungen einzelner CDU-Politiker reduziert und mit Hilfe des Begriffs „System Kohl“ personalisiert und zugespitzt. Für die Medienberichterstattung hatte das gravierende Folgen.
So lange das Ergebnis einer Diskussion noch offen ist, so lange werden auch in Leitartikeln und Analysen sehr unterschiedliche Standpunkte vertreten. Haben sich die Parteien aber auf eine gemeinsame Deutung verständigt, dann verschwinden Ansichten, die von diesem „Meinungskorridor“ abweichen, allmählich aus den Zeitungsspalten. Das gilt übrigens nicht nur für die CDU-Affäre und hat nichts mit Opportunismus zu tun, sondern mit sehr handfesten, praktischen Ursachen.
Wenn Forderungen und Anregungen der Beobachter keinen Widerhall bei den Handelnden finden, ja nicht einmal mehr Widerspruch hervorrufen, dann gibt es nichts Neues zu berichten. Die Zahl der Kommentare, die immer wieder dieselbe Meinung äußern können, ohne dass zusätzliche Aspekte zu bewerten sind, ist jedoch begrenzt. Entgegen einer weit verbreiteten Ansicht können Medien keine Themen „setzen“, sondern lediglich Interesse, das bereits besteht, verstärken oder abflauen lassen. Politiker hingegen sind imstande, ein Thema totzuschweigen, wenn sie nur einig sind. Bei der Parteienfinanzierung war genau das der Fall.
Die Medien, und vor allem einige Zeitungsjournalisten, haben bei der faktischen Aufklärung der CDU-Affäre besser gearbeitet als mancher Staatsanwalt. Parteien und Politiker aber zeigten nur geringe Bereitschaft, sich ernsthaft mit der Frage auseinander zu setzen, wie der Wiederholung eines solchen Skandals begegnet werden kann. Das hat mittelfristig dazu geführt, dass auch die Medien diesem Komplex kaum noch Aufmerksamkeit schenkten. Der Berichterstattung fehlt deshalb seit Monaten eine Klammer. Inzwischen mutet sie wieder so detaillistisch an, dass sie in ihren Feinheiten erneut zum Thema für politische Feinschmecker geworden ist. Mit Blick auf die häufig beklagte Politikverdrossenheit eines wachsenden Teils der Bevölkerung mag sich das noch rächen.
BETTINA GAUS
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