: Die Ironie des Scheiterns
Alle bedauern, dass die Weltklimakonferenz ergebnislos blieb. Doch macht das nichts. Es wurde sowieso das Falsche debattiert: der weltweite Handel mit Emissionsrechten
Seit es Weltklimakonferenzen der Regierungen gibt, also seit 1992, gab es regelmäßig einen einzigen konkreten Beschluss – für eine Folgekonferenz. So war Den Haag die sechste Konferenz in acht Jahren. Deren Debakel deckt gleichzeitig auf, dass der viel gerühmte Erfolg von Kioto vor drei Jahren eigentlich gar keiner war: Wesentliche Fragen der Umsetzung blieben ungeklärt, sodass man zwei weitere Konferenzen – die im vergangenen Herbst in Bonn und nun in Den Haag – ansetzen musste. Und selbst wenn diese mit einem Konsens geendet hätten, wäre immer noch offen geblieben, wie denn nun der Handel mit Emissionsrechten, die Missbrauchskontrolle und die Sanktionsmechanismen genau aussehen müssten. Weitere Konferenzen hätte es in jedem Fall gegeben.
Die grundlegende Frage ist, ob diese Konferenzitis überhaupt noch einen Sinn hat. Ist sie nicht längst zum Instrument der Methode „Global reden, national aufschieben“ geworden? Muss Klimaschutz durch ein globales Abkommen aller Regierungen über detaillierte Instrumente nicht zwangsläufig zum Torso werden – angesichts extrem unterschiedlicher wirtschaftlicher, demografischer, geografischer und ökologischer Bedingungen der Länder? Muss ein Ergebnis deshalb nicht zwangsläufig entweder total verwässert oder zum bürokratischen Monstrum werden? Ist die Suche nach harmonischen Übereinkünften nicht politisch und ökonomisch naiv? Haben die Weltklima-Konferenzen überhaupt die richtigen Handlungsoptionen auf der Tagesordnung?
Von Anfang an galt die falsche Prämisse, in deren Fransen sich die Konferenzteilnehmer mehr und mehr verstrickt haben, dass der aktive Klimaschutz als Last zu betrachten sei. Dies führt unmittelbar zu dem abstoßenden Gefeilsche um eine Lastenverteilung. Dass der Wechsel zu emissionsarmen Energieträgern (Energieeffizienz) und emissionsfreien erneuerbaren Energien eigentlich eine ökologische und ökonomische Chance ist, das kommt bei dieser Lastenfixierung nicht in Betracht. Ebenso wie die Tatsache, dass die energiebedingten ökologischen Großkatastrophen ja auch ökonomische sind – inzwischen mehrere Hunderte im Jahr.
Das peinliche Lastengejammer führte dazu, dass Klimadiplomaten und -wissenschaftler anfingen, win-win-Konzepte zu entwickeln: den Handel von „Emissionsrechten“. Damit sollten die Großinteressen der Wirtschaft zum Klimaschutz motiviert werden, allen voran die USA. Immerhin hatte deren heutiger Finanzminister Summers 1991 die prinzipielle Bereitschaft dazu signalisiert, als er die perverse These aufstellte, die Dritte Welt sei scandalously underpolluted – könne also durchaus mehr Emissionen vertragen.
Weil, so die energieökonomische Begründung, damit eine globale Kosteneffizienz beim Klimaschutz am ehesten zu gewährleisten sei, stürzten sich auch die Modellschreiner diverser Umweltinstitute auf dieses Konstrukt. Dass es von der „Wirtschaft“ favorisiert wurde, schien diese konsensuale all-winner-Strategie zu bestätigen.
Spätestens damit ist die Lastenverteilung bei einer Quadratur des Kreises angelangt: bei dem untauglichen Versuch, das Klima zu schützen, indem die Hauptverursacher – im Kern die fossile Energiewirtschaft – gleichzeitig geschont werden sollen. Dass dies den skrupellosesten Energieemittenten der USA, Kanada und Australien noch nicht Schonung genug war, gehört zur Ironie des Scheiterns.
Die Situation wäre kaum genießbarer, wenn die USA nicht blockiert hätten. Würde nämlich – nach weiteren Konferenzen – tatsächlich ein weltweiter Emissionshandel etabliert, dann hätten wir es im besten Fall mit einem „marktwirtschaftlich“ genannten Konzept zu tun, das ganz und gar unmarktwirtschaftlich wäre. Es würde zu einer unpraktikablen globalen Investitionslenkung führen und spätestens daran versagen.
Aktiver Klimaschutz bedeutet ökonomisch, fossile Energie durch erneuerbare Energien und Effizienztechniken zu substituieren. Daraus jedoch ein globales Verrechungssystem zu machen, funktioniert allenfalls in einem kybernetischen Theoriemodell, nicht aber in der Praxis. Zum Vergleich: Wäre vor zwanzig Jahren – am Beginn der Informationstechnologien – gesagt worden, aufgrund dieses einschneidenden Strukturwandels dürften Computer nur auf der Basis einer internationalen Konvention eingeführt werden, hätte man sich der Lächerlichkeit preisgegeben. Dennoch wird genau das bei neuen Energietechniken versucht.
Das politische Klimagetrampel hat bisher nur dazu beigetragen, ein wertvolles Jahrzehnt zu verspielen. Die Vorteile der neuen Energietechniken sind so immens, dass ein Weltabkommen als Handlungsanreiz nicht zwingend nötig ist – wenn man endlich volkswirtschaftlich bilanzieren und sich nicht nach den Interessen der Energiewirtschaft richten würde. Zu den Vorteilen gehören: die Entlastung der Zahlungsbilanz von Energieimporten, der Aufbau neuer Industrien, die Vermeidung unbezahlbar werdender Umwelt- und Gesundheitsschäden, die Verhinderung internationaler Konflikte um Ressourcen.
Bei jeder anderen Technologie heißt es: schnell sein, weil dies Startvorteile bringt. Dass dies ausgerechnet bei den überlebenswichtigen Technologien vergessen wird, offenbart, dass sich die Weltklimakonferenz noch immer in geistiger Gefangenschaft der atomar/fossilen Energiewirtschaft befindet, die der Verlierer des energetischen Strukturwandels sein wird.
Weltklimakonferenzen machen nur Sinn, wenn sie sich auf pauschal formulierte Mindestziele beschränken – und die Umsetzung den Ländern selbst überlassen bleibt. Darüber hinaus müssten sie endlich den Abbau der konventionellen Energiesubventionen thematisieren, die jährlich 300 Milliarden Dollar ausmachen. Sie müssten darauf zielen, die globale Steuerbefreiung für Flug- und Schiffstreibstoffe abzuschaffen. Der expandierende Flugverkehr ist zum Klimakiller geworden, und die Subventionierung des Interkontinentalhandels ist eine glatte Wettbewerbsverzerrung, die den Regionalhandel diskriminiert und überflüssige Transportleistungen mit immensem Energieverbrauch provoziert.
Vor allem aber müsste endlich der nichtkommerzielle Technologietransfer für erneuerbare Energie und Energieeffizienz in die Dritte Welt vorangetrieben werden mit Hilfe einer internationalen Agentur. Bislang gibt es nur die internationale Agentur für die Atomenergie. Die Prioritäten der Weltbank, die mehr als 90 Prozent ihrer Energiekredite für fossile Energieinvestitionen vergibt, müssten radikal verändert werden. Gleiches gilt für andere Entwicklungsbanken. Die Aufforstung müsste global vorangetrieben werden – aber nicht anstelle von Emissionsminderungen, sondern zusätzlich. Und die weitere Abholzung von Tropenwäldern ist zu verhindern, indem Kredite an diese Bedingung geknüpft werden. Das alles wäre die adäquate Tagesordnung einer Weltklimakonferenz.
HERMANN SCHEER
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