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Der Kronprinz

Heute verabschiedet das Abgeordnetenhaus den ersten Landeshaushalt, der die Handschrift des neuen Finanzsenators trägt. Ein Jahr nach seinem Amtsantritt hat der CDU-Politiker Peter Kurth seine Position im Senat wie in der eigenen Partei gefestigt

Diepgen wollte Kurth eigentlich nicht. Kein Wunder. Dessen Fitnessprogramm für den klammen Stadtstaat widerspricht so ziemlich allem, was bislang als das „System Diepgen“ galt

von RALPH BOLLMANN

Langstreckenläufer. Fettabbau. Muskelaufbau. Wer über Peter Kurth spricht, kommt um diese Vokabeln meistens nicht herum. Und wenn der Finanzsenator über den Landeshaushalt spricht, benutzt er sie gelegentlich auch. Kein Wunder: Schließlich hat der Mann die Zeitschrift Men’s Health abonniert – „als Mahnung und Anregung, mehr Sport zu machen“. Im letzten Jahr, so sagt er, ist er kaum noch dazu gekommen; schließlich muss er sich jetzt um das Fitnessprogramm für ein ganzes Bundesland kümmern.

Ein Jahr ist Peter Kurth nun Finanzsenator in Berlin, dem ärmsten Land der Republik. Heute verabschiedet das Abgeordnetenhaus den ersten Haushalt, der seine Handschrift trägt. Für morgen hat Kurth die Presse eingeladen, um sein erstes Jahr selbst zu bilanzieren. Dann wird es um Milliarden und Prozente, um Mehreinnahmen und Minderausgaben gehen.

Was Kurth selbst gewiss nicht sagen wird: Innerhalb dieses einen Jahres hat er es in der Berliner CDU geschafft, sich in der Generation nach Eberhard Diepgen unangefochten auf den ersten Platz emporzuarbeiten. Als das Finanzressort nach dem Verzicht der SPD ganz unverhofft der Union zugefallen war, hatte der Regierende Bürgermeister in der ganzen Republik nach geeignetem Personal geforscht. Erst als den Job niemand wollte, war Kurth an der Reihe – bis dahin stets loyaler Staatssekretär der eisernen SPD-Sparlady Annette Fugmann-Heesing.

Über Diepgens Zögern konnte sich niemand wundern. Schließlich widerspricht Kurths Fitnessprogramm für den klammen Stadtstaat so ziemlich allem, was bislang als das „System Diepgen“ galt. Wie zu den alten Westberliner Tagen war auch nach dem Fall der Mauer öffentliches Haushaltsgeld das probate Mittel, um die Machtmaschine zu ölen und sie mit Wählerstimmen zu füttern.

An Konfliktpotenzial fehlt es also nicht. Und tatsächlich geriet Kurth just an den beiden neuralgischen Punkten mit den Exponenten des alten Systems aneinander. Erstens: der öffentliche Dienst. Den Vertrag, der das Monopol der Stadtreinigung langfristig absichert und das Personal vor Kündigungen schützt, hatte Diepgen bereits formuliert, bevor Kurth ihn überhaupt zu sehen bekam. Zweitens: das Geld der Lottospieler, das ein Stiftungsrat unter dem Vorsitz des mächtigen CDU-Fraktionschefs Klaus Landowsky bislang freihändig verteilen konnte. Der Senat hatte auf seiner sommerlichen Haushaltsklausur, an der die Vorsitzenden der beiden Koalitionsparteien erstmals nicht teilnehmen durften, einen Teil dieser Millionen fest im Etat des Landes eingeplant – und damit dem persönlichen Zugriff Landowskys entzogen. Der Fraktionschef tobte. Jetzt sagt er: „Der Peter Kurth hat seine Sache brillant gemacht.“

Auch Kurth selbst würde von einem „Konflikt“ natürlich nie sprechen. In solchen Fällen pflegt er zu sagen, das Ergebnis sei „schon in Ordnung“. Anschließend grinst er – und schweigt. Die Koalition habe seit der letzten Wahl gelernt, dass man „nicht jeden Konflikt in der Öffentlichkeit austragen“ müsse. Aber, so Kurth: „Das heißt nicht, dass es die Diskussionen nicht gibt.“

In der Tat: Die Konflikte in der großen Koalition sind seit der letzten Wahl nicht weniger geworden, aber die Fronten haben sich seit dem überraschenden Wechsel im Finanzressort deutlich verschoben. Früher war es einfach gewesen: Die SPD-Sparkommissarin Annette Fugmann-Heesing, gestützt von der Fraktion und einer zögerlich folgenden Partei, stand auf der einen Seite und lieferte sich mit der anderen Seite, der CDU, heftige Gefechte.

Inzwischen geht die Trennungslinie zwischen Fett- und Muskel-Fraktion quer durch die beiden Koalitionsparteien. Seit Kurth Finanzsenator ist, kann seine Partei gegen den Sparkurs nicht mehr offen opponieren. Und während bei den Sozialdemokraten die einstigen Fugmann-Gegner wieder Oberwasser bekommen, pocht SPD-Fraktionschef Klaus Wowereit auf strikte Haushaltsdisziplin. Nicht mehr zwischen CDU und SPD verläuft jetzt die Grenze, sondern zwischen Jung und Alt, zwischen dem frischen Wind der neuen Metropole und dem alten Schonraum Westberlin.

An den Finanzsenator stellt die neue Unübersichtlichkeit erhöhte Anforderungen. Er muss im Geflecht dieser sich überlappenden Konflikte höchst vorsichtig agieren. Umso vorsichtiger, als er in Parlament und Partei – sieht man vom Vorsitz in seinem Ortsverband Wilmersdorf-Nord einmal ab – nicht verankert ist. Auch darin ist er ein typischer Repräsentant einer Politikergeneration, die mit Vokabeln wie Stallgeruch und Ochsentour wenig anfangen kann.

Kurth bewegt sich also auf dünnem Eis, auch wenn die Decke langsam wächst. Anders als seine Vorgängerin beißt er sich oft auf die Zunge. Das macht Interviews mit ihm bisweilen etwas zäh, führt aber im Ergebnis oft weiter. „Wenn Kurth auf den Tisch haut, dann wackelt nicht gleich der ganze Tisch“, sagt SPD-Fraktionschef Wowereit. Statt mit Worten treibt Kurth die Modernisierung seiner Partei bisweilen auch mit den Mitteln nonverbaler Kommunikation voran – etwa, wenn er sich auf dem schwul-lesbischen Christopher Street Day zeigt oder auf einer PDS-Veranstaltung auftritt.

Der Finanzsenator weiß, dass in der Politik manche Dinge Zeit brauchen; und er redet lieber über die Fortschritte, als Rückschläge zu bejammern. Leitkultur? „Es geht um die Sache, nicht um einzelne Begriffe“, sagt Kurth. Und das Neue sei eben „das Bekenntnis der CDU, dass wir Zuwanderung brauchen“. Dann müsse man „aber auch darüber reden, auf welcher Basis wir uns Zuwanderung vorstellen“. Langer Atem, strategisches Denken – das sind Gebiete, auf denen Kurths gleichaltrige Konkurrenten in der CDU ihre Fähigkeiten noch nicht unter Beweis gestellt haben. Wirtschaftssenator Wolfgang Branoner, der sich selbst gern als Kronprinz sieht, verteidigt seinen Etat mittlerweile am renitentesten gegen den Finanzsenator. Diepgen greift in den Konflikt vorerst nicht ein, lässt die beiden Konkurrenten – machtpolitisch klug – zappeln. Die meisten Beobachter beurteilen die beiden Nachwuchskräfte freilich so, wie es der bündnisgrüne Haushaltsexperte Burkhard Müller-Schoenau formuliert: „Kurth ist solide und seriös, Branoner ist sprunghaft und aktionistisch.“ Um den Unternehmer Frank Steffel, im Frühjahr von Landowsky kurzzeitig zum Kronprinzen aufgebaut, ist es ohnehin auffallend ruhig geworden.

Kurth sagt zu solchen Spekulationen naturgemäß – nichts. Oder besser – fast nichts: „Alle Leute, die auch in der Zukunft in der CDU Politik machen werden, haben die Chance, auf einer wichtigen Position zu zeigen, was sie können.“ Und: „Im Ergebnis wird sich Qualität durchsetzen.“ Es klingt nicht, als fühle sich Kurth diesem Kriterium nicht gewachsen.

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