: Geflügel? Ja, wenn es glücklich ist
Hunger auf Geflügel: Fettarm, leicht, bekömmlich – die Marketingstrategen haben ganze Arbeit geleistet: Geflügelfleisch ist vor allem mit positiven Begriffen besetzt. Mehr als 9 Kilogramm davon hat der Durchschnittsverbraucher in Deutschland 1999 verputzt, so die Zentrale Markt- und Preisberichtstelle für Erzeugnisse der Landwirtschaft. Seit Jahren verzeichnet die Geflügelwirtschaft steigende Absatzzahlen: 1995 lag der Pro-Kopf-Verzehr noch bei 8 Kilogramm. Nur knapp 60 Prozent des Geflügels stammen dabei aus Deutschland, der Rest wird importiert, vor allem aus den Niederlanden und Frankreich.
Appetitzügler: In der Geflügelbranche „wird über Pfennige der Markt gemacht“, sagt Siegfried Hart, Vorsitzender der Leistungsgemeinschaft Deutscher Geflügelerzeuger (LDG). Denn die Verbraucher wollen vor allem billiges Fleisch. Was gekauft wird, wird produziert – und zwar so schnell und so viel wie möglich. Masthähnchen und Puten werden nicht wie Legehennen in Käfigen, sondern auf dem Boden mit Einstreu gehalten. In nur 35 Tagen ist ein Hähnchen heute schlachtreif – 1970 dauerte das bei gleichem Gewicht noch 20 Tage länger. Die Futterverwertung ist dabei laut Greenpeace enorm: Bei Masthähnchen reichen 1,7 Kilogramm Futter für ein Kilogramm Fleisch.
Brachte es ein Masttruthahn vor 25 Jahren noch auf ein Endgewicht von rund 11 Kilogramm, so ist er heute fast doppelt so schwer. Besonders begehrt beim Verbraucher ist die Putenbrust. Also werden die Tiere entsprechend gezüchtet: Die angemästete überschwere Brust bringe die Tiere immer wieder aus dem Gleichgewicht und lasse sie vornüber kippen, so Tierschützer. Kraftfutter und Medikamente sorgen für ein schnelles Wachstum. Zu schnell für Skelett und Blutgefäße: 5 bis 10 Prozent „Verlust“ gibt es laut Tierschützern in der Putenendmast. Die Hauptursache seien Aortenabrisse. Konventionelle Züchter sagen, es würden keine Antibiotika mehr ins Futter gemischt, Tierschützer bezweifeln dies.
Genuss ohne Reue: Ökogeflügel hat nach Einschätzung des Ökolandbau-Verbands Naturland einen Marktanteil von unter 1 Prozent. Am Mangel an Anbietern und Labels kann es nicht liegen: Bioland, Demeter und Naturland sind nur einige davon. Masthähnchen bekommen in einem Naturland-Betrieb mit 70 Tagen doppelt so viel Zeit, zu wachsen, wie ihre konventionell gehaltenen Artgenossen. Das Ökogeflügel wird zudem bei Tageslicht gehalten und hat mehr als doppelt so viel Platz. All das schlägt sich natürlich ebenso wie das ökologische Futter im Preis nieder.
Auch in der LDG gibt es einige wenige Betriebe, die sowohl konventionell als auch ökologisch mästen. Dass nicht mehr Halter umstellen, liegt laut LDG-Präsident Siegfried Hart am Verbraucher. Er verweist auf einen „namhaften Hersteller von Babynahrung“, der auf Biofleisch in seinen Produkten verzichtet habe, weil er fürchtete, die Kunden seien nicht bereit, 20 oder 30 Pfennig mehr zu zahlen. THOMAS STROHM
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