piwik no script img

Die Panik zeigen die Bilder nicht

Keine Flucht diesmal: Die Geschichte zu den Fotos im „Stern“. Aus der Zeit, als Joschka Fischer Saalordner und revolutionärer Schulungsleiter war

von HEIDE PLATEN

Frankfurt-Bornheim, heute eine Hochburg grüner Wähler, ist im Jahr 1973 konservativ und spießig. Ein verschlafener, überalterter Stadtteil, kleine Beamte, Handwerker, viele Rentner. Studenten ziehen zu, die Wohnungen sind billig. Durch die Stadt ist eine große Demonstration gezogen, Protest gegen die Räumung besetzter Häuser im nobleren Westend. Nicht die erste, nicht die letzte in diesen Tagen des Häuserkampfes. Immer wieder Wasserwerfer, Schlagstockeinsatz, Tränengas, auf dem Campus der Universität geht es hinterher regelmäßig hoch her. Die Wut ist groß. Die Platzwunden werden vorgezeigt, die Festgenommenen zusammengezählt.

Auf dem Heimweg rechnet ein Grüppchen Demonstranten – wie fast immer – mit Festnahmen durch die mobilen zivilen Greiftruppen der Polizei und ist wachsam. Einige lassen die Attribute, die sie als Demonstranten kenntlich machen – Fahnen, Helme, Halstücher, kurze Knüppel – vorsichtshalber unter den Parkas und Lederjacken und in Plastiktüten verschwinden. Aber Erinnerung ist nach 28 Jahren trügerisch. Demonstrationen gab es damals viele, die Ereignisse ähnelten einander. An diesem Tag aber, sagt ein Teilnehmer, sei es eigentlich sehr ruhig zugegangen: „Da war nichts. Eine richtige Latschdemo.“ Nach Hause ist es nicht mehr weit. Und dann, es muss ungefähr am Luisenplatz gewesen sein, begegnen sich die Kontrahenten doch noch einmal. Eine kleine Gruppe Polizisten greift an. Mannschaftswagen sind allerdings weit und breit nicht in Sicht. Keine Flucht diesmal. Umdrehen und Angriff. Die Gelegenheit ist günstig, und alles geht minutenschnell: rangeln, hauen, treten und dann schnell weglaufen.

Das ist es, was die im Stern veröffentlichen Fotos dokumentieren. Was sie nicht zeigen, ist die Panik, die die Demonstranten hinterher erfasste. Das sind beileibe keine Helden, die da in Angst davonstürmen und nichts weiter im Sinn haben, als sich schleunigst zu verstecken. Die nächste Stunde ist für sie turbulent, denn sie haben sich ausgerechnet in das kaum 200 Meter entfernte Haus am Friedberger Platz geflüchtet, in dem einige von ihnen mit ihren Wohngemeinschaften leben, ein polizeibekanntes Szenehaus, in dem außer Fischer auch sein Freund Daniel Cohn-Bendit wohnt. Nicht gerade der ideale Unterschlupf. In die eigene Wohnung trauen sie sich deshalb auch nicht. Sie flüchten in die Männerwohngemeinschaft ein Stockwerk darüber.

Die Begeisterung ist dort nicht gerade groß: „Musstet ihr den Scheiß fast vor der eigenen Haustür machen und dann auch noch ausgerechnet hierher kommen?“ So ungefähr muss es geheißen haben. Das ist das eine, das andere wiegt fast schwerer. Einer derjenigen, die sich nicht an der Prügelei beteiligten, hat gesehen, dass ein Team des Hessischen Rundfunks zufällig in der Nähe stand und filmte. Ein anderer hat Fotografen entdeckt. Die Kritik fällt geharnischt aus. Nicht wegen der Gewalt, sondern wegen der Kameras. Die Stimmung verbessert sich auch nicht gerade, als die Bewohner entdecken, dass die Flüchtlinge begonnen haben, ihre verräterischen Halstücher zu entsorgen: Die Toilette ist verstopft.

Joschka Fischer ist damals in den informellen Hierarchien des „Revolutionären Kampfes“ (RK) und des weiten Umfelds der Spontis kein kleines Licht. Obwohl von Haus aus kein Intellektueller, kann er sich behaupten. Er ist schon Anfang der 70er-Jahre einer der vier Schulungsleiter des RK, belesen und argumentativ brillant, aber auch konkurrierend, dominant und unduldsam. Äußerlich wirkt er ungelenk, ein großer, junger Mann mit breiten Schultern und noch breiterer Lederjacke, sehr schlechten Zähnen und ebensolchen Manieren, ein Schulabbrecher, der sich ständig Bücher verschafft und manisch liest.

Öffentlich spielt er eine Rolle, sitzt auf dem Podium, profiliert sich aber auch als Saalordner und als einer, der im legendären Hörsaal VI bereitsteht, um enttarnte Zivilpolizisten und Spitzel unter physischem Einsatz vor die Tür zu setzen. Sponti ist er durch und durch, gruppenloyal, ein begabter Zwischenrufer mit lauter Stimme. Trotzdem kehrt er dem RK zwischenzeitlich den Rücken, als es zum politischen Pflichtprogramm wird, in der Fabrik zu arbeiten, kommt dann aber doch zurück.

Manche Intellektuelle empfinden ihre körperliche Kondition als eher ungenügend. Es hebt nicht gerade das Selbstbewusstsein, wenn den RKlern, die nun auf die Mobilisierung des Proletariats setzen und in den Fabriken arbeiten, der Geisteswissenschaftler schon deshalb an der Nasenspitze anzusehen ist, weil sie nicht imstande sind, eine Kiste hochzuheben, geschweige denn ein Motorrad zu warten. Manche lügen sich für die Fabrik eine proletarische Lebensgeschichte zusammen, andere feilen am Outfit. Lederjacken müssen her und Muskeln drunter. Wehrhaft werden. Es wird trainiert, Kampfsport geübt und Fußball gespielt. Da passt Fischer ebenso hinein wie der spätere Opec-Attentäter Hans-Joachim Klein. Autoschrauberwerkstätten, Schreinereien, Druckereien entstehen, handwerkliche Begabungen sind gefragt, erste Versuche enden kläglich. Krähenfüße gegen Polizeifahrzeuge sind schlecht geschweißt und bleiben wirkungslos.

Erinnerung ist trügerisch. Bilder sind es ebenso. Längeres Betrachten lässt Zweifel aufkommen. April 1973? Das könnte dann auch eine von linken Stadtteilgruppen dezentral organisierte Demonstration gegen die Fahrpreiserhöhungen mit über die ganze Stadt verteilten Sitzblockaden gewesen sein. Schauplatz Nordend. Dabei war B., der später als Polizeispitzel enttarnt werden wird. Schwer zu erkennen, krause Haare, Schlaghosen. Könnte stimmen: Das ist der, der sich da von hinten regelrecht vordrängelt und zuhaut. Vielleicht. Die Praktiker kommen mit ihrer Idee, die Straßenbahnen mit Sekundenkleber zu blockieren, nicht gut an.

Die legendäre Putzgruppe jedenfalls war kein Geheimbund, sondern ein eher lockerer Verbund, ein linkes Relikt der immer mehr in die Kritik geratenden Männergesellschaft. Die Ritter mit den Motorradhelmen als Schutztruppe schwacher Frauen auf Demonstrationen bleiben eine Randerscheinung im damaligen RK-Konzept der Massenmilitanz, die sich die Stadt erobern will und in der Pflastersteine „Argumente“ genannt werden: Unter dem Pflaster lag nicht der Strand, und am Horizont dämmerte der Deutsche Herbst.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen