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Die Soko Stromklau

Die Bilanz eines Einsatztages von Detlef Möws und Helmut Voß: Acht Kunden insgesamt, davon zweimal Stromdiebstahl festgestellt, dreimal den Strom abgestellt und dreimal sind sie falschem Alarm aufgesessen

„Herr Blum. An ihrem Zähler wurde manipuliert. Können Sie sich das erklären?“

aus Berlin THORSTEN DENKLER

Detlef Möws horcht an der Tür. Nichts. Er stellt sich auf die Zehenspitzen und lugt durch den Türspion. Nichts. Er klingelt, hält seine linke Hand vor das Guckloch, horcht. Immer noch nichts. Dann pocht er mit der Faust gegen die Tür. „Micha!“, ruft er, „Micha, mach mal auf!“ Vornamen können Türen öffnen, aber nicht heute. Möws pocht lauter, klingelt Sturm. Zehn, zwanzig Sekunden lässt er seinen Finger auf dem Klingelknopf. Endlich. Ein Schlüssel dreht sich im Schloss. In der Tür steht Michael Blum*. Nackter, blasser Oberkörper, ausgewaschene Trainingshose und vom Schlaf noch rot geränderte Augen. Es ist später Vormittag.

„Guten Morgen Herr Blum. Die Bewag. Können wir reinkommen?“, fragt Detlef Möws. – „Ja, ähm, gut, was wollen sie denn?“ – Möws und sein Kollege Helmut Voß erklären ihm, dass sie nicht gekommen sind, um den Zähler abzulesen. Sie gehören zur Abteilung Stromdiebstahlabwehr der Berliner Elektrizitätswerke.

Möws und Voß waren im Keller, bevor sie an Blums Tür klopfen. Sie haben den Zähler von Herrn Blum überprüft und sind fündig geworden. „Da hat jemand diese Schraube gelöst. Der Zähler steht wie eine Eins.“ Der Trick ist: Wird die Schraube festgezogen, läuft der Zähler wieder. Läuft der Zähler nur jeden zweiten Monat, fällt der Diebstahl nicht so schnell auf. „Wer das geschickt anstellt, der macht das über Jahre“, sagt Möws. Hier aber war einer ungeschickt und hat am Zähler einen Kurzschluss verursacht. Am Zähler sind deutlich die Spuren zu sehen, die die Funken hinterlassen haben.

„Herr Blum. An ihrem Zähler wurde herummanipuliert“, sagt Möws, während sich sein Kollege in der Wohnung umschaut. „Können Sie sich das erklären?“ Herr Blum kann nicht.

Keine Ahnung, warum sollte ich denn, woher denn, ich doch nicht, ich war es nicht. Das hören Möws und Voß in 90 Prozent aller Fälle. Herr Blum sagt: „Ick manipulier doch nich an meinen Zähler. Warum sollt ick dit tun?“ Um Geld zu sparen. Mit mehr oder weniger einfachen Tricks lässt sich jeder Zähler lahm legen. Der Strom fließt und der Zähler zählt nicht. Das ist Diebstahl, sagen das Gesetz und der Vertrag zwischen Kunde und Bewag.

Ein anonymer Briefschreiber hat Blum bei der Bewag verpfiffen. Die meisten Tipps kommen so bei der Stromdiebstahlabwehr an. Nur die Hälfte stimmt. Die anderen wollen nur ihren Nachbarn in die Pfanne hauen.

Möws und Voß fragen ihn, wer an dem Zähler geschraubt haben könnte und ob er einen Verdacht hat oder ob nicht vielleicht doch er selbst ...? Blum weiß nichts und will nichts mehr wissen. Er verschränkt die Arme vor der Brust.

„Herr Blum, ziehen se sich mal was über, wir gehen jetzt in den Keller“, sagt Möws. Bevor er zum Fahrstuhl geht, notiert Voß Anzahl und Typ der elektrischen Geräte in der Wohnung – um den durchschnittlichen Stromverbrauch von Herrn Blum ermitteln zu können. Ein mannshoher Kühlschrank, ein Gefrierschrank, Fernseher, Radio – alles neu.

Der Fahrstuhl bringt sie vom zehnten Stock ins Untergeschoss des sanierten Plattenbaus in Hohenschönhausen. Möws zeigt Blum den Tatort, erklärt ihm, wie der Zähler manipuliert wurde. Dann macht er zwei Polaroids und wechselt den Zähler aus – zur Beweissicherung. Die juristische Abteilung der Bewag wird eine Stellungnahme fordern. Einfacher wäre es, wenn Blum schon jetzt alles zugibt. „Die Bewag reißt ihnen nicht den Kopf ab“, versucht Voß ihm ein Geständnis abzuringen. Blum bleibt dabei: Sein Name ist Hase.

So oder so, Blum wird zahlen müssen. Das, was er nach der Berechnung von Voß verbraucht hat, den gleichen Betrag noch mal als Vertragsstrafe, zuzüglich Personal- und Bearbeitungskosten. Macht ein-, zweitausend Mark.

Aber das sagen ihm Möws und Voß nicht. Das sollen ihm die Bewag-Juristen erklären. Ist nicht ihr Job.

Gemütlich schlendern sie zu ihrem weißen Opel Astra Kombi. Voß grübelt: Etwas spricht gegen Blum als Täter. Der lebt alleine in einer kleinen Wohnung, hat nur die üblichen elektrischen Geräte. „Das lohnt sich doch nicht“, findet Voß und schüttelt den Kopf. Fünf Männer arbeiten bei der Stromdiebstahlabwehr. Ihre Bilanz 1999: 7.000 Anlagen überprüft, 3.500 Delikte festgestellt. Schadenssumme: rund 540.000 Mark.

Stefan Salzmann ist sich sicher: Seine Stromrechnung ist zu hoch. „Da muss jemand was abzweigen, anders kann ich es mir nicht mehr erklären“, hat er am Telefon gesagt. Möws klingelt. Herr Salzmann wohnt im Dritten Stock eines schäbigen Altbaus in Prenzlauer Berg. Bevor sie zum Kunden gehen, ein Blick in den Zählerkasten. Ein zerbeulter Metallverschlag, so groß wie ein Kleiderschrank. Graffiti zieren seine graue Front. Der Schrank steht im Hauseingang, für jeden zugänglich. Früher muss er mal abschließbar gewesen sein. Möws knipst seine Taschenlampe an – Licht gibt es im Hausflur nicht – und nimmt sich den Zähler von Herrn Salzmann vor. Voß geht schon mal nach oben, Bescheid sagen. Möws kann nichts finden, was auf Stromdiebstahl hindeutet: keine angeschnittenen Leitungen, keine Überbrückungen. Die Kabel vom Sicherungskasten zu den Wohnungen liegen offen und schlängeln sich an der Decke das Treppenhaus hoch.

Voß kommt wieder. Er wiegt verständnislos den Kopf hin und her. Die Wohnung von Stefan Salzmann muss ihn tief beeindruckt haben. „Das solltest du dir ansehen.“ Möws geht mit. Die 30-Quadratmeter-Wohnung erweist sich als El Dorado für Hobby-Elektroniker. Auf dem Boden verstreut liegen ausrangierte Telefone, Messgeräte, undefinierbare Ersatzteile, eine auseinander geschraubte Stereoanlage. Die Decke über dem schmalen Flur ist mit Kiefernholzpaneelen abgehängt. Durch eine offene Luke sind kreuz und quer verlegte Kabel zu sehen. Zwei Trafos hängen an der Wand, irgendwie sollen die für die Küche sein. Ein Computer steht in der Ecke, das Gehäuse offen. Die Kabel hängen heraus, wie Eingeweide.

Seit 1992 wohnt Stefan Salzmann hier. Er ist 42 Jahre alt und Taxifahrer. Vor drei Jahren hat er angefangen, seine Wohnung zu renovieren. 5.000, ach was, 6.000 Mark hat er hier schon reingesteckt. „Sie hätten die Wohnung mal vorher sehen sollen. Unter aller Würde, sag ich ihnen, unter aller Würde“, sagt Salzmann.

Möws wirft einen kritischen Blick auf den selbst gebastelten Sicherungskasten. „Sagen Sie, bei Ihnen hat wohl jede Steckdose einen eigenen Stromkreis?“, fragt er.

„Guten Morgen Herr Blum. Die Bewag. Können wir reinkommen?“

Oft rufen Leute bei der Bewag an, die glauben, ihre Rechnung sei zu hoch, und Gott und die Welt verdächtigen, ihren Strom zu klauen. In vielen Fällen haben die sich einen Radiator zugelegt, weil das einfacher ist als Kohlen schleppen, erklärt Voß. Dabei vergessen sie, dass ein Radiator im Schnitt 40 Kilowattstunden pro Tag verbraucht, ein Kühlschrank dagegen kaum ein Kilowatt. „Und dann wundern die sich über hohe Rechnungen.“

Einen Radiator finden sie nicht in der Wohnung von Salzmann. Aber was Möws und Voß gesehen haben, reicht ihnen, um den hohen Stromverbrauch zu erklären. Salzmann reicht das nicht. Also überprüft und schraubt Voß in allen Stockwerken zwischen Zählerkasten im Hauseingang und Salzmanns Wohnung die Kabelschächte von der Wand.

Voß findet nichts. Jetzt bleibt nur noch der Zähler als Ursache für den hohen Verbrauch. Der könnte ja defekt sein, vermutet Salzmann. Möws und Voß gehen mit Salzmann ins Erdgeschoss. Möws dreht die Sicherung für Salzmanns Wohnung aus dem Gewinde. Der Zähler bleibt stehen. Für Möws ein sicheres Zeichen, dass der Zähler in Ordnung ist. Aber Salzmann besteht darauf: Das Eichamt soll den Zähler prüfen. „Das können sie sich sparen“, sagt Möws. „Der Zähler ist in Ordnung.“ Salzmann will es nicht glauben. Und wenn es der Zähler nicht ist, dann könnte es ja noch der Nachbar über ihm sein, der hat vor einiger Zeit renoviert und dabei vielleicht sein Deckenlicht angezapft.

Möws macht den Zählerkasten wieder zu. Morgen kommt ein Kollege und wechselt den Zähler von Salzmann aus. Für Stromdiebstahl gibt es keine Anhaltspunkte, werden sie in ihren Bericht schreiben.

Den beiden nächsten Kunden – Kunden ist vielleicht das falsche Wort – hat die Bewag schon vor längerer Zeit den Strom abgeklemmt, weil sie ihre Rechnungen nicht bezahlt haben. Die beiden haben sich kurzerhand den Strom selbst wieder eingeschaltet. Voß klingelt in einer x-beliebigen Wohnung. Herr Kranz soll nicht gewarnt werden. Die Gegensprechanlage knistert: „Ja?“ – „Die Bewag, Guten Tag, würden Sie uns bitte reinlassen? Wir müssen an die Zähler.“ – „Wenn Sie reinwollen, dann gehen sie bitte zum Hausmeister.“ Ausgeknistert.

Zurück in der Zentrale beginnt der Schreibkram. Acht Kunden, zweimal Stromdiebstahl, dreimal den Strom abgestellt und dreimal falscher Alarm. Mitleid mit den Tätern? „Am Anfang ja“, sagt Möws, „Ist ja nicht ganz einfach, ohne Strom.“

* Kundennamen geändert

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