: Kampf gegen die Agrar-Legionen
von REINER METZGER
Das neue Verbraucherschutzministerium gleicht ein bisschen dem gallischen Dorf um Asterix: Ein paar Grüne nebst wohl meinenden Bauern kämpfen gegen die Legionen des Agrarreiches. Zwar spricht auch seine Majestät der Kanzler von einer Wende in der Agrarpolitik. Die schwierige Frage bleibt: Was konkret tun?
Sofortigen Zugriff hat Ministerin Renate Künast nur auf ihr Ministerium, und auch da nur auf die oberen Etagen der Hierarchie. Die Staatssekretäre und Leiter der großen Abteilungen sind politische Beamte und damit bei einem Machtwechsels austauschbar. Ein paar wenige Spitzenleute müssen also die alteingesessenen Sachverständigen in den 79 Referaten neu anleiten – und können dann nur noch auf die Loyalität des deutschen Beamtentums hoffen. Denn das frühere Agrarministerium und seine Peripherie aus Forschungsinstituten und Bundesanstalten ist bisher fest in der Hand der Verfechter der intensiven Landwirtschaft.
Viel Fläche, viel Subvention
Neue Anstöße kommen künftig von zwei zusätzlichen grünen Staatsekretären: Der 45-jährige Alexander Müller ist bisher grüner Landtagsabgeordneter in Hessen, war dort schon Staatssekretär im Gesundheitsministerium und hat Verwaltungserfahrung. Er soll sich unter anderem um den Verbraucherschutz kümmern. Der zweite Mann ist Matthias Berninger, ebenfalls aus Hessen und mit 29 Jahren einer der jüngsten Bundestagsabgeordneten. Er hatte im Haushaltsausschuss des Parlaments den Agraretat betreut. Berninger dürfte als parlamentarischer Staatsekretär eher für die Außendarstellung zuständig sein, gilt er doch als Talent bei der Arbeit mit Presse und Öffentlichkeit. Ministerin Künast hat sich in der erzwungenen Eile bei der Übernahme entschieden, die zwei bisher für Landwirtschaft zuständigen Staatssekretäre im Amt zu lassen. Diese repräsentieren jedoch die beiden Gruppen der deutschen Landwirte, die von der bisherigen Subventionspolitik der EU am meisten profitiert haben. Der Chemnitzer SPDler Gerald Thalheim repräsentiert die Großbetriebe, vertreten vor allem in Osten als LPG-Nachfolger und im Norden Deutschlands. Viel Fläche gleich viel Produktion gleich viel Subvention lautet in diesem Bereich die einträgliche Gleichung. Wer weniger Dünger und mehr Arbeitskraft pro Hektar Acker und Wiese honorieren will, ist bei ihm bisher nicht unbedingt auf Unterstützung gestoßen.
Martin Wille, SPD-Staatssekretär Nummer zwei und bisher Chef des Ministeriumapparats, steht für die Gruppe derer, die Großbetriebe werden wollen: Die größeren Bauern vor allem in Westdeutschland, die ständig wachsen und intensivieren und doch dem Ziel „Weltmarkt“ vergeblich nachstreben. Diese Gruppe stellt auch die Mehrheit im deutschen Bauernverband. Beide Gruppen werden von der Agrar- und Lebensmittelindustrie unterstützt, weil diese Wirtschaftsweise ihre Umsätze sichert. Vor allem auf Martin Wille ist die neue, bisher wenig fachkundige Ministerin angewiesen. Wenn er im täglichen Betrieb blockiert, verläuft sich jeder Reformschwung. „Der Wille wird schon wollen“, hofft man bei den Grünen. Gilt er doch als Mann des Kanzlers – schon unter dem SPD-Kanzler Helmut Schmidt war er bis 1982 als Agrarspezialist im Kanzleramt. Und der heutige Kanzler Schröder setzt nun erstmals auf die Verbraucher als millionenfache Wähler und nicht mehr auf Bauern und Agrarindustrie. Im Gegensatz zu CDU/CSU und der FDP hat die SPD hier auch nichts zu verlieren. Denn die Bauern haben Schröders Partei noch nie gewählt.
Um den beiden SPD-Staatssekretären sicherheitshalber etwas entgegenzusetzen, holt sich Künast noch einen gestandenen alternativen Landwirt als Chef der wichtigen Grundsatzabteilung ins Haus, den Bioland-Hofbetreiber Wolfgang Reimer. Der 44-Jährige aus Baden-Württemberg ist seit Jahren in der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) aktiv, einer Art alternativem Bauernverband sowohl für konventionelle als auch für Bio-Bauern.
Reimer ist viele Jahre Agrarberater der baden-württembergischen Grünen gewesen und hat bundesweit Konzepte für eine naturnähere Landwirtschaft verfochten. „Die Situation für einen Richtungswechsel ist günstig“, meint er, „es bleibt jedoch eine Gratwanderung, schließlich können wir weder den Bauernverband noch die Agrarwirtschaft völlig vor den Kopf stoßen.“ Als Erstes wird im Ministerium und in der Bundesregierung deshalb geprüft werden müssen, was rechtlich überhaupt möglich ist – zumeist von denselben Beamten wie bisher, denn grünennahe Spezialisten in den komplizierten Agrar-Verwaltungsfragen sind rar.
Trotzdem werden weitere Abteilungsleiter ihren Stuhl räumen müssen. „Dabei hilft die Zeit“, so ein bündnisgrüner Landwirtschaftsspezialist. Denn viele Spitzenbeamte nähern sich der Altersgrenze für den Ruhestand. Und künftig wird wohl dem grünen Staatssekretär Müller neben dem Verbraucherschutz die Hoheit über die so genannte Zentralabteilung zufallen und damit über alle wichtigen Personalentscheidungen. Die Taktik ist also ähnlich wie bei der rot-grünen Regierungsübernahme in Nordrhein-Westfalen: Dort hatte die Grüne Bärbel Höhn ein ähnlich strukturiertes Landwirtschaftsministerium übernommen und im Laufe der seitdem vergangenen fünf Jahre immer mehr auf Verbraucher- und Naturschutz getrimmt.
Alle Beteiligten sind sich jedoch im Klaren, dass Künast und ihren Mannen viel weniger Zeit bleibt als Landesministerin Höhn. Sie müssen einen Vorstoß nach zwei Seiten unternehmen: Zum einen müssen sie die staatlichen Subventionen Umwelt- und Arbeitsplatz-freundlich umschichten. Die Geldhilfen aller Art machen nach manchen Berechnungen fast die Hälfte der Einnahmen der Landwirte aus. Eine solche Umschichtung müssen zwar die EU-Länder beschließen, nach Agrarskandalen in diversen Ländern ist sie jedoch nicht mehr völlig ausgeschlossen. Zum anderen wollen die Agrarreformer versuchen, die Verkaufspreise für Milch oder Getreide zu beeinflussen. Höhere Standards bei den erzeugenden Landwirten müssten eigentlich höhere Preise an der Ladentheke nach sich ziehen – sonst kommen die Bauern aus der Zwickmühle nicht heraus. „Die Bundesregierung müsste Qualitäts- und Regionalmärkte stärken“, meint Frieder Thomas von der AG Ländliche Entwicklung der Gesamthochschule Kassel. „Dann können die Bauern wählen, ob sie für den Weltmarkt oder regional produzieren und wären nicht mehr derart von ihren Abnehmern erpressbar.“
Die Logik der Supermärkte
Allerdings beherrscht lediglich ein halbes Dutzend Supermarktketten den Lebensmittelhandel in Deutschland. Die liefern sich einen harten Preiskampf und denken gar nicht daran, Tiefstpreis-Lockprodukte wie Milch, Fleisch, Joghurt oder Brot zu verteuern. Ähnlich sieht es bei Schlachthöfen und Molkereien aus. Der wohl meinende Gedanke von gestärkter regionaler Konkurrenz durch Bauernmärkte oder Ähnliches dürfte zumindest auf passiven Widerstand in der Agrarbranche stoßen. Wie dieser Teufelskreis aufgebrochen werden soll, wissen auch die grünen Agrarexperten noch nicht. Denn dass der industriefreundliche Kanzler hier Vorschriften für die Konzerne zulässt, glaubt niemand.
Für eine große Agrarwende gilt es für das Häuflein Gallier darüber hinaus nicht nur, die Römer im eigenen Land und der Union zu besiegen. Die Zeit drängt: Bald beginnt die nächste Verhandlungsrunde der Welthandelsorganisation WTO. Dort geht es diesmal auch um Ex- und Importe von Nahrungsmitteln. Die waren bisher wenig von der Liberalisierung des Welthandels betroffen. Das soll nun anders werden – was Importschranken und Umweltstandards nach den Vorstellungen vieler Länder weiter drücken würde.
Bisher werden nur einige wenige Prozent der EU-Nahrungsmittel exportiert. Europa wäre also nicht auf eine Liberalisierung des Handels in diesem Bereich angewiesen. Trotzdem bangt auch Wolfgang Reimer ein wenig vor der Größe der Aufgabe: „Eigentlich müsste die EU ihre gesamte Exportförderung aufgeben und dafür bei der WTO gegenhandeln, dass hier zu Lande höhere Standards und damit auch höhere Preise gelten.“ Reimer hilft sich mit einer alten Weisheit von Belagerten: „Es bleibt spannend.“
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