: Jetzt muss Schröder in den Iran
In Teheran tobt der entscheidende Kampf zwischen Reformern und Konservativen. Vor allem Deutschland kann den Wandel der islamischen Republik zur Demokratie fördern
Endlich! Zum ersten Mal seit Errichtung der Islamischen Republik Iran im Jahr 1979 ist ein führender Politiker Deutschlands nach Teheran gereist. Bundestagspräsident Wolfgang Thierse schien die Zeichen der Zeit erkannt zu haben und stattete der größten Theokratie der Welt trotz schwerer Bedenken einen Besuch ab. Das hätte der Beginn einer eigenständigen rot-grünen Außenpolitik sein können. Doch Thierse zog es vor, den Gutmenschen zu spielen, statt konkrete Projekte zu initiieren.
Kaum ein anderes Land der Welt wird von den restlichen Staaten auf Druck der USA in solchem Maße angefeindet und isoliert wie der Iran - und ist dennoch so stabil. Die Islamische Republik hat sich, dank Ölreichtum und einer schrittweisen Verabschiedung ihres ideologischen Ballastes, zum vielleicht wichtigsten Staat des Nahen Ostens entwickelt. Wer die Entwicklungen in Iran verfolgt, weiss aber, dass das Land dringend Hilfe von außen benötigt. Diese Hilfe muss Deutschland leisten, das dem Iran besonders verbunden ist: 160.000 Iraner leben hier, denn die Bundesrepublik war stets eine der ersten Adressen für Flüchtlinge aus dem Schah-Regime und der Islamischen Republik. Diese besondere Beziehung sollte auch jetzt nicht aufgegeben werden - obwohl Teheran kürzlich die iranischen Teilnehmer einer Konferenz in Berlin zu absurd schweren Strafen verurteilt hat.
Die nie gänzlich aufgeklärte Mordserie an Intellektuellen im Jahr 1998, die brutale Niederschlagung friedlicher Studentenproteste 1998 und 2000 und das Verbot von mehr als 30 Reformzeitungen auf Betreiben der konservativen Geistlichkeit im letzten Jahr haben der Welt auf‘s Neue die verbrecherischen Auswüchse der iranischen Theokratie gezeigt. Aber gleichzeitig haben sie verdeutlicht, dass der Mullahstaat in der Gestalt, wie Ajatollah Chomeini ihn schuf, am Ende ist. Die iranische Gesellschaft und mit ihr das politische System Irans sind auf dem Weg zu Demokratisierung und Säkularisierung schon viel weiter, als es viele Entscheidungsträger in Washington und leider auch in Berlin glauben wollen. Die Theokratie mit dem geistigen Führer Ajatollah Ali Chamenei an ihrer Spitze wird die dritte Phase ihres Bestehens nicht überleben.
Die ersten zehn Jahre nach der Revolution 1979 konnte die Islamische Republik nur dank des Charismas ihres Gründers durchstehen. Nach dem Tod Chomeinis führten seine Nachfolger einen Staat, der den Anspruch erhob, die islamische Revolution schiitischer Prägung in die Welt zu tragen - und geradewegs auf den ökonomischen Bankrott zusteuerte.
In den Jahren 1989 bis 1997 vollzog Staatspräsident Haschemi Rafsandschani notgedrungen einen radikalen Schwenk: weniger Ideologie, mehr Realitätssinn. Doch ihm fehlte die Autorität Chomeinis. Seine Wirtschaftsreformen blieben Stückwerk, seine diplomatischen Initiativen zerschellten immer wieder an den Betonköpfen im religiösen Establishment. In einem Bereich war die Regierung Rafsandschani jedoch weitaus erfolgreicher als sie es jemals beabsichtigt haben kann: Heute können 95 Prozent der Iraner und Iranerinnen lesen und schreiben - vor zwanzig Jahren waren es nur die Hälfte.
Mit ihrer forcierten Bildungspolitik pflanzte die Regierung selbst den Keim des Protestes und der Zivilgesellschaft, der heute zu einem starken Baum gewachsen ist. Die jungen Menschen, die der Bildungsoffensive ihr Studium verdanken, zählen heute zu den schärfsten Kritikern des Regimes. Denn sie finden keine Arbeit. Weil die religiösen Sittenwächter keine Popkonzerte, Diskotheken und Jugendclubs dulden, flüchten sich zudem anderthalb Millionen Jugendliche regelmäßig in den Drogenrausch.
Dennoch sind es die Studenten und vor allem die Frauen, die das Rückgrat der iranischen Reformbewegung bilden. Sie haben Mohammed Chatami gewählt und damit die dritte und letzte Phase der iranischen Republik eingeleitet. Dank ihrer Bildung sind gerade die Iranerinnen heute einflußreicher als Frauen in anderen islamischen Staaten. Sie leiten Firmen, verlegen Zeitungen, gründen Vereine und bewerben sich um das Präsidentenamt. 5000 Iranerinnen kandidierten bei den Lokalwahlen 1999, 300 gewannen ihre Mandate. An Irans Universitäten beträgt die Frauenquote 40 Prozent - da können einige südeuropäische Länder nicht mithalten.
Frauenrechtlerinnen wie Mehrangis Kar und Dschamila Kadivar nutzen ihren Einfluss, um immer wieder darauf hinzuweisen, dass Gleichberechtigung in Iran trotzdem noch lange nicht erreicht ist. Frauen können Universitäten leiten, aber brauchen eine schriftliche Erlaubnis ihres Mannes, wenn sie das Land verlassen wollen. Sie können Filmstars werden, dürfen aber nicht in der Öffentlichkeit singen. Nur Schritt für Schritt erobern sie die männlichen Bastionen. Das Verbot, Sportveranstaltungen von Männern zu besuchen, kippten tausende Frauen, indem sie das Teheraner Fußballstadion stürmten, um die Nationalmannschaft zu begrüßen, die sich gerade für die Weltmeisterschaft qualifiziert hatte.
Die Jugend und engagierte Frauen sind Irans Zukunft. Sie benötigen Hilfe von außen, um ihr Land zu demokratisieren. Durch eine Intensivierung der Beziehungen zum Iran hätte die rot-grüne Bundesregierung die einzigartige Chance zu einer konstruktiven Außenpolitik, die schnell spektakuläre Erfolge aufweisen würde. Anders noch als Kohl und Kinkel mit ihrem „Kritischen Dialog“ könnten Schröder und Fischer mit einem Präsidenten verhandeln, der nichts lieber will als eine Öffnung seines Staates. Seine Popularität in der Bevölkerung ist trotz aller Attacken der Hardliner ungebrochen hoch.
Nur: Chatami braucht jetzt Hilfe. Anfang Juni sind Präsidentschaftswahlen, und die Konservativen haben es bis heute nicht geschafft, einen Kandidaten aufzubauen. Deutschland als größter Handelspartner des Iran muss der schwächelnden iranischen Wirtschaft helfen, die Handelsbilanz auszugleichen. Thierse hätte diesen Wunsch aufnehmen sollen.
Doch der Bundestagspräsident hat die iranische Staatsspitze eher verprellt, als dass er sie für sich einnahm. Es ist nicht immer angebracht, bittere Wahrheiten auszusprechen. Statt durch hehre Worte mehr Demokratie einzufordern, hätte Thierse den demokratischen Wandel aktiv unterstützen können - durch vergleichsweise billige und dennoch Erfolg versprechende Projekte. Ein intensivierter deutsch-iranischer Studentenaustausch wäre ein ideales Mittel, die Basis der Reformbewegung zu stärken und ihr die Kontaktaufnahme in Europa zu erleichtern. Unterhalb der Regierungsebene könnten ganz neue kulturelle Bindungen entstehen.
Freiburg hat es vorgemacht: Letzten Oktober schloss die Stadt mit Isfahan die erste deutsch-iranische Städtepartnerschaft. Das Interesse ist da, es muss aber gefördert werden. Thierses Reise darf nur der Anfang gewesen sein. Deutschland hat noch eine Chance: Jetzt muss Schröder in den Iran! FLORIAN HARMS
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