: Der gerechten Sache dienen
Schon während seiner Exilzeit von 1940 bis 1947 formulierte Willy Brandt wesentliche Elemente seiner Politik
Kaum ein Norweger, so 1947 das Osloer Arbeiderbladet, hat „so eine effektive Propagandaarbeit für unsere Sache ausgeführt“ wie Willy Brandt. Willy Brandt ein Norweger? Genau. 1938 bürgerten die Nazis den Sozialdemokraten aus, der bereits 1933 aus Deutschland ins norwegische Exil geflohen war. Seitdem hatte er sich dort intensiv in den Freiheitskampf eingemischt, ja er wurde zu einer der zentralen politischen Publizisten. In seiner Exilzeit hat er nicht weniger als neun Bücher und acht Broschüren geschrieben, zahllose Beiträge in Zeitungen und Zeitschriften veröffentlicht – und als einer der Vertrauten des Arbeiterführers Martin Tranmæl prägte er wesentlich die norwegischen Pläne für die bald erhoffte Friedenszeit: „Diskusjonsgrunnlag om våre fredsmål“. Brandt war „der Inbegriff des politischen Verstandes in dieser Zeit und darüber hinaus eine politische Führungspersönlichkeit“, erinnerte sich Bruno Kreisky später in seiner Autobiografie.
Einen faszinierenden Einblick in Brandts Wirken der Jahre 1940 bis 1947 gibt der zweite Band der Berliner Ausgabe (siehe oben). Schon in den frühen Schriften finden sich wesentliche Elemente seines politischen Universums, so die intensive und kritische Auseinandersetzung mit dem Sozialismus der Sowjetunion, deren „Mangel an innerer Demokratie“ und Hang zu „bürokratischer Diktatur und Führerkult“ er klar erkannte. Brandts Schriften zeigen zudem, wie sehr die tolerante und wohlfahrtsorientierte Gesellschaft Skandinaviens seine Politik prägte. Er selbst war sich dieses Einflusses bewusst und bekannte in seiner Nobelpreisrede, dass er gerade dort gelernt habe, Begriffe wie Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität „vom Podest der Lehrbücher herunterzuholen“ und „auf allgemein gesellschaftliche und internationale zu übertragen“. Dieses Rüstzeug und seine politische Praxis in den internationalen Foren des Exils qualifizierten ihn dazu, auch jenseits nationaler Kategorien zu handeln – als Förderer der europäischen Idee, als Entspannungspolitiker und in der Nord-Süd-Kommission.
dah
Willy Brandt, Berliner Ausgabe, Band 2: „Zwei Vaterländer. Deutsch-Norweger im schwedischen Exil – Rückkehr nach Deutschland“, 424 Seiten. J.H.W. Dietz Nachf. 2000, 54 DMWer mehr über Willy Brandts rhetorische Kunst lernen will, sollte sein Büchlein lesen: „Lachen hilft. Politische Witze.“ 160 S., Piper Verlag, 29,80 DM
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen