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Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht

Eine Gendatei, die alle Männer erfasst, hätte zwar kaum noch stigmatisierende Wirkung, wäre aber rechtlich unverhältnismäßig

FREIBURG taz ■ Man könnte es sich so vorstellen: Zum 18. Geburtstag gratuliert die Stadtverwaltung und bittet zu einem Besuch beim Ordnungsamt. Dort werden Fingerabdrücke genommen, ein Gentest wird angefertigt, die Stimme digital auf Band aufgezeichnet und das Gesicht biometrisch vermessen. Damit wird der junge Mann zu einem vollwertigen Mitglied unserer Gesellschaft, und wenn er doch mal eine Straftat begeht, wird er mit einem seiner Spurenmuster schnell überführt werden können.

Tätergruppe Porsche-Fahrer

Ganz so radikal war der Vorschlag von Norbert Geis, dem rechtspolitischen Sprecher der CDU/CSU im Bundestag, zwar nicht, aber er atmet denselben Geist. Zumindest die genetischen Fingerabdrücke aller deutschen Männer will er vorsorglich erfassen. Denn obwohl die DNA-Analyse erst seit zehn Jahren als Beweismittel zur Verfügung steht, gilt sie landläufig als probates Mittel der Verbrechensbekämpfung. Immer wieder werden so genannte Massen-Screenings durchgeführt, wenn die Polizei zwar eine Tatortspur, aber noch keinen Verdächtigen hat. So wurden 1992 750 Münchner Porsche-Fahrer einem Speicheltest unterzogen. Und 1998 wurden auf der Suche nach dem Mörder der elfjährigen Christina N. 18.000 Männer aus dem Landkreis Cloppenburg zum Gentest gebeten. Offiziell war der Test „freiwillig“, der soziale Druck führte jedoch zu einer hohen Teilnahmequote. Auch der später überführte Täter ließ sich testen – und gestand anschließend noch einen zweiten Kindsmord. Die Speichelproben und Testergebnisse der übrigen Männer wurden anschließend vernichtet.

In die 1998 beim Bundeskriminalamt eingerichtete Gendatei kommen derzeit nur die DNA-Profile von Verdächtigen aus dem laufenden Fahndungsbetrieb sowie die Gendaten von bereits verurteilten Straftätern. Vor allem die nachträgliche Erhebung der DNA-Profile läuft auf Hochtouren, so dass die Gendatei von derzeit über 90.000 Einträgen in den nächsten Jahren auf einige hunderttausend Datensätze anwachsen soll.

Erst vor wenigen Wochen billigte das Bundesverfassungsgericht die Gendatei grundsätzlich. Der damit verbundene Eingriff in das informationelle Selbstbestimmungsrecht sei zulässig, weil die Datenspeicherung für die Strafverfolgung nützlich sei. Es forderte allerdings die Gerichte auf, genauer zu prüfen, ob bei einem verurteilten Straftäter wirklich mit neuen Straftaten zu rechnen ist. Verfassungsrechtlich offen ist noch die Frage, ob es zulässig ist, bloße Verdächtige in der Gendatei zu speichern.

Unter Generalverdacht

Der Vorschlag von Norbert Geis würde also den Charakter der Gendatei massiv verändern. Statt einer Datensammlung über vermeintliche Rückfalltäter würde nach seiner Vorstellung einfach jeder Mann erfasst. Man könnte es positiv sehen: Die Stigmatisierungswirkung durch eine Erfassung in dieser Datei wäre dann relativ gering. Allenfalls könnte man sich noch beschweren, dass Männer unter Generalverdacht gestellt werden, während Frauen außen vor bleiben. Dreh- und Angelpunkt in der juristischen Debatte wäre eher die Frage der Verhältnismäßigkeit. Kann per staatlichen Zwang eine Speichelprobe verlangt werden, um das Testergebnis dann lebenslang für kriminalpolizeiliche Zwecke vorzuhalten? Joachim Jakob, der Bundesdatenschutzbeauftragte, verneint dies eindeutig. Solche Zwangstests ohne jeden Anlass verstoßen seiner Meinung nach gegen das Rechtsstaatsprinzip.

Ein gläserner Mensch würde aber auch durch eine Jedermann-Gendatei nicht geschaffen. Gespeichert wird schließlich nur ein „DNA-Identifizierungsmuster“, das nichts über die eigentlichen Erbinformationen aussagt und schon gar nicht erlaubt, ein „Persönlichkeitsprofil“ zu erstellen.

Scheitern wird der Vorschlag von Geis aber wohl schon am gigantischen Aufwand, der erforderlich wäre. Eine Gesamterfassung von 40 Millionen Männern würde etwa 4 Milliarden Mark allein für die Testvorgänge kosten. Und die derzeitige Laborkapazität würde dafür bei weitem nicht ausreichen.

CHRISTIAN RATH

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