: Die unfeine Seite der Feinkostjünger
Dank BSE ist die Kritik an der „industriellen Landwirtschaft“ in aller Munde. Dabei hat sich ein ganze Welle von Übertreibungen, Naturnostalgien und elitärem Ästhetizismus in Gang gesetzt, bei der nicht mehr nach Logik oder Fakten gefragt wird. Über atheistische Hamburger, die Heuchelei fürsorglicher Bevormundung und allerlei Schadensfälle, aus denen man eigentlich nicht dumm werden sollte
von DIRK MAXEINER und MICHAEL MIERSCH
Der Kanzler hat gesprochen. Die Agrarwende ist beschlossen. Eine grüne Ministerin steuert in Richtung ökologischer Landbau. Gut so. Grundlegende Reformen sind seit dreißig Jahren überfällig. Denn die etablierte Agrarplanwirtschaft mästet sich an Steuergeldern und begünstigt Verschwendung, Umweltzerstörung und Tierquälerei. Hühner, Schweine und Rinder fristen vielfach ein qualvolles Dasein in düsteren Ställen auf engstem Raum. Gülleströme verseuchen Böden, Gewässer und Luft. Mitunter kriminelle Methoden bei der Fütterung und der Lebensmittelherstellung gefährden Menschenleben. Die Landwirtschaft steht vor einem ökonomischen und moralischen Scherbenhaufen.
Doch im Zuge dieser berechtigten Generalkritik sollten wir nicht vergessen, dass die heutigen Formen der Landwirtschaft im Wettlauf gegen Hunger und Mangel entwickelt wurden. Gewonnene Ernteschlachten und wissenschaftliche Durchbrüche verhalfen der modernen Nahrungsmittelproduktion im 20. Jahrhundert zu einem fantastischen Aufschwung. Noch nie konnten so viele Menschen ausreichend ernährt werden wie heute.
Seit 1950 hat sich die Menschheit mehr als verdoppelt, doch die Bauern der Welt ernten heute fast dreimal so viel Weizen, Reis und Mais wie damals. Auch die verfügbare Menge an Fleisch hat sich vervielfacht. Trotz weiterhin rasantem Bevölkerungswachstum ging die Zahl der Hungernden in den letzten dreißig Jahren um 150 Millionen zurück – das entspricht fast der doppelten Bevölkerung Deutschlands. Mit der „grünen Revolution“ des 20. Jahrhunderts gelang einer der größten sozialen Fortschritte der Menschheitsgeschichte. Einer ihrer Väter, der Pflanzenzuchtexperte Norman Borlaug, wurde dafür 1970 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet.
Ziel der Agrarpolitik in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) war es, billige Lebensmittel für die Masse der Bevölkerung zu garantieren. Vielen Menschen saß der Hunger der Kriegs- und Nachkriegsjahre noch in der Magengrube. Die Fresswelle schwappte in den Fünfzigerjahren über Deutschland. Als wertvollstes – weil lange entbehrtes – Lebensmittel galt Fleisch.
Damals wurden die ersten Fabrikställe gebaut, um die Erzeugung noch kostengünstiger zu machen. Doch der Pfad zur Agrarfabrik war schon viel früher eingeschlagen worden. Als 1871 in Paris das erste zentrale Schlachthaus Europas eröffnet wurde, erfreute sich das Schlachten am laufenden Band breiter Zustimmung.
Aus der neuen Verbindung von Mechanisierung und Tod ging die Fleischindustrie hervor. Gelehrte wie Justus von Liebig propagierten „proteinhaltige Lebensmittel für die Massen“. Sozialaktivisten, darunter Friedrich Engels, forderten eine „Demokratisierung des Fleischverzehrs“. Die Schlachtrufe der Sozialrevolutionäre wurden gründlich befolgt. Alle Welt drängte an die Gulaschkanone.
Ein Erdenbürger gönnt sich heute im Durchschnitt ein Drittel mehr Fleisch als noch im Jahr 1970. Selbst die Chinesen fallen von der Sojasprosse ab und verlangen mehr als ein Fettauge in der Suppe. In Deutschland leben achtzig Millionen Menschen, in der EU über dreihundert Millionen, weltweit sind es sechs Milliarden. Es ist ein erkennbar widersprüchlicher Gedanke, diese Menschenmassen ohne Massenproduktion von Lebensmitteln versorgen zu wollen.
Das hindert eine große Koalition aus konservativen Leitartiklern, katholischen Bischöfen und linken Industriekritikern nicht daran, es unverdrossen zu fordern. „Klasse statt Masse“ heißt ihre rhetorisch durchschlagende Devise oder auch – Rousseau lässt grüßen – „Zurück zur Natur“.
Die Kritik an „industrieller Landwirtschaft“ und „entfremdeten Lebensmitteln“ ist verständlich, gleichzeitig aber auch wohlfeil, oft übertrieben und mitunter sogar außerordentlich ungerecht. Da hat sich ein ganze Welle von Sehnsüchten, Nostalgien und Naturverklärungen in Gang gesetzt, bei der nicht mehr nach Logik oder Fakten gefragt wird. „In einer Überflussgesellschaft kaufen Menschen nicht Nahrung für den Körper, sondern für ihre Illusionen, Marotten und Leidenschaften“, sagt der Lebensmittelchemiker Udo Pollmer, „wir können es uns leisten, wir leben wie die Made im Speck“.
Landwirtschaft war schon immer unnatürlich, auch wenn das manche Verkünder des Biobauerntums gerne ausblenden. Von unserer ursprünglichen Lebensweise als Jäger und Sammler haben wir uns vor zehntausend Jahren verabschiedet – und zwar unumkehrbar. Weizen ist kein natürliches Nahrungsmittel des Homo sapiens. Weizenkörner sind durch künstliche Selektion genetisch veränderte Grassamen. Kuhmilch gehört keineswegs zu unserem natürlichen Speisezettel. Auch Mais oder Blumenkohl kommen in der Natur so nicht vor, sondern wurden vom Menschen entwickelt. Ganz zu schweigen vom Käse, einer frühen Ausgeburt bakterieller Lebensmitteltechnik.
Weder waren die früheren Formen der Tierhaltung grundsätzlich humaner, noch waren die produzierten Nahrungsmittel gesünder als heutige. Eher im Gegenteil: Die Gefahr von Erkrankungen und Vergiftungen durch Nahrungsmittel ist dank moderner Hygiene und Konservierungsstoffen sogar drastisch zurückgegangen.
Magenkrebs wird immer seltener, weil moderne Frischhalteverfahren die alten und gesundheitlich bedenklichen Verfahren – Räuchern, Pökeln – zurückgedrängt haben. Plastikversiegelung, Dose, Tiefkühltruhe und Kühlschrank mögen unsere Nahrungsmittel „entfremden“, sie sind aber ein Segen für die Gesundheit.
Die Natur hat blutige Zähne und Klauen und ist keine Veranstaltung zur sanften Erbauung von Stadtbewohnern. Durch tödliche Getreidepilze in der Nahrung wurden in den vergangenen Jahrhunderten ganze Landstriche entvölkert. Einige dieser Mykotoxine sind viele tausendmal giftiger als Pflanzenschutzmittel.
Die Pasteurisierung der Milch wurde nicht eingeführt, weil sich profitgeile Konzerne bereichern wollten. Sie war vielmehr gesundheitlich dringend geboten, um eine Übertragung der Tuberkulose zu verhindern. In der Nachkriegszeit wurden aus diesem Grund in einer bis dahin beispiellosen Aktion erkrankte Kühe geschlachtet und tuberkulosefreie Bestände aufgebaut. Wer heute zu „unverfremdeter“ Rohmilch greifen möchte, kann dies selbstverständlich tun. Mediziner aber raten ab: Unbehandelte Rohmilch kann mit dem berüchtigten EHEC-Bakterium verunreinigt sein. Alleine in den Jahren 1995 und 1996 erkrankten in Bayern 44 Personen an dem Keim aus dem Kuhstall schwer, sieben Kinder starben. Um es mit Karl Kraus zu sagen: Wir sollten nicht aus Schaden dumm werden.
Es ist Feinschmeckern unbenommen, auf die sterilen Ladenlokale oder verpackten Fertiggerichte von Aldi oder Lidl mit Verachtung herabzublicken. Sie sollten dies aber nicht als Ausweis ökologischer Verantwortung oder sozial hochstehender Gesinnung vor sich hertragen.
Noch nie in der Geschichte der Menschheit konnten mehr Menschen hygienische, preisgünstige und auch wohlschmeckende Lebensmittel kaufen als in unserem System der arbeitsteiligen Massenversorgung. Blindverköstigungen haben schon des Öfteren gezeigt: Eine Banane, ein Joghurt oder ein Rotwein schmecken doch nicht schlechter, nur weil sie von Aldi und Co. stammen.
Niemand hat durch fehlerhafte oder gar verunreinigte Ware mehr zu befürchten als große Lebensmittel- und Fastfoodkonzerne. Ein Markenname wie Aldi oder McDonald’s ist viele Milliarden wert, und ein einziger Skandal genügt, um Ansehen oder Börsenwert nachhaltig zu ruinieren. Als vor Jahren bei Schlecker Pestizidspuren in Babybrei entdeckt wurden, flog das Sortiment sofort aus dem Regal. Gleichzeitig rieten Verbraucherschützer davon ab, die Kinder mit selbst zubereitetem Brei zu füttern, weil frische Ware vom Markt weit mehr Rückstände enthalten könnte als die Schleckergläschen.
Es darf auch bezweifelt werden, ob der Kunde bei Muttis Currywurstbude oder am Dönerstand bessere Qualität erhält als im Plastikparadies von McDonald’s. Die Stiftung Warentest kam zu dem Ergebnis, dass „die McDonald’s-Produkte in Sachen Hygiene brillierten“, und das Fernsehmagazin „Plusminus“ konstatierte: „Man kann über den Geschmack geteilter Meinung sein, fest steht auf jeden Fall, dass diese Rindfleischhacksteaks eine Qualität haben, die man in mancher deutschen Wurst gerne hätte.“
Im Vergleich zu dem, was früher bei einfachen Leuten auf den Tisch kam, ist ein Mäcmenü jedenfalls ausgesprochen nahrhaft, gesund und hygienisch. Gert von Paczensky, einer der wenigen deutschen Restaurantkritiker ohne kulturpessimistische Allüren, meint: „Die publikumswirksamen Angriffe [. . .] gegen ‚das Fastfood‘, besonders den zum Symbol gewordenen McDonald’s Hamburger, gehen von falschen Annahmen aus. Sie zeugen von einer geradezu grotesken Unkenntnis unserer Ernährungsgeschichte.“
Woher kommt dann diese Empörung ausgerechnet über das „Junkfood“ von McDonald’s?
Niemand hat den Zorn auf die bösen Volksbuletten bislang treffender charakterisiert als Richard Herzinger und Hannes Stein in ihrem Buch „Endzeitpropheten oder Die Offensive der Antiwestler“: „Die Rechten hassen McDonald’s, weil es auf zivilisierte Weise die Idee des nationalsozialistischen Eintopfsonntags überboten hat. Die Linken hassen McDonald’s, weil es die alte Forderung der Arbeiterbewegung verwirklicht hat, auch der Proletarier solle an den Fleischtöpfen der Bourgeoisie teilhaben und in gut belüftete, helle Restaurants gehen können.“ Sogar Menschen mit mehreren Kindern dürfen die gastliche Stätte betreten, ohne vom Personal missbilligende Blicke zu ernten.
Übrigens: Dönerbuden setzen in Deutschland viel mehr um als amerikanische Fastfoodketten. Droht deshalb etwa die Osmanisierung unserer Essgewohnheiten?
Scheele Blicke gibt’s dafür vom Vatikan. Fastfood, konstatiert L’Avvenire, die Zeitung der italienischen Bischofskonferenz, „widerspricht der im Christentum grundlegenden Gemeinschaftlichkeit des Mahls“. Das zusammenfassende Resümee des päpstlichen Bannstrahls: „Hamburger sind atheistisch.“
Noch toller redet sich Deutschlands Fresspapst Wolfram Siebeck in Rage. In einem Interview mit dem Neuen Deutschland kommt er zu folgendem Schluss: „Menschen, die sich gleichschalten lassen, wenn es um die Akzeptanz einer Kunstpizza, eines Fleischkloßes oder einer Tütensuppe geht, lassen sich auch bei Problemen des gesellschaftlichen Lebens gleichschalten.“ Ergo: „Egal ob die Massen ‚Lecker!‘ oder ‚Heil‘ brüllen, es müssen ihnen zunächst einmal der kritische Verstand beziehungsweise die kritische Zunge lahmgelegt werden.“
Die schüchterne Frage der Interviewerin, ob er in Tiefkühlkost, Suppendose, Kantine oder Mikrowelle nicht auch gewisse Vorteile beispielsweise für die berufstätige Frau sehe, kommt Siebeck gerade recht: „Aber wofür wird die Zeit denn gespart? Was fängt die Hausfrau damit an? Ich will es Ihnen sagen: Sie drängt sich in eine Talkshow und redet über ihre erogenen Zonen. Sie verbringt ihre Zeit in Selbsterfahrungsgruppen. Sie fliegt am verlängerten Wochenende zum Billigtarif nach Venedig.“
Und dort verstellt sie Herrn Siebeck womöglich den Blick auf den Markusplatz. „Nur kochen tut sie nicht.“ Das Heimchen am Herd ist eben auch nicht mehr das, was es einmal war.
Denselben Blödsinn wie Wolfram Siebeck lässt auch der Bundesvorstand der Jungen Nationaldemokraten vom Stapel, lediglich aus anderen Beweggründen: „Die Konsum- und Wegwerfgesellschaft mit ihrem McDonald’s- und Coca-Cola-Imperialismus, dämlichen Hollywoodproduktionen und degenerierter Musik bestimmen heute das Leben der internationalen Einheitszivilisation.“
Völlig schleierhaft wird die Kritik, wenn die Vorteile arbeitsteiliger Massenverköstigung kurzerhand in Nachteile umgedeutet werden. Strikte hygienische Kontrollen, Sauberkeit, gleichmäßige Qualität, freundlicher Service und genormte Preise gelten plötzlich als „mangelnder Individualismus“.
Dahinter steckt der Neid gescheiterter Volkserzieher und auf Seiten der Kulturelite eine tiefe Abneigung gegen alles Egalitäre und die Massenkultur an sich. Die Verfeinerten, Kultivierten, Gebildeten grenzen sich gegen den Barbaren in Gestalt des armseligen McDonald’s-Besuchers oder Aldi-Kunden ab. Für den empfindet man nichts als abgrundtiefe Verachtung, verpackt allerdings in fürsorgliche Bevormundung.
Die Missbilligung des billigen Essens findet in zwei anderen elitären Diskursen ihre Entsprechung: der Tourismus- und der Medizinkritik. „Der Einfall touristischer Horden“, konstatiert Schöngeist André Heller, „führt zur Ausrottung alles Schönen.“
Analog den Gourmettraktaten von Siebeck und Konsorten spricht aus solchen Tourismusanklagen kaum verhohlener Hass auf die Massen, die, zu Wohlstand gekommen, all die romantischen Buchten bevölkern, die bis dahin exklusiv den wahren Kennern vorbehalten waren. Tätowierte Biker am Strand von Kampen, handybewaffnete Prolos in den Uffizien und kugelbäuchige Kegelvereine auf Bali – da graust es den Bildungsreisenden. Nachdem die besseren Kreise in Mallorca auf ihr Dienstpersonal stießen, tauften sie das Urlaubsziel angewidert „Putzfraueninsel“.
Auf die Idee, dass erschwingliches Reisen für Normalverdiener auch gute Seiten haben könnten, kommt kaum einer – mal abgesehen von der Tourismusindustrie, die daran Geld verdient.
Dabei ist längst der Nachweis erbracht, dass viele schöne Naturlandschaften der Erde nur deswegen nicht unter den Pflug kommen, weil die Touristen in Scharen dorthin pilgern. Historische Gebäude wären längst verfallen, alte Handwerkskünste in Vergessenheit geraten, wenn keine touristische Nachfrage nach ihnen bestünde. Ohne Massentourismus wäre die Serengeti längst gestorben und der Marmor griechischer Tempel als Baumaterial abgetragen. Der Hass auf die Massen ist also nicht nur asozial, sondern greift ins seinem elitären Ästhetizismus viel zu kurz.
Ebenso gehört es heute zum guten Ton, die Errungenschaften der modernen Medizin für die Volksgesundheit zu verachten. Die Tatsache, dass sich die Lebenserwartung in Deutschland innerhalb von hundert Jahren verdoppelte, wird schulterzuckend zur Kenntnis genommen.
Kinderlähmung, Masern und andere schwere – oft tödliche – Krankheiten waren vor wenigen Jahrzehnten noch allgegenwärtig. Ihre erfolgreiche Bekämpfung durch Pharmazie und Technik nimmt kaum jemand mehr als Erfolg wahr. Stattdessen steht die „Schulmedizin“ in der Öffentlichkeit als Verschwörung karrieregeiler Weißkittel da, die ihre Patienten mit „harter Chemie“ ruhig stellen.
Paradoxerweise wird die elitäre Medizinschelte inzwischen von den Massen und ihren Medien selbst betrieben. Von Bunte bis Frau im Spiegel ertönt das hohe Lied auf die angeblich sanfte Alternativmedizin. Wissenschaft und Technik gelten als verdächtig, Esoterik als Rettung.
Was einmal als Kritik der Schattenseiten des Medizinbetriebes begann, endete als pseudoreligiöse Anbetung von Homöopathen und Wunderheilern.
Deshalb sollte wir auch aus dem, was auf unseren Teller kommt, keine Religion machen, sondern klaren Kopf bewahren.
Wenn Anhänger Rudolf Steiners bei Vollmond Kuhhörner im Acker vergraben, hat das viel mit Glauben, aber ziemlich wenig mit umweltfreundlicher Landwirtschaft zu tun.
Nicht jeder möchte sich von Steiners Jüngern erwecken lassen und nicht jeder hat Zeit, Lust oder Geld, um sich à la Wolfram Siebeck zu verköstigen. Oskar Lafontaine, bekennender Genießer, der einst die saarländische Landesvertretung in Bonn durch einen Sternekoch krönte, sieht die Sache zum Glück etwas lockerer und meint: „Diese Frage muss jeder Einzelne für sich beantworten.“ Den Einwand, Gourmetkost sei auch eine Frage des Einkommens, wischt er in einem Interview mit der Zeit aber ziemlich abgehoben vom Tisch: „Steinpilze zum Beispiel kann jeder sammeln – und Steinpilze mit Spaghetti gehören zu meinen Lieblingsspeisen.“
Spätestens an diesem Beispiel wird klar, dass Masse eben nicht so ohne weiteres durch Klasse ersetzt werden kann. Mal angenommen, achtzig Millionen Deutsche gingen Steinpilze sammeln: Dann gute Nacht, du deutscher Wald. Da die meisten von uns allerdings einen Champignon nicht von einem Knollenblätterpilz unterscheiden können, wäre dies obendrein eine Anleitung zum Massenselbstmord.
Der Pariser Bäckermeister Lionel Polaine stemmt sich gegen den „bedrohlichen Trend“ zu „aufgeblähten Industrielaiben“ (taz) und backt sein Brot von Hand und mit holzbeheizten Öfen. Es ist schön, dass solche Traditionen lebendig gehalten werden. Doch zur Verallgemeinerung taugen sie nicht. Oder wollen wir die Luft tatsächlich durch tausende von Holzöfen verpesten?
Jeder, der einmal auf der mühsamen Suche nach den Ingredienzien von Siebecks Menüs den Tank leer gefahren hat, weiß, dass handverlesene Küche nicht besonders ökologisch sein muss. Die zentrale Massenversorgung im Supermarkt kann dagegen durchaus ressourcenschonend sein.
Und so wird die Reform der Landwirtschaft wohl weniger zur Renaissance der Handarbeit und des Ab-Hof-Verkaufs führen, als vielmehr zu einer Ökologisierung der industriell hergestellten Massenlebensmittel. Dafür gibt es ja vom Biobier bis zum Babybrei heute schon zahlreiche Beispiele.
Die Firma Hipp beispielsweise verwendet für ihre Babykost nur noch Zutaten aus biologischem Anbau, was aber nichts daran ändert, dass es sich um Fertiggerichte handelt. Das System funktioniert vollständig nach den Gesetzen der Massenproduktion: von der Fernsehwerbung über vollautomatische Maschinen bis ins Supermarktregal.
Was ist eigentlich so schlecht daran?
DIRK MAXEINER, Jahrgang 1953, ist Buchautor und Journalist. MICHAEL MIERSCH, Jahrgang 1956, ist Buch- und Filmautor. Gemeinsam ( www.maxeiner-miersch.de ) schrieben sie mehrere Bestseller über Natur-, Umwelt- und Wissenschaftsthemen, darunter das „Lexikon der Öko-Irrtümer“ (1998). In diesen Tagen erscheint ihr neuestes Buch: „Das Mephisto-Prinzip. Warum es besser ist, nicht gut zu sein“. Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 2001, circa 180 Seiten, 34 Mark
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