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Der Weg zur Unabhängigkeit

Die EU muss mit Serbien über die Zukunft des Kosovo verhandeln und die Unteilbarkeit Makedoniens garantieren

von THOMAS SCHMID

Kaum waren die jugoslawische Armee und die serbische Spezialpolizei aus dem Kosovo verjagt, vertrieben die Albaner ihrerseits die Serben und Roma. Und nun versuchen die Albaner auch noch Makedonien in Brand zu setzen. War es also ein Fehler, Milošević im Kosovo militärisch Einhalt zu gebieten? In der aktuellen Debatte werden die Gesetze der Logik arg strapaziert. Aus dem Umstand, dass auf dem Balkan kein Frieden herrscht, kann nicht gefolgert werden, dass es besser gewesen wäre, militärisch nicht zu intervenieren, sondern allenfalls, dass die militärische Intervention allein nicht alle Probleme löst, womöglich auch neue schafft. Das aber wiederum ist eine recht banale Erkenntnis. Wer die Intervention der Nato im Licht der heutigen Zustände kritisiert, muss zumindest auch erwägen, wie der Balkan heute ohne Intervention wohl aussehen würde. Vermutlich düsterer und mit mehr Gräbern. Aber, zugegeben, das sind Spekulationen. Es galt damals, Risiken abzuwägen.

Halten wir also – in diesen Zeiten des schnellen Vergessens – eine Rückschau im Zeitraffer: Im Sommer 1998 vertrieben serbische Spezialeinheiten im Kosovo mit dem Einsatz schwerer Artillerie an die 300.000 Albaner und zerstörten weit über hundert Dörfer. Unter der Drohung einer militärischen Intervention des Westens verkündete Milošević im Oktober 1998 einen Waffenstillstand, ermöglichte die Rückkehr der meisten Flüchtlinge und ließ OSZE-Beobachter ins Kosovo. Gegen Ende 1998 flammte der Krieg, zum Teil provoziert durch die albanische Guerilla, erneut auf. Im Januar 1999 erschossen serbische Sonderpolizisten in Racak über 40 unbewaffnete Albaner, und spätestens ab Anfang März – vor der Intervention der Nato – wurde die Bevölkerung im makedonischen Grenzgebiet und dem zentralen Hochland der Drenica systematisch vertrieben. Wer heute behauptet, die Vertreibungen hätten erst nach und wegen der Nato-Intervention eingesetzt, möge die OSZE-Berichte von damals lesen. Doch zugegeben, der militärische Angriff des Westens beschleunigte den begonnenen Prozess extrem: In wenigen Wochen waren über eine Million Albaner vertrieben – die Art, wie dies geschah, legt nahe, dass Pläne für ein solches Vorgehen bereits in Schubladen lagen.

Der Westen hat die Intervention vor allem mit humanitären Motiven begründet, mit dem Schutz der Albaner. Diese Sorge mag durchaus eine Rolle gespielt haben. Entscheidend aber war wohl die Angst vor neuen Flüchtlingsströmen nach Westeuropa und letztlich vor einem Übergreifen des Krieges auf Makedonien. Es drohte eine Destabilisierung des ganzen südlichen Balkans. Angesichts der bosnischen Tragödie mit 150.000 bis 200.000 Toten und angesichts der Unversöhnlichkeit Milošević’ schien im Kosovo eine Intervention geboten. Es bestand die höchst reale Gefahr, dass ohne einen militärischen Eingriff des Westens letztlich weit mehr Todesopfer zu beklagen gewesen wären, als die Angriffe der Nato tatsächlich gekostet haben, und dass zu einem späteren Zeitpunkt eine Intervention doch unabwendbar, dann aber viel gefährlicher geworden wäre.

Die Nato schreckte vor dem Einsatz von Bodentruppen im Kosovo selbst zurück. Sie befürchtete, dass Tote in den eigenen Reihen den Zusammenhalt des Bündnisses sprengen würden. Also wurde Serbien aus sicherer Höhe bombardiert. Dass Milošević schließlich überraschend einlenkte und seine Truppen aus dem Kosovo abzog, hat mehrere Gründe, und der Westen hat einen Preis bezahlt: Er garantierte dem serbischen Machthaber in der UNO-Resolution 1244 die Unverletzlichkeit der Grenzen Jugoslawiens, damit war die Option auf eine Unabhängigkeit des Kosovo versperrt. Klüger wäre es gewesen, die Frage offen zu halten, aber dann hätte Milošević vermutlich nicht eingelenkt und die Nato wäre um einen Einsatz von Bodentruppen nicht herumgekommen.

An der Unabhängigkeit des Kosovo aber führt auf lange Frist kein Weg vorbei. Das weiß auch der Westen, der im Übrigen gut daran tut, trotz aller widrigen Entwicklungen an der staatlichen Einheit sowohl Bosnien-Herzegowinas wie auch Makedoniens festzuhalten. Eine Unabhängigkeit der (bosnischen) Republika Srpska oder ihr Anschluss an Serbien (etwa als Kompensation für das verlorene Kosovo) würde die ethnischen Säuberungen legitimieren, weil viele Städte in Srpska vor dem Krieg mehrheitlich muslimisch besiedelt waren. Es würde zudem den kroatischen Appetit auf die Herzegowina befördern und letztlich den Muslimen nur einen Rumpfstaat lassen. Dem Chauvinismus wären Tür und Tor geöffnet. Die Aufteilung Makedoniens andererseits würde die „makedonische Frage“ wieder eröffnen, die bereits vor 90 Jahren zu zwei Balkankriegen geführt hat und die durch die Gründung eines unabhängigen Makedonien gelöst wurde.

Ein Kosovo unter serbischer Herrschaft aber scheint aufgrund einer 90-jährigen Geschichte von Unterdrückung und Terror nicht mehr durchsetzbar. Ein unabhängiges Kosovo hingegen könnte ein Stabilitätsfaktor werden. Doch pacta sunt servanda. Der Westen muss über kurz oder lang mit der neuen, demokratisch legitimierten serbischen Führung eine Rücknahme des Milošević gemachten Versprechens aushandeln. Er muss dem Kosovo die Perspektive einer Unabhängigkeit eröffnen und gleichzeitig die Bedingungen setzen: verbrieften und international zu überprüfenden Schutz der serbischen und anderen Minderheiten, Recht auf Rückkehr der Vertriebenen, Garantien gegenüber dem makedonischen Staat.

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