piwik no script img

„Bin ja unschuldig“

Der Mordprozess gegen Vera Brühne war auch ein Sittengemälde der deutschen Gesellschaft in den 60ern

BERLIN taz ■ Vera Brühne ist tot. Im Alter von 91 Jahren ist die als Doppelmörderin verurteilte Frau in einer Münchner Klinik gestorben – und sie hat damit endgültig den Kampf ihres Lebens verloren: Bis an ihr Lebensende ist es ihr nicht gelungen, ihre Unschuld zu beweisen. „Ich habe Schwielen auf der Seele“, sagte Vera Brühne noch im letzten Jahr in einem Interview.

Tausende Schaulustiger drängten sich 1962 vor dem Münchner Gericht, in dem der Prozess gegen Brühne wegen Mordes an ihrem angeblichen Geliebten, dem Arzt Otto Praun, und dessen Haushälterin Elfriede Kloo stattfand. „Aus Habgier und heimtückisch“ soll Brühne gehandelt haben. Zweimal lebenslange Haft. „Ich bin ja unschuldig“ – mit diesem Schrei brach die damals 52-Jährige zusammen. Wahrheit oder Lüge?

Fest steht, dass die Polizei am Tatort schlampig recherchiert hatte und die Mordopfer ohne Obduktion beerdigt worden waren. Und fest steht auch, dass Brühne die öffentliche Meinung gegen sich hatte – nicht zuletzt ihres angeblichen Lebenswandels wegen. Die Boulevardpresse zeichnete das Bild einer „geldgierigen Lebedame“, die ein „ausschweifendes Leben“ geführt hatte. Die Stimmung im Prozess gegen die auffallend attraktive Vera Brühne war auch ein Sittengemälde der deutschen Nachkriegszeit. Später fand die Verurteilte viele Fürsprecher.

Der Filmemacher Michael Gramberg fand es „offensichtlich“, dass sie unschuldig 18 Jahre hinter Gittern verbracht hatte. Sein Kollege Hark Bohm spricht von einem „Fehlurteil“. Der Sexualforscher Oswalt Kolle schrieb, Vera Brühne sei „öffentlich hingerichtet“ worden, „weil man einer Frau mit solch lockeren Sitten sowieso auch einen Mord zutraute“. Das erinnert an einen anderen Kriminalfall: Auch bei der Frage, ob Monika Böttcher ihre beiden Töchter ermordet hat, zeigte sich die Öffentlichkeit vom Lebenswandel der Mutter nicht unbeeinflusst.

Vera Brühne wurde 1979 vom damaligen bayerischen Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß begnadigt. Ein pikanter Akt. Eine Theorie lautete, die Mörder von Praun und Kloo hätten im Auftrag des BND gehandelt und seien vom Bundesverteidigungsministerium gedeckt worden. Der damals zuständige Minister: Franz Josef Strauß. Vera Brühne hatte dem SZ-Magazin noch kürzlich erzählt, ihr sei schon viel früher Gnade angeboten worden. Aber sie habe das aus „Trotz“ nicht annehmen wollen, sondern dazu gesagt: „Ich habe ‚lebenslänglich‘. Werden Sie jetzt fertig mit dem Fehlurteil.“ Wenn es eines war, dann ist die deutsche Gesellschaft damit fertig geworden. BETTINA GAUS

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen