: Men`s Health
Was heute als Familienpolitik verkauft wird, ist nichts anderes als patriarchale Bevölkerungspolitik. Die Frauen werden weiterhin aus dem Berufsleben gedrängt
Man kann kaum noch eine Zeitung oder Zeitschrift aufschlagen, ohne dass sie einem entgegenbleckt: Die berüchtigte Alterspyramide – unten Schwindsucht, oben Beulenpest – signalisiert seit Wochen, dass die Deutschen mal wieder aussterben. Das ist schlimm. Denn wer soll später unsere Renten bezahlen, wenn wir keinen Nachwuchs zeugen? Nicht nur irgendwelche CSU-Stammtischler schlagen Alarm; nein, dem Bundesverfassungsgericht verdanken wir die Erkenntnis, dass der Bestand des Volkes nicht gesichert ist, weil Familien mit Kindern finanziell zu stark belastet seien.
Die Gleichung „Mehr Kinder, sichere Renten“ enthält viele Unbekannte. Wer weiß, ob die zehn Kinder des Trierer Organisten Alfred Müller, der die Herabsetzung der Pflegeversicherungsbeiträge erstritt, später einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nachgehen werden. Um das zu bezweifeln, muss man nicht einmal das Schreckgespenst andauernder hoher Arbeitslosenzahlen an die Wand malen. Kann ja sein, dass die Müller-Kinder später alle Beamte werden und somit keine Sozialabgaben zahlen. Wahrscheinlicher ist, dass sie im Zuge der Flexibilisierung der Erwerbsstrukturen Unternehmen gründen oder sonst wie selbstständig werden, jedenfalls aus der Sozialversicherungspflicht herausfallen.
Die Sozialversicherungen müssen zu einer Volksversicherung umgebaut werden. Das hieße: Alle Erwachsenen werden einbezogen, also auch Beamte, Selbstständige, Angestellte jenseits der „Beitragsbemessungsgrenze“, Hausfrauen oder Menschen, die von Kapitaleinnahmen leben. Solche Vorschläge sind nicht neu. Aber statt sich damit auseinanderzusetzen, zitiert zum Beispiel einer der Hauptagitatoren der derzeitigen Kampagne, der Heidelberger Sozialrichter Borchert, genüsslich den Satz: „Der Schlüssel zur Altersversorgung jeder Generation liegt in der biologischen Struktur des Volkskörpers.“ Wunderbar, man darf sich wieder trauen, zumal der Satz nicht aus dem NPD-Programm stammt, sondern vom Nestor der katholischen Soziallehre, Oswald von Nell-Breuning. Reaktionär ist er trotzdem.
Deutschland gehört zu den dicht besiedelten Gebieten der Erde; es leben hier weitaus mehr Menschen pro Quadratkilometer als beispielsweise in China. Warum sollte die Bevölkerung eigentlich nicht schrumpfen oder sich durch Zuwanderung ergänzen? Früher hieß es einmal „Volk ohne Raum“, um deutsche Expansionsgelüste zu rechtfertigen. Sind wir heute „ein Raum ohne Volk“?
Nicht nur die bevölkerungspolitische, auch die patriarchale Sau wird rausgelassen. Dazu scheinbar noch frauenfreundlich verbrämt: „Den Müttern entlohnt der Staat den Dienst an der Zukunft seines Sozialsystems nur mit dürftigsten Almosen“, barmt der Spiegel. Familien mit Kindern sind aber nicht deshalb arm, weil Vater Staat und die Sozialversicherungssysteme sie so schlecht behandeln. Sondern weil sie meist nach dem traditionellen „Ernährer“-Modell funktionieren, d. h. die Frau steigt nach dem ersten Kind aus der Erwerbsarbeit aus, bleibt Hausfrau oder begnügt sich später mit einer schlecht bezahlten Teilzeitstelle. Damit das so bleibt, existieren allerhand Rahmenbedingungen: Mädchen werden weiterhin mit sanftem Druck in „weibliche“ Beschäftigungen mit geringen Löhnen gelenkt; es fehlen Kinderbetreuungseinrichtungen; die Steuergesetze bevorzugen das Ernährermodell. Weil das alles aber noch nicht ausreicht, um die Gebärfreudigkeit anzukurbeln, soll jetzt mehr Geld in die heile Familienwelt gepumpt werden. Ein Kindergeld von 1.000 Mark fordert Verfassungsrichter a. D. Kirchhof, eine „Familiengeld“ genannte Gebärprämie die CDU.
Alle direkten, individuellen Transferzahlungen, Steuer- und Beitragserleichterungen machen vor allem einen happy: den Familien-„Ernährer“. Ob er das Geld für seine Kinder verwendet, ob er sich ein neues Auto davon kauft oder ob er es in der Türkei anlegt (wie ein Vorschlag aus deutsch-türkischen Kreisen lautete), kann ja niemand kontrollieren. Das Geld fließt ins Familienbudget und wird dort entsprechend den famlieninternen Machtverhältnissen verteilt. Nur ja nicht die Frau eine Karriere aufbauen lassen, sie an eigenes Geld jenseits des „Zuverdienens“ heranlassen.
Denn was Männer gar nicht mögen, sind Frauen, die erfolgreicher sind als sie selbst. Das hat gerade mal wieder die Zeitschrift Men’s Health herausgefunden. Dank „Familienpolitik“ und Bundesverfassungsgericht mit Volldampf zurück in die Fünfzigerjahre! Schon ist wieder ungehemmt von „Doppelverdienern“ die Rede. Gemeint sind nicht die vielen Männer ab mittlerer Berufsposition, die sich nebenbei zweite und dritte Einkommen erwirtschaften, sondern Paare, bei denen die Frauen ebenfalls berufstätig sind. Das aber schätzen der traditionelle Familienvater und die ihn stützenden Ideologen keineswegs. Denn eine Frau, die allzu viel Energie in ihren Beruf investiert, hat weniger Kapazitäten für Haus- und Beziehungsarbeit frei. Die Arbeit der Hausfrau und Mutter kommt nämlich nicht nur den Kindern zugute, sondern vor allem dem Gatten, der sich ja zehn Stunden am Tag für die Familie „opfert“ und deshalb abends nicht mehr das Bad putzen kann.
Eine Familienpolitik, die nicht die Wiederbelebung eines Auslaufmodells des Zusammenlebens meint, sondern tatsächlich Kinder fördern will, sähe anders aus. Sie würde Geld nicht auf Ernährerkonten überweisen, sondern in Infrastrukturmaßnahmen stecken. Oder damit Einrichtungen subventionieren, die Kinder und ihre Eltern brauchen. Gute, verlässliche Betreuungseinrichtungen, offen mindestens von 8 bis 18 Uhr, sind dabei die wichtigste Voraussetzung. Kinder lernen dort eher soziales Verhalten als an Mutters Rockschößen. Und Frauen wären endlich in der Lage, Beruf und Familie zu leben, statt sich immer nur das bedauernde Politikerlamento über die fehlende Vereinbarkeit anhören zu müssen.
Zumindest für Kinderreiche oder allein Erziehende müsste der soziale Wohnungsbau aus seinem Dornröschenschlaf geweckt werden, damit Familien nicht gezwungen werden, in der Pampa zu wohnen, weil der Wohnraum in den Städten unerschwinglich ist. Es lassen sich weitere Maßnahmen denken, die Kindern direkt nützen. Warum nicht freie Fahrt für Kinder und die sie begleitenden Erwachsenen in allen öffentlichen Verkehrsmitteln? Freier Eintritt in Sportstätten, Zoos und Theater?
Interessanterweise erteilt inzwischen sogar die Wirtschaft den altväterlichen Gesellschaftsvorstellungen eine Absage. Mitte März forderten Spitzenvertreter der Unternehmen bei einem Treffen mit dem Bundeskanzler „eine umfassende Reform der Familienpolitik“, wozu nach Meinung der Wirtschaftsbosse mehr Ganztagsschulen und flächendeckende Kinderbetreuung gehören sollen. Hintergrund ist der Fachkräftemangel. Recht haben sie. Warum sollte die bestausgebildete Frauengeneration aller Zeiten ihre Kompetenzen beim Breikochen und Hemdenbügeln verausgaben? CLAUDIA PINL
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen