: Körperhalma und die Lust auf Schule
■ Sechs Komponisten haben eine Woche lang mit sechs Bremer Schulklassen gearbeitet und dabei sechs hochspannende Klangstücke erfunden. Unter dem Titel „Response“ sind sie bald im Schlachthof zu hören
Die Kinder sind total offen“, sagt der chinesische Komponist Xiaoyong Chen. Eine Woche lang hat er mit der Klasse 4a der Grundschule Parsevalstraße gearbeitet. „Sie haben endlose Phantasien. Jeder wollte etwas gestalten.“ Das Projekt, bei dem Komponisten so etwas erleben, heißt „Response“. Dabei treffen die SchülerInnen von sechs ausgewählten Schulklassen auf KomponistInnen sowie auf MusikerInnen der Kammerphilharmonie und erarbeiten ein Konzertprogramm. Am Montag war „Probe“.
Die Kinder von Xiaoyong Chen haben zu dem Gedicht „Der Garten des Herrn Ming“ fernöstliche Klänge erfunden. Sie spielen, was sie können: Flöte, vor allem Metallophone, Klangschalen. Und Matthias Cordes von der Kammerphilharmonie gesellt sich mit seiner Violine hinzu. Einer der Profis aus dem Orchester ist in jeder Gruppe dabei. Das ist das Konzept von „Response“. Das kleine Konzert, das herausgekommen ist, klingt deutlich nach dem Komponisten. Aber es klingt auch nach den Schulkindern – nur was sie verwirklichen können, darf der Komponist wollen. Auch das ist das Konzept des „Response“-Projekts.
„Das waren die fünf aufregendsten Tage meines Lehrerdasein“, gestand einer der beteiligten Klassenlehrer. Immerhin hat er 35 Lehrerjahre auf dem Buckel. „Das ist auch Lehrerfortbildung“, freute sich Ursula Menk vom „Landesinstitut für Schule“ (LIS), die das Projekt in Bremen alle zwei Jahre organisiert.
Karsten Gundermann aus Dresden ist einer der beteiligten Komponisten. „In meiner Gruppe hat auch die Lehrerin Noten gelernt“, sagt er trocken. „Vielleicht kann sie es ja noch einmal brauchen ...“ Mit der 2. Klasse der Grundschule Stader Straße hat Gundermann „Filmmusik“ komponiert: Trickfilm-Szenen vom Ritter und dem Drachen waren auf der Leinwand zu sehen, und die Kinder haben mit großer Leidenschaft den Kampf lautmalerisch begleitet.
Der Bremer Komponist Uwe Rasch hat mit der 3. Klasse der Grundschule „Am Alten Postweg“ ein atemberaubend stilles Spiel, erfunden, bei dem die Kinder nur mit Körperklängen arbeiten: Klopfen, klatschendes Schlagen, Krächzen. „Körperhalma für mindestens 16 Klangakteure“ ist der Titel.
Der „Musizierklasse“ 6e am Schulzentrum Obervieland merkte man die Erfahrung im „Musiktheater“-Spiel an: Diese Gruppe hat in nur einer Woche ein komplexes theatralisches Schauspiel eingeübt, Hass und Toleranz musikalisch gegeneinandergestellt, harten Rap gegen sanft melodisches: „Was seid ihr so hart?“ Aber die sanften Töne können auch kräftig Zischen, Gewaltszenen auf der Bühne – am Ende trägt die Klasse ein sechsstimmiges Quodlibet als Zeichen der Versöhnung vor. Der Komponist Hans Huyssen ist ein (weißer) Südafrikaner, das Stück soll den Namen „Man nan gifie“ bekommen. Das heißt auf deutsch „Jetzt bin ich hier“, Niania Njie, Schülerin der 6e aus Gambia, hat den andren den Satz aus ihrer Sprache Wallof übersetzt.
Die Arbeitsgemeinschaft Musik (9. Klasse) der Gesamtschule Mitte, die sonst Free Jazz improvisiert, hat mit dem Schotten David P. Graham die Geräusche einer Straßenbahn in Bremen mit denen in Amsterdam verglichen – mit Querflöte, Geige, Schlagzeug, Gitarre, Keybord, Computersounds.
Den krönenden Abschluss des Konzerts wird der Leistungskurs Musik des 11. Jahrgangs vom Kippenberg-Gymnasium vortragen. Die Gruppe könnte ein Kammerensemble auf die Beine stellen, ein hochspannendes Klangspektakel. „Den Titel wisse wir noch nicht“, sagt der komponierende Mentor Serge Weber. „Bach“ war das Bild am Anfang, im Verlaufe der Arbeit mit dem Klang ist die Gruppe davon aber weit abgekommen.
Auch den BegleiterInnen der Kammerphilharmonie macht die Arbeit mit den Schulklassen Spaß. „Wir als Berufsmusiker sind ja sonst nur Reproduzenten“, sagt einer. So unbefangen dürfen sie sonst nicht Musik erfinden. Und die Schüler sind natürlich begeistert: von sich, von ihren Klangschöpfungen und von diesem außergewöhnlichen Stück Schule. K.W.
„Response – Das Konzert“ ist am Mittwoch, 16. Mai, 19 Uhr im Kulturzentrum Schlachthof, Findorffstraße 51, zu hören.
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