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Que(e)r denken

DAS SCHLAGLOCHvon VIOLA ROGGENKAMP

Auch in der heterosexuellen Männerwelt werden Männer von Männern bewundert, gefördert, finanziert

„Fürchterlicher als Gnom und Kröte war der Vater, und obendrein sollte man ihn lieben. Diederich liebte ihn. Wenn er genascht oder gelogen hatte, drückte er sich so lange schmatzend und scheu wedelnd am Schreibpult umher, bis Herr Heßling etwas merkte und den Stock von der Wand nahm.“ Heinrich Mann, „Der Untertan“, 1918

„Hat das Ausweichen (...) vor der erotischen Frau, die Angst vor ihr, der Terror gegen sie und das Hingezogensein zu Männerbünden, insbesondere zum Militär, irgendetwas mit Homosexualität zu tun?“

Klaus Theweleit, „Männerphantasien“, 1987

Auf dem Plakat stehen sie einander gegenüber, ein schwuler junger Mann und ein rechter junger Mann. Kopf- und Schulteransicht im Profil. Darunter steht in großen Buchstaben: „Que(e)r gegen Rechts“.

So nah sind sie einander, dass sich ihre Nasenspitzen fast berühren. Der Schwule trägt sein Haar leicht geföhnt, der Rechte trägt sein Haar überhaupt nicht. Er hat es abrasieren lassen, und sein nackter Kopf erinnert an phallische Symbolik.

Sie fixieren sich gegenseitig, das heißt, der Schwule den Rechten eher weniger. Er sieht ihn an, als sähe er ihn gar nicht. Mit einer Ruhe, die von Angst oder Wut oder überhaupt irgendeiner Art von Interesse nichts weiß. Der Rechte starrt sein Hassobjekt, den Schwulen, an, als wollte er in ihn eindringen. Er ist von Kopf bis Fuß in steifer Haltung wie ein Ganzkörperpenis im Zustand der Erektion. Am Ohr baumelt ihm ein kleiner Ring.

Der Schwule trägt gar keinen Schmuck, sondern ein heterosexuelles Oberhemd aus der Herrenabteilung von C & A. Der Rechte trägt eines dieser miefigen Trainingshosenoberteile mit kleinem Kragen, und zwar zugeknöpft bis in die Falten der Halshaut hinein. Der Hemdkragen des Schwulen steht offen.

Hier der Heterosexuelle – dort der Homosexuelle. Säuberlich voneinander getrennt. Dass diese Aufteilung, an der in unserer Gesellschaft hartnäckig festgehalten wird, nicht stimmt, wird nirgendwo so erschreckend deutlich wie in der rechten Szene. Und wenn in diesem Jahr die homosexuelle Bewegung in Berlin sich die faschistische Bewegung in Deutschland zum Thema macht, dann sind normale Schwule mit heterosexuellen Männern konfrontiert, denen nichts wichtiger ist als Männlichkeit, die latent homosexuell sind und Schwule hassen.

Mit diesem Plakat zum CSD wagt die Homosexuelle Bewegung Berlins, was die heterosexuelle Gesellschaft vermeidet, von sich zu zeigen: die konstant familiäre Verstrickung mit dem, womit man nichts zu tun haben will, mit den Rechten, mit den Nazis, mit der terroristischen Männerhorde. Sie stehen einander gegenüber wie Brüder, der Schwule und der Nazi, Söhne derselben Eltern.

Der eine, der Rechte, der auf dem Plakat links steht, kann sich ein Gegenüber nur im Hass erschaffen. Ohne dieses Gegenüber ist er Glied seines Haufens und lebt als dessen Teil die Unterwerfung aller unter der Fuchtel des einen, des Anführers. Das Wort „Schwuchtel“ könnte hier seinen Ursprung haben.

Der andere, der Schwule, auf der rechten Seite des Plakats, steht sowohl im Gegenüber als auch für sich: Ein junger Mann, der gerade vom Kirchentag kommt oder auch junger Vater eines kleinen Kindes sein könnte, tagsüber für „Essen auf Rädern“ arbeitet und nachts schläft, und zwar im Ehebett mit seinem Mann, von dem er sich „sie“ nennen lässt, wenn er das Gefühl hat, mal wieder zu viel im gemeinsamen Haushalt gemacht zu haben.

In der heterosexuellen Familie unterwirft sich der kleine Sohn seinem Vater, um an dessen Stärke zu partizipieren, damit er gegen den väterlichen Mann den Kampf um die Mutter, die Frau aufnehmen kann. Wenn das tatsächlich so glatt funktionieren würde, wäre die heterosexuelle Männergesellschaft nicht so homophil, wie sie ist.

Was reizt den heterosexuellen Mann am homosexuellen Mann? Denn dass der schwule Mann den nichtschwulen Mann überhaupt nicht kalt lässt, daran besteht ja wohl kein Zweifel. Der homosexuelle Mann scheint ohne die Frau auszukommen. Übernimmt er im Männer-Paar die Position der Frau, fantasiert er sich besser als das abwesende Original.

Auch in der heterosexuellen Männergesellschaft werden Männer von Männern bewundert, gefördert und finanziert. Männer intrigieren und konkurrieren gegeneinander um die Gunst des mächtigeren Mannes, der Vater und Domina in einer Person ist, ein Patriarch im Gewand der hohen Frau. Der heterosexuelle Mann nennt das: Politik! Der homosexuelle Mann nennt das: schwul.

Der Rechte unterwirft sich der Fuchtel eines Führers. Hier könnte das Wort Schwuchtel den Ursprung haben

Schwule Männer sind im Allgemeinen nicht Männer, die lieber Frauen wären. Ganz im Gegenteil gibt es für sie nichts Größeres als den Mann und sein Geschlecht. Zweifelsohne sagen Nazis nichts anderes: der Mann und sein Geschlecht, auch für sie gibt es nichts Größeres. In der Konstellation von Opfer und Täter stellen beide auf einer Ebene der tödlichen Konfrontation das Frau-Mann-Paar her. Das führt ganz real zu schrecklichen Gewalttaten gegen homosexuelle Menschen. Wie bei Gewalttaten gegen Ausländer oder bei antisemitischen Anschlägen drückt sich das Bedauern der heterosexuellen Gesellschaft darin aus, unangenehm berührt davon zu sein, dass es wieder passiert ist.

Zwischen Homosexuellen wird teils karikierend, teils hingebungsvoll, auf jeden Fall aber sadomasochistisch vieles davon in Szene gesetzt, was der faschistischen Kampfsportgruppe tödlicher Ernst ist: Uniformen mit nationalsozialistischen Symbolen, der Drill, die Züchtigung und die Unterwerfung. Auch die Lesbenszene zeigt sich geradezu stolz in den Requisiten, die hierzulande jeden Menschen assoziativ erinnern könnten an SA und SS, auch dann, wenn auf der Uniformmütze der Motorradfahrerin bloß „Hafenpolizei“ steht. Dieser Entwicklung bei Lesben zu entsprechen scheint der langsame Zuwachs an Frauen in der rechten Szene.

Martialische Horden, so kann man sagen, sind homosexuell in einer pervertierten Form. Ihr Begehren nach kontrollierender Macht und Züchtigung durch den sadistischen Mann oder die sadistische Frau, ihre Lust an der Unterwerfung gegenüber dem Anführer ist sexuell. Dieses Machtgefüge funktioniert, weil das sexuelle Begehren darin erhalten bleibt, und zwar als Verbot von Homosexualität.

Der Nazi braucht den Schwulen. Der Schwule ist für ihn Träger des von sich selbst abgespaltenen homosexuellen Begehrens. Er braucht den Schwulen auch, um sein abgespaltenes Eigenes bei dem Schwulen wieder auffinden zu können. Es gehört ja zu ihm. In dem schwulen Mann kann er die von sich abgespaltene homosexuelle Erotik bekämpfen oder aber auch fasziniert davon sein. Umgekehrt kann der schwule Mann etwas von sich Abgespaltenes in dem martialischen Mann, dem Nazi, wieder auffinden, weil es ihn fasziniert, auch wenn er es bekämpft. Gleiches kann für Frauen in rechten Gruppen und für ihr lesbisches Gegenüber gelten.

Es wäre wichtig, dass die Bewegung der Homosexuellen, wenn sie sich gegen Rechts que(e)r stellt, von dieser Verstrickung ein Bewusstsein hat.

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