: Expedition ins Ungewisse
Die Opposition lehnt jedes Eingreifen ab, während Kanzler Schröder die Öffentlichkeit auf einen „robusteren“ Einsatz deutscher Soldaten vorbereitet
von PATRIK SCHWARZ
An die 30 Tage glaubt inzwischen fast niemand mehr. Gerade mal eine gute Woche ist es her, dass der Nato-Rat in Brüssel seinen Beschluss für einen Makedonieneinsatz fasste. In dem Plan vom Mittwoch voriger Woche, dem auch der deutsche Nato-Vertreter zustimmte, sind vor allem die Grenzen der Mission festgelegt. Der Auftrag: nicht Frieden schaffen, sondern nur die Waffen der albanischen Rebellen einsammeln. Das Kontingent: nicht mehr als 3.000 Soldaten. Die Dauer: höchstens 30 Tage.
Skeptiker hielten das Szenario von vornherein für unrealistisch. Angelika Beer, verteidigungspolitische Sprecherin der Grünenfraktion, mahnte sofort, die Nato dürfe ihre Planung nicht nur auf eine positive Entwicklung des Konflikts gründen. „Es gibt kein Szenario am Schachbrett“, warnte Beer damals, „das ist der Balkan.“ Zwar hat die EU seitdem François Léotard als Sonderbeauftragten in die Region entsandt, doch sind Rebellen und Regierung inzwischen weiter denn je davon entfernt die zentrale Vorbedingung für einen Nato-Einsatz zu erfüllen – ein Friedensabkommen zu schließen.
Jetzt gehen selbst die Strategen in Joschka Fischers Auswärtigem Amt nicht mehr davon aus, dass sich ein Einsatz so strikt begrenzen lässt wie geplant. Wenn eine solche Mission 30 Tage dauere, spekulierte gestern ein hochrangiger Diplomat, dann sei es gut. „Aber die Lage ist nicht gut, und sie könnte noch schlechter werden.“ Auch der Bundeskanzler hat seine Kollegen in der Kabinettssitzung am Mittwoch darauf vorbereitet, dass ein Einsatz die 30 Tage durchaus überschreiten könnte.
Nur – welcher Einsatz? Theoretisch ist die Lage denkbar einfach: Ohne Friedensabkommen in Makedonien kommen keine Nato-Soldaten. Praktisch treibt Makedonien jedoch auf einen Bürgerkrieg zu – und auch deutsche Politiker schreckt die Furcht vor einem neuen Flächenbrand auf dem Balkan.
Die Verschärfung des Konflikts in Makedonien treibt daher die innenpolitische Debatte um die Nato-Operation in ein Paradox: Die einen wollen militärisch gar nichts tun, die anderen denken bereits über viel größere Militäroperationen nach. CDU/CSU, FDP und PDS wollen unter den gegebenen Umständen auf keinen Fall einer deutschen Beteiligung im Bundestag zustimmen – wenn auch aus unterschiedlichen Motiven.
Gerhard Schröder dagegen ließ gestern schon Äußerungen lancieren, mit denen er die Öffentlichkeit auf ein größeres Engagement einstimmt: Nicht nur könne der Einsatz länger als 30 Tage dauern, das Mandat des Bundestages müsse auch einen „robusteren Einsatz“ ermöglichen. Angesichts der Debatte um das Bundeswehrbudget betonte Schröder gegenüber der FAZ ausdrücklich, die materiellen Voraussetzungen für einen Einsatz müssten geschaffen werden. „Darauf kann Verteidigungsminister Scharping sich verlassen.“
Auch in der größten Regierungsfraktion regen sich Stimmen, die einen umfassenderen Bundeswehreinsatz für sinnvoll halten. Der SPD-Außenpolitiker Gernot Erler sagte der taz: „Die Zweifel im Bundestag entzünden sich am realistischen Gehalt der Nato-Beschlüsse.“ Am größten seien die Vorbehalte, einem „Mini-Einsatz“ zuzustimmen – „und am Ende ist man fünfeinhalb Jahre mit einer massiven Präsenz im Land vertreten. Das ist mit den Abgeordneten nicht zu machen.“
Die Regierung solle dem Parlament lieber reinen Wein einschenken. „Für einen robusteren Einsatz, der aber realistisch und glaubwürdig ist, bekommt man eher eine Mehrheit hin.“ Erler kann sich sogar eine präventive Nato-Operation in Makedonien vorstellen: „Man könnte an eine massive Militärpräsenz vor Ort denken, in der Hoffnung, dass das zu einem Ende der Kämpfe führt.“
Es ist allerdings kein Geheimnis, dass die USA einem verstärkten Engagement auf dem Balkan skeptisch gegenüberstehen. Ohne ihre Unterstützung wäre aber ein präventiver Großeinsatz mit „Schutzmannfunktion“ kaum durchführbar. Entsprechend hält das Außenministerium diese Variante für praktisch illusorisch und politisch fatal. Genau darauf hofften die albanischen Rebellen, heißt es, um unter dem Deckmantel der Nato eine ethnische Aufteilung des Landes festzuschreiben. Dies hätte eine fatale Signalwirkung etwa für das benachbarte Kosovo. Am Ende wäre eine ganze Region ethnisch separiert, statt multiethnisch organisiert. „Man würde eine Büchse der Pandora öffnen“, heißt es in der Chefetage.
Joschka Fischer selbst forderte gestern, alles für eine politische Lösung zu unternehmen. Doch der Minister ist nicht allzu hoffnungsfroh: „Wir sind im Moment leider von dieser Option erheblich entfernt.“
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